Die Höhenlage von Mexiko sorgt auch 2018 für einige Überraschungen im Formel-1-Zirkus. Schon in den vergangenen Jahren zeigte sich, dass die extrem dünne Luft in über 2.200 Meter über dem Meeresspiegel für einige Überraschungen sorgt. Doch so extrem wie in dieser Saison war es noch nie.

Red Bull dominierte vorne, wie Mercedes zu Beginn der Hybrid-Ära. Die Silberpfeile hingegen rutschten gemeinsam mit Ferrari ins Mittelfeld ab. So durchgemischt war das Feld bei trockenen Bedingungen lange nicht mehr. Ist das Bild der Freitagstrainings realistisch? Die Motorsport-Magazin.com-Trainingsanalyse liefert Aufschluss.

Max Verstappen war der Dominator des Freitags. Der Red-Bull-Pilot gewann schon 2017 in Mexiko, doch dabei profitierte er auch vom Zusammenstoß zwischen Sebastian Vettel und Lewis Hamilton. Im Kampf um die Pole musste sich Red Bull einmal mehr geschlagen geben. 1,2 Sekunden hatte Verstappen in beiden Sessions auf den besten Nicht-Red-Bull Vorsprung. Eine Welt.

Red Bull dominiert Mercedes und Ferrari: Vorsprung repräsentativ

"Wir sind selbst erstaunt", gab Red Bulls Motorsportberater Dr. Helmut Marko im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com zu. "Aber das Auto liegt sensationell und wir haben eine optimale Abstimmung zwischen Topspeed und Grip gefunden."

1,2 Sekunden, das müsste sogar für den Power Modus der Konkurrenz im Qualifying reichen. Oder doch nicht? "Der Vorsprung ist realistisch, weil hier der Party Mode nicht so zum Tragen kommt wie sonst üblich", freut sich Marko und schickt hinterher: "Wir können davon ausgehen, dass wir wirklich auch mal aus eigener Kraft in die erste Reihe fahren."

Das ist eine Ansage. Red Bull brachte zwar kleinere Neuerungen mit, kopierte den Ferrari-Unterboden aus Austin, aber der wahre Performance-Sprung kommt von der Höhenlage. Motor-Leistung ist weniger relevant, die Renault Power Unit eine geringere Strafe.

Formel-1-Runde in Mexiko: Hot Lap mit McLaren-Star Lando Norris (04:22 Min.)

Red Bull als Reifenflüsterer, Ferrari kämpft mit Pirelli-Pneus

Dazu fahren alle Fahrzeuge aufgrund der dünnen Luft mit maximalem Abtrieb - und trotzdem ist es zu wenig. Alle Fahrer beschweren sich über zu wenig Grip. Trotz Maximum-Abtrieb ist der tatsächliche Wert geringer als in Monza - wo es bei weitem nicht so viele Kurven gibt.

Red Bulls größte Stärke scheint aber die Fahrwerkskinematik zu sein. Durch den geringen Abtrieb ist es schwierig, die sensiblen Pirelli-Pneus ins Fenster zu bekommen. Umso mehr zählt das Fahrwerk. Der mechanische Grip des RB14 sucht seinesgleichen. "Deshalb siehst du oft auch so große Sprünge in der Rundenzeit", erklärt Sebastian Vettel. "Wenn du das Reifenfenster nicht triffst, bist du gleich weit weg von der Pace."

Der Ferrari-Pilot landete mit riesigem Rückstand auf Rang vier. 1,234 Sekunden fehlten ihm im 2. Training. Ferrari experimentierte einmal mehr mit alten und neuen Teilen. Letztendlich entschied man sich dafür, mit der alten Spezifikation weiterzumachen, der Austin-Unterboden bleibt vorerst in der Garage.

Mercedes wie Ferrari in Problemen

Vettel relativiert seinen Rückstand: "Ich denke, dass ich keine saubere Runde hatte. Wir sollten schon vor den Renault sein." Doch in Relation zu Mercedes sieht der Ferrari gar nicht mehr so schlecht aus. WM-Konkurrent Lewis Hamilton landete gar nur auf Rang sieben. 1,380 Sekunden fehlten ihm auf die Verstappen-Zeit.

