Es ist vollbracht: Ferrari hat in Spa sein erstes Rennen der Formel-1-Saison 2019 gewonnen. Auch wenn der SF90 kein Überflieger ist, überfällig war der Sieg allemal. Für Charles Leclerc war es der erste Sieg in der Formel 1 überhaupt. Nachdem er die Siege in Bahrain und Österreich denkbar knapp verpasste, wurde es auch in Belgien wieder richtig eng.

Auch wenn Ferraris Vorstellung in Spa stark aussah, am Ende war eine gehörige Portion Glück und Mithilfe von Mercedes nötig. Weniger als eine Sekunde betrug der Vorsprung von Leclerc am Ende auf Lewis Hamilton. Das hätte auch durchaus anders ausgehen können. Motorsport-Magazin.com sucht in der Rennanalyse nach den Sieges-Faktoren.

Faktor 1: Das Wetter

Daran, dass Ferrari im Qualifying stärker ist als im Rennen, haben wir uns langsam gewöhnt. Die Rote Göttin produziert weniger Abtrieb als der Silberpfeil und nimmt deshalb die Reifen härter ran. Weniger Abtrieb bedeutet stärkeres Rutschen in den Kurven. Dadurch überhitzt die Reifenoberfläche, der sensible Pirelli-Pneu verliert Performance.

Sonne gab es am Sonntag in Spa nur wenig, Foto: LAT Images
Sonne gab es am Sonntag in Spa nur wenig, Foto: LAT Images

Während die Pace auf eine Runde das gesamte Wochenende über sehr stark aussah, hatte Ferrari im Dauerlauf enorme Probleme. Die Longruns von Sebastian Vettel und Charles Leclerc am Freitag sahen mehr als dürftig aus. Auch wenn Ferrari im Rennen noch immer mehr Probleme als Mercedes hatte, der Unterschied war nicht mehr so dramatisch wie am Freitag.

Leclerc berichtete nach dem Rennen von einer anderen Herangehensweise an diesem Wochenende. Speziell ihm hatte der Reifenabbau in den vergangenen Rennen mehr Probleme bereitet. Gleichzeitig fand Ferrari von Freitag auf Samstag etwas am Setup. "Das hat auf eine Runde geholfen, aber vor allem auf die Renndistanz", so Leclerc.

Und dann kam das Wetter: Während das Thermometer am Freitag und Samstag an der 30-Grad-Marke kratzte, war es am Rennsonntag deutlich kühler. Nach kleineren Regenschauern am Vormittag stieg das Quecksilber selbst zu Mittag nicht mehr über 16 Grad. Ferraris Probleme mit überhitzenden Reifen waren deshalb nicht mehr so schlimm.

Faktor 2: Der Verstappen-Crash

Was hat der Crash von Max Verstappen mit dem Sieg von Charles Leclerc zu tun? Hätte der Niederländer dem Monegassen gefährlich werden können? Diese Frage wird wohl nie zu beantworten sein. Fakt ist aber, dass der Unfall eine Safety-Car-Phase auslöste. Und die half Ferrari.

Bis auf ein paar Ausnahmen - zu Sebastian Vettel später mehr - war der Belgien GP ein Einstopp-Rennen. Da Ferrari mehr Probleme mit dem Reifenverschleiß als Mercedes hatte, helfen ihnen kürzere Stints mehr. Vier Runden klingen nicht nach viel, sind aber auf der längsten Strecke des Formel-1-Kalenders beachtliche neun Prozent der Renndistanz.

Gleichzeitig hat das Safety-Car vor allem den ersten Stint verlängert. Das Rennen wurde praktisch zweigeteilt. Leclerc kam in Runde 21 von 44 zum Stopp, Hamilton eine Runde später. Normalerweise hätte der erste Stint kürzer ausfallen müssen. Erstens halten die Soft-Reifen nicht so lang wie die Medium-Pneus, zweitens werden die Reifen zu Beginn des Rennens aufgrund des höheren Startgewichts härter rangenommen.

Dazu kommt, dass die Top-Teams zuerst einmal einen Abstand auf das Mittelfeld auffahren müssen, um einen risikofreien Stopp zu absolvieren. Auch das verzögerte sich durch das frühe Safety Car. Deshalb kamen Leclerc, Hamilton und Bottas erst später zum Stopp, als es normalerweise der Fall gewesen wäre.

Für Ferrari war das ein doppelter Glücksfall: Nicht nur, dass das Rennen insgesamt kürzer wurde, vor allem wurde weniger Zeit auf den Medium-Reifen verbracht. Auf den Soft-Reifen konnte Ferrari noch einigermaßen mithalten, auf den Medium war Mercedes im Rennen deutlich schneller. Im ersten Stint konnte Leclerc Hamilton noch durchaus Paroli bieten, auf den Medium-Reifen war der Mercedes deutlich schneller.

