Formel 1 2018: Russland Grand Prix Analyse (29:26 Min.)

Die Formel 1 ist ein komplexer Sport. Beim Russland GP 2018 wurde das einmal mehr deutlich. In Runde 25 musste Valtteri Bottas Mercedes-Teamkollege Lewis Hamilton vorbeilassen. Doch mit dem Platztausch ist längst nicht alles gesagt zur Stallorder. Es ist nicht wie 2002, als Rubens Barrichello Michael Schumacher beim Österreich GP auf der Ziellinie vorbeilassen musste.

Die Mercedes-Teamorder ist komplizierter, sie hat eine Vor- und eine Nachgeschichte. Deshalb dreht sich die Motorsport-Magazin.com-Rennanalyse in aller Ausführlichkeit um das, was vor Runde 25 geschah und darum, was nach dem Positionswechsel passierte.

Den Anfang nahm die Stallorder schon im Qualifying. Hamilton hatte das Wochenende bis zu diesem Zeitpunkt dominiert, baute aber in die beiden entscheidenden Runden Fehler ein. Also startete der Weltmeister nur von Rang zwei.

Vettel kann Mercedes einheizen

Auffallend: Nachdem Valtteri Bottas die letzten Rennen größere Probleme hatte, mit seinem Teamkollegen mitzuhalten, fand der Sotschi-Spezialist seinen Russland-Rhythmus wieder. Auch wenn Hamilton bis zum Qualifying schneller war, so eklatant wie in den Wochen zuvor war der Unterschied beileibe nicht mehr. Bottas konnte Hamilton im Qualifying zumindest erfolgreich unter Druck setzen.

Im Rennen dann ein ähnliches Bild zu Beginn. Bottas kontrollierte die Pace an der Spitze. Überraschend jedoch, dass Sebastian Vettel die Pace so gut mitgehen konnte. Damit war nicht unbedingt zu rechnen. "Vor allem am Ende des Stints schienen meine Reifen noch besser gewesen zu sein", sagte Vettel selbst. Ein nicht unwesentlicher Faktor für den weiteren Verlauf.

"So konnte ich im entscheidenden Moment dran bleiben", erklärt Vettel. Vorne an der Spitze eröffnete Bottas die Boxenstopp-Serie in Runde 13. Ferrari reagierte, wies Vettel dazu an, in der nächsten Runde genau das Gegenteil von Hamilton zu machen. Weil Hamilton auf der Strecke blieb, kam Vettel zum Stopp.

Mercedes vergeigt Hamiltons Strategie

Mercedes machte hier einen ungewohnten Fehler, der Hamilton später noch helfen sollte. Schon auf dem offiziellen Timing-Screen war zu erkennen, dass die frischen Soft-Reifen deutlich schneller waren als die alten Ultrasoft. Hamilton konnte in freier Fahrt zwar sofort eine Sektorbestzeit setzen, viel war die aber nicht wert. Auf der einen Seite konnte Vettel recht gut mithalten, auf der anderen Seite waren die frischen Softs noch viel schneller

BottasSektor 1Sektor 2Sektor 3
Runde 1335,734,334,6
Runde 1456,033,828,9
Runde 1535,834,729,5
HamiltonSektor 1Sektor 2Sektor 3
Runde 1335,534,529,9
Runde 1435,334,229,9
Runde 1535,634,334,5
VettelSektor 1Sektor 2Sektor 3
Runde 1335,534,430,0
Runde 1435,534,334,5
Runde 1555,333,428,9

Spätestens am Mittelsektor von Bottas' Outlap war das nicht mehr zu übersehen. Die Teams hätten das anhand ihrer Minisektoren noch früher erkennen müssen. Mercedes allerdings verpennte hier. "Ich nehme es auf meine Kappe", sagte Mercedes Teamchef Toto Wolff. "Ich war gerade in einer Konversation mit James [Vowles], als wir ihn hätten reinholen müssen."

Der Fehler war kostbar, denn Vettel fuhr auf den frischen Reifen sofort Bestzeiten. Mercedes stand zum ersten Mal vor einer Gewissensentscheidung: Bottas hätte Vettel so stark einbremsen können, dass Hamilton auch mit dem späteren Boxenstopp vorne bleibt. Dann allerdings hätte Bottas auch seine Position verloren. "Wir wollten zu diesem Zeitpunkt Valtteri nicht opfern, wir wollten nur Platz zwei für Lewis sichern", erklärt Wolff.

Und so kam es, wie es kommen musste: Hamilton verlor Position zwei hauchdünn an Vettel. Aus Bottas, Hamilton, Vettel wurde nun Bottas, Vettel, Hamilton. Eine Reihenfolge, die letztendlich nur gut für Hamilton war. Kleine, nicht unwesentliche Randnotiz: Weil Kimi Räikkönen und Max Verstappen zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Box waren, führten sie das Rennen an.

Dank Bottas: Hamilton überholt Vettel

Doch bekanntermaßen dufte sich Vettel nicht lange über Platz zwei freuen. Eine Runde nach seinem Boxenstopp in Runde 15 ging Hamilton wieder an Vettel vorbei. Wegen eines grenzwertigen Manövers von Vettel zog sich der Zweikampf noch zwei Kurven länger, doch unmittelbar vor Kurve vier war die Sache beendet.