"Wir sollten alle in einer ungefähr ähnlichen Position sein", glaubt Vettel. "Im Qualifying wird es mit Sicherheit der Schlüssel sein, das Reifenfenster zu öffnen und die Reifen dorthin zu führen." Genau das schaffte Mercedes genauso wenig wie Ferrari. " Das Auto war an einigen Stellen gut, aber an anderen weniger", erklärte Lewis Hamilton. "Es geht nicht um einen bestimmten Bereich - es gibt viele verschiedene Dinge, die wir verbessern können."

Außerdem gab es ein weiteres Problem beim Weltmeister-Team: Die Power Unit überhitzte ein einigen Bereichen, weshalb Lewis Hamilton und Valtteri Bottas nicht mit voller Leistung fahren konnten. Auch das ist der Höhenluft geschuldet, weil die Kühlung darunter leidet. Dazu waren die Temperaturen am Freitag exorbitant hoch - für den Rest des Wochenendes werden kühlere Bedingungen erwartet.

Rutschpartie in Mexiko: Hypersoft geht in die Knie

Die hohen Temperaturen waren aber nicht nur für die Ingenieure ein großes Problem, auch für die Fahrer. Nicht weil es physisch so schwer war, sondern weil die Reifen extrem hart rangenommen wurden. "Das war heute mehr Rallye als Formel 1", sagte ein Pilot angesichts der vielen Slides. "Ich bin mir nicht sicher, ob der Reifen überhaupt eine Runde gehalten hat."

Tatsächlich spielt der Reifenverschleiß eine größere Rolle als sonst. "Einstopp kann man vergessen. Es wird eher etwas zwischen Zwei- und Dreistopp", glaubt Marko. Ganz so sieht man es bei Pirelli nicht, dort glaubt man sogar an eine Einstopp-Chance. Aber die Probleme sind offensichtlich.

Pirelli ging in diesem Jahr zwei Stufen weicher, der Hypersoft kommt zum Einsatz. Und auch der kann nicht für viel mehr Grip sorgen, noch immer klagen alle Piloten. Der Grund ist erneut die Höhenlage: Durch weniger Abtrieb rutschen die Autos mehr. So ist es schwierig, den Reifen strukturell zu erwärmen. Stattdessen erhitzt sich die Oberfläche durch das viele Rutschen. Für die Reifen gilt zudem dasselbe, was für Kühlung von Motor und Bremsen gilt: Die dünne Luft kühlt schlechter.

Deshalb fahren in Mexiko alle mit höheren Reifentemperaturen. Im Gegensatz zu den vergangenen Rennen kommt es deshalb mehr zu Graining als zu Blistering. Das vermindert die Lebensdauer der Pneus enorm.

Mexiko-Longruns: Red Bull auf Hypersoft unschlagbar

Die Longrun-Pace war bei allen Teams miserabel. Die schnellsten Piloten begannen mit dem Hypersoft bei 1:21 Minuten und rutschten schon nach wenigen Runden auf 1:24 Minuten ab. Das ist acht Sekunden langsamer als die Pace auf eine Runde. Auf einer der kürzesten Runden des Jahres.

Das zeigt, wie essentiell der Reifenabbau im Rennen wird. "Aber da managen sie viel mehr", schränkt Pirellis Mario Isola ein. "Dann ist der Abbau nur noch etwas halb so groß." Deshalb geht der Italiener auch davon aus, dass ein Stopp möglich ist. Zudem hält der große Zeitverlust beim Reifenwechsel von zusätzlichen Stopps ab. Wie in Monza verliert man in Mexiko durch die lange Gerade besonders viel Zeit bei der Boxendurchfahrt.

Mexiko GP 2018: Trainings-Longruns auf Hypersoft

FahrerGefahren gegenReifen-AlterStint-LängeDurchschntl. Rundenzeit
VerstappenAnfang1361:23,126
RicciardoAnfang1491:23,391
RäikkönenEnde1031:24,002
VettelAnfang1551:24,068
BottasEnde1551:24,221
HülkenbergAnfang1261:24,299
HamiltonAnfang1451:24,722
SainzAnfang1151:24,760

Doch wer hatte den Reifenverschleiß am besten im Griff? "Auf den Longruns fahren wir im Verkehr genau so schnell wie die anderen alleine", freut sich Marko. Tatsächlich war Max Verstappen auch im Longrun klar am schnellsten. Allerdings konnte er nur einen Longrun fahren, weil ihn ein Hydraulik-Schaden am Ende des Trainings lahmlegte.