Das hängt damit zusammen, dass der Medium-Reifen weniger mechanischen Grip generiert und die Autos stärker rutschen. Je weniger Abtrieb ein Bolide generiert, desto schwerer wiegt der Grip-Nachteil beim Reifen.

Faktor 3: Der Mercedes-Fehler

Es passiert nicht oft, aber auch Mercedes macht Fehler. Beim Belgien GP waren es sogar zwei an der Zahl. In seiner ersten Reaktion nach dem Rennen gab das sogar Lewis Hamilton zu: "Ich bin so gut gefahren wie ich nur konnte. Aber die Strategie hätte vielleicht etwas besser sein können."

Tatsächlich hätte Mercedes nicht nur rückblickend, sondern auch schon während des Rennens etwas klüger agieren können. Als Sebastian Vettel schon nach 15 Runden in die Box abbog, war klar: Man musste (oder konnte) ihn nicht mehr undercutten. Von da an war es eher ein Rennen gegen Leclerc.

Mercedes wartete anschließend, bis Charles Leclerc zum Reifenwechsel kam, um eine Runde später auch Lewis Hamilton reinzuholen. Dabei sprang Hamiltons Rückstand auf Leclerc schlagartig von 4,4 auf 7,0 Sekunden. Dass Mercedes nicht versuchte, Vettel aggressiv zu undercutten, war gut. Aber bei Leclerc hätte man relativ risikofrei eine Runde früher kommen können. Dann wäre der Abstand deutlich gesunken, anstatt rasch anzusteigen.

Die 2,6 Sekunden, die Hamilton verlor, stammen aber nicht nur von den frischeren Reifen. Beim Boxenstopp gab es kleinere Probleme. 3,62 dauerte der Reifenwechsel, weil hinten links das Rad erst beim zweiten Ansetzen des Schlagschraubers hielt. Leclerc stand hingegen nur für 2,48 Sekunden still. Eine wertvolle Sekunde, wie sich am Rennende zeigen sollte.

Faktor 4: Sebastian Vettel

Der ein oder andere befürchtete schon fast, dass Sebastian Vettel Charles Leclerc das Rennen kosten würde. Weil dem Deutschen die Reifen früh im ersten Stint eingingen und sich Ferrari gegen einen Undercut von Mercedes absichern wollte, wurde der viermalige Formel-1-Weltmeister schon extrem früh zum Stopp geholt.

Weil er anschließend auf den frischen Medium-Reifen richtig anzog, gelang ihm der Undercut gegen Leclerc. Der Monegasse befand sich nach seinem Stopp also plötzlich hinter Vettel, und Ferrari hat in der jüngeren Vergangenheit in solchen Situation nicht immer optimal agiert. Man erinnere sich nur an Hockenheim 2018, als Vettel und Räikkönen auf unterschiedlichen Strategien waren, der Finne aber nicht sofort aufgefordert wurde, Vettel vorbeizulassen.

In Spa aber kam die Anordnung sofort, als Leclerc nah genug dran war. "Ich war mir erst nicht sicher, ob seine Medium eingehen würden", sagte Charles Leclerc zu Motorsport-Magazin.com. "Aber der Performance-Unterschied war dann relativ schnell klar, sodass ich es erwartet hatte, auch wenn ich es nicht verlangt habe."

Ferrari hat aus der Vergangenheit gelernt. "Es ist nie eine einfache Entscheidung, weil die Fahrer da sind, um so schnell wie möglich zu fahren und so viele Punkte für sich selbst zu holen wie möglich. Aber heute hatten wir keine Wahl", so Ferrari Teamchef Mattia Binotto zu Motorsport-Magazin.com. "Sie waren auf unterschiedlichen Strategien, Charles hätte ihn sowieso an irgendeinem Punkt überholt. Deshalb war es das Beste für das Team, ihre Positionen so früh wie möglich zu tauschen."

Ein Blick auf den Abstand zwischen Leclerc und Hamilton zeigt, dass der Ferrari-Pilot tatsächlich etwas Zeit hinter Vettel verlor, denn Hamilton holte in diesen Runden stark auf. Doch das ist nur der erste Blick. Als Hamilton auf Vettel auflief, verlor er wieder viel Zeit. Vettel wurde für Hamilton zum Bremsklotz. Sobald Hamilton an Vettel vorbei war, holte er in gleichen Schritten auf Leclerc auf wie zuvor, als Leclerc hinter Vettel fuhr. Leclerc verlor also keine Zeit hinter Vettel, es war nur der 'normale' Pace-Unterschied zwischen Ferrari und Mercedes auf den Medium-Reifen.

Für Leclerc war es ein Glücksfall, dass Vettel am gesamten Wochenende so viel langsamer war als er. Sonst hätte der Deutsche wohl kaum auf eine andere Strategie wechseln müssen, die ihn letztendlich unabsichtlich zum Bremsklotz machte.