"Ich hatte meinen Anteil daran", verriet Bottas später. Der Finne hatte in der Runde zuvor Vettel auflaufen lassen, machte in den letzten beiden Sektoren deutlich langsamer, so dass Hamilton auf Vettel aufschließen konnte und ins DRS-Fenster kam. 1,5 Sekunden verlor Vettel bei der Aktion.

Russland GP 2018, Sektorzeiten Valtteri Bottas

RundeSektor 2Sektor 3
1334,6 (Box)
1433,828,9
1534,729,5
1633,829,2
1733,929,3

"Ich dachte erst, dass es egal wäre, weil ich dann auch einen Windschatten von Valtteri bekäme, aber so war es dann nicht", ärgerte sich Vettel. Unmittelbar vor den beiden Zielkurven ging Bottas wieder aufs Gas. Dadurch kam Vettel weder in den Genuss von DRS, noch in den Genuss von Windschatten.

Nur dank Bottas' Hilfe konnte Hamilton so schnell und problemfrei an Vettel vorbeigehen. Bottas schaufelte sich damit sein eigenes Grab. Denn dadurch fuhren die beiden Mercedes wieder direkt hintereinander.

Hamilton: Dank Blistering vorbei an Bottas

Eine besonders gefährliche Konstellation für Bottas. Bei der Attacke auf Vettel hatte Hamilton seine Reifen etwas hart rangenommen. Der Brite klagte am Funk über Blistering. Die Soft-Reifen sind dafür viel anfälliger als Hypersoft oder Ultrasoft.

Weil Mercedes das Risiko nicht eingehen wollte, dass sich der Zustand von Hamiltons Reifen in der verwirbelten Luft von Bottas' Silberpfeil weiter verschlechtert, ordnete man schließlich den Platztausch in Runde 25 an. Österreich und Italien waren Mercedes lehren, hier sah man, was geblisterte Reifen anrichten können. Amüsante Szene übrigens direkt nach dem Rennen: Valtteri Bottas machte sich im Parc ferme selbst ein Bild von Hamiltons Hinterreifen. Der Finne blickte wenig begeistert auf die Pneus - die tatsächlich leichtes Blistering aufwiesen.

Das Bild des Wochenendes: Valtteri Bottas überprüft die Hinterreifen von Lewis Hamiltons Mercedes, Foto: Sutton
Das Bild des Wochenendes: Valtteri Bottas überprüft die Hinterreifen von Lewis Hamiltons Mercedes, Foto: Sutton

Viele Faktoren führten letztendlich zum Platztausch: Zuerst musste Hamilton hinter Vettel zurückfallen, um sich die Reifen ruinieren zu können. Dann musste er erst wieder direkt hinter Bottas kommen, damit eine Stallorder überhaupt möglich wird. Und dann musste Hamilton die Teamorder noch fordern. Das machte er geschickt, indem er nur von seinen Reifen berichtete. Er forderte den Positionstausch nicht. Aber er war die logische Konsequenz aus den Problemen.

Nachdem auch Kimi Räikkönen seinen Boxenstopp absolviert hatte, führte nun Max Verstappen das Rennen an. Der Red-Bull-Pilot musste aufgrund diverser Strafen von hinten Starten und ging deshalb auf den Soft-Reifen ins Rennen. Red Bull hatte die Strafen aber beim falschen Rennen gewählt, denn der RB14 war in Russland wider Erwarten äußerst konkurrenzfähig.

Nachdem sich Verstappen im Rekord-Tempo durchs Feld gearbeitet hatte und nach den Boxenstopps der Mercedes- und Ferrari-Piloten das Feld anführte, kontrollierte er die Pace und wartete nur noch auf den perfekten Moment für ein Safety Car.

Die Situation war gefährlich für Hamilton: Einmal versuchte er sein Glück, an Verstappen mit den abgefahrenen Soft-Reifen vorbeizugehen. Doch der Überholversuch klappte nicht und so ordnete sich Hamilton wieder hinter ihm ein. Weil das erhoffte Safety Car nicht kam, musste auch irgendwann Verstappen an die Box und die Führung abgeben.

Damit waren nun alle Gefahren für Mercedes aus dem Weg. Weil hinten auch Bottas Luft bekam, da Vettel beim Überrunden etwas strauchelte, wäre alles perfekt dafür gewesen, die teaminterne Reihenfolge bei Mercedes wieder herzustellen. Das dachte auch Bottas.

Viele Faktoren brechen Bottas das Genick

Doch Mercedes erteilte ihm eine Absage. "Wir haben es in Ungarn letztes Jahr gemacht, aber jetzt sind wir fünf Rennen vor Saisonende und es geht um sieben Punkte hin oder her", so Wolff. "Wenn uns am Ende sieben Punkte fehlen, wäre ich der größte Idiot auf Erden."

Letztlich führten viele Faktoren dazu, dass es zum Platztausch zwischen Lewis Hamilton und Valtteri Bottas kam. Zum einen, weil Sebastian Vettel Druck ausüben konnte, was nicht unbedingt zu erwarten war. Dann, weil sich Mercedes bei Hamiltons Boxenstopp nicht besonders klug anstellte und sich Hamilton die frischen Reifen hinter Vettel kaputt fuhr. Und dann auch noch, weil Bottas Hamilton an Vettel vorbeilotste. Und schließlich, weil vorne auch noch Max Verstappen rumfuhr, der immer eine latente Gefahr war. Wahrscheinlich - man wird es nie erfahren und muss Mercedes deshalb auch glauben - wäre es bei einem 'normalen' Rennverlauf nicht zum Positionswechsel gekommen.