Die Startaufstellung beim Russland GP verspricht Spannung: Aus den ersten beiden Reihen gehen jeweils ein Ferrari und ein Mercedes ins Rennen. Charles Leclerc steht vor Lewis Hamilton, Sebastian Vettel und Valtteri Bottas. Nur Max Verstappen fehlt aufgrund seiner Strafversetzung, er muss von Startplatz neun aus ran.

Ferrari war in der Qualifikation einmal mehr unschlagbar. Besser gesagt Leclerc. Der Monegasse startet beim vierten Rennen nach der Sommerpause zum vierten Mal von Pole Position. "Wir verlieren sieben bis acht Zehntel auf den Geraden", klagt Mercedes-Teamchef Toto Wolff. "Bis zur ersten Kurve lag ich schon drei Zehntel zurück", schließt sich Hamilton an.

Die Ferrari-Dominanz auf den Geraden ist derart groß, dass Mercedes die erneute Qualifying-Schlappe egal sein kann. "Auch wenn wir auf eins und zwei gestanden wären: Nach unseren Simulationen hätten wir keine Chance gehabt, bis zum ersten Bremspunkt vorne zu bleiben", verrät Bottas.

Ferrari am Start mit Reifenvorteil und Positionsnachteil

889 Meter beträgt die Distanz von Pole Position bis zum ersten Bremspunkt, der in Sotschi erst vor Kurve zwei ist. "Vielleicht ist die zweite Reihe aufgrund des Windschattens sogar besser", hofft Bottas. Selbst der Pole-Setter zweifelt am Vorteil seiner Startposition. "Ich weiß nicht, ob es die beste Strecke ist, um auf Pole zu stehen", befürchtet Leclerc.

Doch einen Vorteil hat der Monegasse - zumindest für die ersten Meter. Im Gegensatz zu Mercedes starten beide Ferrari-Piloten auf den Soft-Reifen. Mercedes setzte als einziges Team im Q2 auf Medium.

"Für den Start ist es nicht am besten, auf dem härteren Reifen loszufahren", erklärt Hamilton. Der gelbe Reifen verliert in der ersten Phase der Beschleunigung ein paar Meter. Teamkollege Bottas kann das aus Reihe zwei etwas gelassener sehen: "Ich hoffe, dass der Windschatten das mehr als wettmacht."

Bei Ferrari sieht man das anders, wie Leclerc verrät: "Der Start hier ist sehr wichtig und wir glauben, dass der Vorteil des Softs da groß ist." Aber wird der bessere Start-Reifen Ferrari später zum Verhängnis?

"Ich glaube, wir haben die richtige Wahl getroffen", meint Leclerc. Auf der anderen Seite ist Hamilton überzeugt: "Das Team hat einen großartigen Job gemacht, indem es bei uns auf die Mediums gesetzt hat."

Ferrari von Soft-Strategie überzeugt

Wer hat Recht: Leclerc oder Hamilton, Ferrari oder Mercedes? Bezahlt Ferrari etwa später den Preis für den Vorteil am Start? "Zwischen Soft und Medium ist beim Abbau kein großer Unterschied", ist Leclerc überzeugt.

Das Sochi Autodrom ist bekannt dafür, besonders schonend zu den Reifen zu sein. Nico Rosberg fuhr einst eine gesamte Renndistanz auf einem Satz. Verschleiß und Abbau hielten sich auch beim Soft-Reifen in diesem Jahr in Grenzen. Pirelli nominierte im Gegensatz zur Vorsaison eine Stufe härter.

Das zeigen auch die Rennsimulationen von Pirelli. Laut den Italienern ist es die schnellste Variante, auf Soft zu starten und nach 15 bis 19 Runden den harten Reifen aufzuziehen. Beim Start auf Medium verschiebt sich das Boxenstoppfenster nur geringfügig. Zwischen Runde 14 und 22 ist es theoretisch am besten, von Medium auf Hard zu wechseln. Insgesamt soll Medium/Hard geringfügig langsamer sein als Soft/Hard.