Auf den Hypersoft fuhr der Niederländer im Schnitt 1:23,1 Minuten. Fast eindrucksvoller war sogar der Longrun von Teamkollege Daniel Ricciardo. Er fuhr drei Runden länger mit dem Hypersoft und war nicht einmal drei Zehntel langsamer. Bei dem starken Abbau der weichsten Reifen sind die drei Extra-Runden nicht zu vernachlässigen.

Kimi Räikkönen und Valtteri Bottas fuhren ihre Hypersoft-Stints erst am Ende des Trainings mit leichteren Autos. Sebastian Vettel fuhr mit vollem Tank fast eine Sekunde langsamer als Verstappen. Bei Hamilton brachen die Reifen komplett ein, er bewegte sich nach wenigen Runden schon im 1:26er Bereich. "Die hohen Streckentemperaturen waren schwierig, weil die Reifen schmolzen und sich Graining bildete", klagte er.

Mexiko GP 2018: Trainings-Longruns auf Ultrasoft

FahrerGefahren gegenReifen-AlterStint-LängeDurchschntl. Rundenzeit
RicciardoEnde18101:22,708
BottasAnfang25101:23,947
HülkenbergEnde24161:24,489

Auf den Ultrasoft gab es weniger relevante Daten. Ricciardo fuhr seinen Stint mit leerem Tank, Bottas seinen mit vollem. Ferrari verzichtete ganz auf Longruns mit Ultrasoft. Auf Supersoft gibt es hingegen wieder reichlich Zeiten - nur leider nicht von Red Bull. Sebastian Vettel und Lewis Hamilton fuhren fast exakt die gleichen Zeiten in ihren Runs. Vettel fuhr dabei sogar 17 Runden, Hamilton immerhin 14.

Mexiko GP 2018: Trainings-Longruns auf Supersoft

FahrerGefahren gegenReifen-AlterStint-LängeDurchschntl. Rundenzeit
VettelEnde27171:22,950
HamiltonEnde26141:22,961
RäikkönenAnfang28181:23,393
SainzEnde24141:23,539

"Red Bull scheint hier aktuell außer Reichweite zu sein. Ferrari liegt auf unserer Höhe, aber wir wollen mitkämpfen", schätzt Hamilton. Angesichts der Longrun-Daten scheint diese Analyse zutreffend.

Mexiko: Formel 1 erwartet Strategieschlacht

Im Qualifying könnte es besonders interessant werden. Wer die Wahl hat, will den Hypersoft im Rennen vermeiden. Die Top-Teams können sich in der Regel ohne Probleme im Q2 in den letzten Qualifikationsabschnitt fahren. Die Freitags-Pace lässt allerdings daran zweifeln, ob Ferrari und Mercedes dieses Risiko eingehen können.

Zwischen Hypersoft und Ultrasoft liegen rund 0,7 Sekunden. Im Vergleich mit anderen Strecken ist das wenig. Das liegt an der Länge des Autodromo Hermanos Rodriguez und an den langen Geraden, auf denen die Reifen kein Performance-Faktor sind. Doch angesichts der Trainingszeiten können sich Ferrari und Mercedes selbst diese sieben Zehntel nicht leisten.

Laut Pirelli wird der Hypersoft entscheidend dafür sein, ob sich eine Einstopp-Strategie ausgeht. Wer schon nach sieben Runden zum ersten Stopp kommen muss, wird Probleme haben, selbst wenn der Supersoft recht gut hält. Wer auf Ultrasoft starten kann, kann den ersten Stint hinausziehen und das Rennen auf Supersoft beenden.

Doch dann gibt es noch einen Faktor, der nicht in der Macht von Fahrer und Teams liegt: Das Wetter. Die Prognosen sagen für Samstag Regen vorher. Dann ist zumindest die Reifenwahl im Q2 hinfällig - wenn nicht sogar das gesamte Kräfteverhältnis.

Motorsport-Magazin.com-Prognose: Red Bull ist auf und davon. Auch wenn extrem viel Zeit darin versteckt liegt, die Reifen ins Fenster zu bekommen, Red Bull ist für Ferrari und Mercedes unantastbar. Selbst mit Qualifying-Modus wird das schwer. Erstmals in der Hybrid-Ära ist Red Bull an einem Wochenende absoluter Favorit. Doch was ist mit Mercedes und Ferrari? Die befinden sich auf Augenhöhe. Ob sie im Qualifying oder im Rennen Probleme mit Renault, Toro Rosso oder sonst einem Mittelfeld-Team bekommen? Sehr unwahrscheinlich.