Déjà-vu bei Ferrari und Sebastian Vettel. Wie nur ein Formel-1-Rennen zuvor in Silverstone, herrschte beim Spanien GP in Barcelona erneut alles andere als Harmonie am Boxenfunk. „Verdammt nochmal, ich habe euch doch genau das eben gefragt. Jetzt habe ich drei Runden lang gepusht“, zeterte Vettel in Richtung seines Renningenieurs Ricardo Adami.

Formel 1: Stunk im Funk: Vettel & Verstappen toben!: (13:57 Min.)

Der hatte ihn zuvor genau dazu aufgefordert, dann plötzlich eine Kehrtwende hingelegt. Jetzt sollte Vettel auf einmal das genaue Gegenteil versuchen - statt zu pushen, die Reifen so gut wie möglich managen, um keinen zweiten Stopp mehr einzulegen, sondern das Rennen auf dem Soft zu beenden. Die drei schnellen Runden zuvor hatten dieser taktischen Umkehr rückblickend alles andere als geholfen, daher die erste Entrüstung Vettels. Diese legte sich allerdings schnell. Vettel schaltete um und setzte die neue Strategie trotz des suboptimalen Auftakts erfolgreich um.

Stunk am Funk: Zeichen einer zerütteten Beziehung Vettel/Ferrari?

In der öffentlichen Wahrnehmung blieb weitgehend nur der aufgebrachte Funkspruch hängen. Speziell nach Vettels „Ihr wisst, dass ihr es verbockt habt“-Ansage nur eine Woche zuvor war eine beliebte Interpretation: Das war gleich das nächste Zeichen für eine inzwischen völlig zerrüttete Beziehung zwischen dem Ende des Jahres bei Ferrari ausscheidenden Deutschen und der Scuderia. Selbst F1-Sportchef Ross Brawn verglich die Beziehung deshalb bereits mit der Scheidung einer Ehe, genauer gesagt jener seltsamen Phase, in der die Scheidungspapiere bereits zugestellt sind, die Scheidung allerdings noch nicht durchgeführt worden ist.

Ferrari wehrt sich gegen derlei Auslegungen. „Kommunikation ist wichtig. Wir haben entschieden, da miteinander [mit den Fahrern] so offen wie möglich zu sein. Und manchmal heißt Hinterfragen nicht Meinungsverschiedenheit“, betonte Teamchef Mattia Binotto unmittelbar nach dem Rennen. Vettel stimmte zu. Die Herangehensweise an Strategieplanung und Kommunikation müsse Ferrari nicht ändern, so der Deutsche.

Ferrari-Teamchef: Hinterfragen heißt nicht Meinungsverschiedenheit

„Wir sprechen natürlich darüber und hatten schon eine kurze Unterhaltung. Du kannst immer etwas besser machen. Nachher ist es immer sehr leicht, Dinge zu sagen, die du besser getan oder nicht getan hättest“, sagt Vettel am Sonntag. Für den Ferrari-Piloten zählt trotz der Irritation nur die Einigung am Ende. Vettel: „Das Wichtige ist, dass wir uns einig waren, das Risiko einzugehen und es hat sich ausgezahlt.“

Stunk am Funk? Für Vettel eine Übertreibung. „Es ist normal, dass du kommunizierst. Ich denke, dass es für euch sehr seltsam zu beurteilen ist, weil jemand auswählt, welche Funksprüche gesendet werden und welche nicht. Es ist sehr schwierig zu beurteilen, was alles gesagt wurde und das vollständige Bild zu bekommen.“

Ferrari & Vettel: Umgangston unverändert

Genauso sieht es Binotto. Als schnippisch bewertet er Vettels Verhalten nicht. „Das stelle ich nicht fest“, sagte der Italiener „Auch von unserer Seite kein anderer Ton, das ist nicht der Fall“, ergänzte Binotto, wohl mit Blick auf Kritik, Ferrari lasse Vettel auf dem Trockenen sitzen. Vettel dazu: „Wir sehen uns den ganzen Tag, da muss man nicht auch noch am Funk die ganze Zeit reden.“

Kommunikation sei dennoch wichtig. Nur so habe man die Strategie in Barcelona noch gerettet, meinte Binotto: „Je mehr wir uns selbst durch Kommunikation hinterfragen desto eher, bekommen wir die richtige Entscheidung. Das ist wichtig. Diese Woche sind wir durch Kommunikation zu der Entscheidung gekommen.“

Ferrari-Chefstrategie erklärt 180-Grad-Strategie-Wende

Inzwischen hat sich sogar Ferraris Chefstratege Inaki Rueda in die Debatte eingemischt. Ferrari veröffentlichte ein kurzes Interview, in dem Rueda genau auflöste, warum Ferraris Anweisungen an Vettel beim Spanien GP eine 180-Grad-Wende hinlegten. Zunächst bestätigte Rueda Vettels Aussagen, wonach der Deutsche sich nach dem Wechsel auf Soft in Runde 29 wohler mit seinem Ferrari fühlte.