Mercedes nach Niederlagen mit Mut zum Risiko

An einem Einstopp-Rennen führt aber kein Weg vorbei. Auf der einen Seite werden die Pneus in Sotschi wenig rangenommen, auf der anderen Seite ist der Zeitverlust in der Boxengasse besonders groß. 414,2 Meter gilt in Russland Tempolimit 60.

Auch wenn die Medium-Strategie auf dem Papier geringfügig langsamer ist, so hat sich Mercedes doch etwas dabei gedacht. "Wir müssen etwas versuchen und es ist gut, dass wir morgen auf eine andere Strategie setzen können. Ich wollte einfach etwas anderes machen", gestand Hamilton.

Der Weltmeister ist nach drei sieglosen Rennen etwas frustriert. Vor allem von der Tatsache, dass er bei allen drei Rennen das schnellste Rennauto hatte. Aber auf der Strecke gab es keinen Weg vorbei an Ferrari. Wenn es schon in Spa und Monza nicht klappte, warum dann in Sotschi, wo Überholen deutlich schwieriger ist? Also soll es eine Offset-Strategie richten.

"Wir haben eine größere Flexibilität", verrät Bottas. "Wir können entweder früher kommen und einen Undercut probieren oder wir bleiben auf den Mediums länger draußen. Ferrari muss irgendann kommen."

Ferrari baut auf bestem Longrun der Saison

Aber es gibt auch noch einen anderen Faktor, weshalb Ferrari und Mercedes auf unterschiedlichen Reifen starten. Ferrari war am Freitag auf den Soft-Longruns stärker, Mercedes auf den Mediums. Eine Beobachtung, die schon die ganze Saison auffällt: Je weicher der Reifen, desto besser kommt Ferrari damit klar. Je weicher, desto Ferrari, je härter, desto Mercedes.

Formel 1 Sotschi, Longruns im 2. Training auf Soft

FahrerGefahren gegenReifenalterStintlängeZeit
LeclercEnde1441:38,698
VerstappenEnde1751:38,821
BottasAnfang1561:39,716
VettelAnfang21101:39,957
HamiltonAnfang1541:40,364

Formel 1 Sotschi, Longruns im 2. Training auf Medium

FahrerGefahren gegenReifenalterStintlängeZeit
HamiltonEnde1751:38,933
VettelEnde1121:39,233
VerstappenAnfang1751:39,434
LeclercAnfang1991:39,825

Beide Strategien machen deshalb für das jeweilige Team Sinn. Mercedes muss schlichtweg etwas riskieren, um nicht zum vierten Mal hintereinander mit einem schnelleren Auto hinterherzufahren. Doch ist der Mercedes in Russland wirklich schneller?

"Ich glaube, wir haben das bessere Rennauto", meint Bottas. Leclerc allerdings zeigte sich zufrieden: "Unsere Longrun-Pace war extrem positiv. Es war wahrscheinlich die beste Pace der gesamten Saison, es sieht gut aus." Weil der Reifenverschleiß so moderat ausfällt, hat Ferrari wohl auch weniger Probleme im Dauerlauf.

Weniger Probleme im Dauerlauf erwartet auch Sebastian Vettel. Der viermalige Formel-1-Weltmeister holte sich mit über vier Zehntel Rückstand eine ordentliche Schlappe. Es war die neunte Niederlage im teaminternen Trainingsduell in Folge. "Am Renntag bekomme ich normalerweise mehr und mehr Vertrauen im Auto. Im Rennen war die Pace noch nie ein Problem", verspricht Vettel.

Nur eine Zutat fehlt für die perfekte Russland-Ausgangssituation: Max Verstappen. Viel erwartet auch der Niederländer nicht von Rang neun. "Realistisch betrachtet werde ich Fünfter", sagt er ernüchtert. "Auch wenn ich mit einem Safety Car rankommen sollte würde mir das wohl nichts bringen, weil ich nicht schneller bin."

Fazit: Ferrari hat in Russland nicht nur ein schnelles Auto auf eine Runde, sondern auch ein gutes Rennauto. Trotzdem macht Mercedes im Renntrimm noch den etwas besseren Eindruck. Die unterschiedlichen Reifenstrategien sind allerdings das Salz in der Suppe.