Dann sei der Plan gewesen, 21 Runden auf diesem Reifen zu fahren, um in Runde 50 für den Schlussspurt auf einen weiteren Satz Soft zu wechseln. „Aber trotz einer Serie von schnellen Runden waren wir nicht in der Lage die Lücke zu Ricciardo aufzumachen“, erklärt Rueda jene Phase, in der Adami Vettel aufgefordert hatte: "Alles, was du hast. Hebe dir nichts mehr auf." Das übliche Vorgehen kurz vor einem Boxenstopp.

Fernduell mit Ricciardo: Vettel-Vollgas reicht nicht für Stopp

Weil der Abstand auf den Renault sicher dennoch nicht ausreichend vergrößerte (Maximum 18,432 Sek. in Lap 48), um bei einem Stopp sicher vor dem Australier zu bleiben, dieser Versuch also gescheitert war, switche Ferrari so plötzlich um auf die neue Idee - durchfahren. „An diesem Punkt hätten wir bei zwei Stopps bleiben und riskieren können, hinter dem Renault anzukommen oder zu versuchen, es den ganzen Weg bis ins Ziel zu schaffen“, sagt Rueda. „Wir mussten dann eben nun mit dem Fahrer sprechen und schauen, ob er es für möglich hielt.“

Vettels Reaktion nach der vorherigen Ansage sei deshalb nachvollziehbar gewesen. „Logischerweise war er zuerst überrascht und hat dann gefragt, welche Pace nötig sei, um in einer guten Position ins Ziel zu kommen“, sagt Rueda - und spendiert Vettel ein selten gewordenes Lob von Ferrari-Seite: „Nach Bewertung der Vor- und Nachteile, hat Seb es versucht und - dank seines Talents - auch geschafft, etwas zu bewerkstelligen, das unmöglich schien.“

Ferrari: Mittelfeldkampf Grund für Strategie-Debatten

Dass es strategisch und in Sachen Kommunikation mit den Fahrern grundlegend Nachholbedarf bei Ferrari geben soll, sieht Rueda auch nach nun zwei Wochen Schlagzeilen in Folge zu diesem Thema nicht. „Das ist überhaupt nicht der Fall“, sagt der Chefstratege der Roten. Sein Argument: 2020 habe sich für Ferrari Entscheidendes geändert.

„Verglichen mit der Vergangenheit ist das Renn-Management viel komplizierter geworden. Es ist Fakt, dass wir dieses Jahr mit einer Gruppe von Fahrern und Teams kämpfen, deren Performance sehr eng zusammenliegt. Da passiert es schnell, dass du dich in der Lage befindest, dass du Szenarien managen musst, die sich Runde für Runde ändern“, erklärt Rueda.

Das enge Mittelfeld erschwere das Schmieden einer Strategie eben ungemein, sagt Ferrari, Foto: LAT Images
Das enge Mittelfeld erschwere das Schmieden einer Strategie eben ungemein, sagt Ferrari, Foto: LAT Images

Bis zum vergangenen Jahr habe sich Ferrari im Grunde einzig mit Mercedes und Red Bull beschäftigen müssen. „Und dahinter kam ein Abgrund, sodass du selten überhaupt ein Problem mit Verkehr hattest“, schildert Rueda. „Du musstest vor dem ersten Stopp einfach nur die Lücke aufmachen und dann folgte alles mehr oder weniger demselben Schema mit nur wenigen Variablen.“

Rueda weiter: „Das ist heute eben nicht mehr der Fall, sodass die Gespräche mit den Fahrern häufiger und intensiver sind. Es ist nur normal, dass du dann sprichst und auch mal deine Meinung änderst, je nachdem, was auf der Strecke eben passiert. Strategien basieren auf Mathematik, aber die Fahrer müssen sie umsetzen und die sind keine programmierbaren Computer. Deshalb musst du dafür sorgen, dass sie verstehen, wie du zu gewissen Entscheidungen gekommen bist und sie auch zum Teil dieses Prozesses machen.“

Das, so Rueda, laufe gut, auch zuletzt. Letztlich seien die Entscheidungen richtig gewesen. Nur so habe man oft das aktuell durchwachsene Potenzial des SF1000 zumindest maximiert. Leichter - und harmonischer - könne es aber nur auf eine Weise werden. Indem man mit dem Mittelfeld nichts mehr zu tun hätte. Rueda: „Mit einem schnelleren Auto ist alles leichter!“

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