Versteinert. So lässt sich die Miene des Valtteri Bottas auf dem Podium nach dem Russland GP 2018 perfekt mit einem Wort beschreiben. Doch nicht nur die Mimik, sondern auch sein Innenleben. "Es war ein schwieriger Tag. Ein gutes Ergebnis fürs Team, klar. Es ging hier um maximale Punkte. Aber für mich ganz persönlich war es natürlich ein schweres Rennen", sagt Bottas.

Gerade hatte der Finne eines der härtesten Rennen seiner ganzen Karriere durchgemacht, nicht nur in der Formel 1. Der Grund: Eine Mercedes-Teamorder zugunsten Lewis Hamiltons hatte Polesitter Bottas den so lange ersehnten ersten Saisonsieg auf dem Sochi Autodrom, seiner Leib- und Magenstrecke, gekostet.

Formel 1: Mercedes erklärt Teamorder in Russland

Den Start gewann der Finne noch, führte den Grand Prix in Sotschi im ersten Stint souverän an. Alles sah gut aus für Bottas. Alles danach, als dürfe er tatsächlich den Sieg behalten, müsse Hamilton nicht im WM-Kampf unterstützen. Doch nach den Boxenstopps kam es in Runde 25 zu genau dem Funkspruch von Mercedes, den Bottas schon vor dem Start zumindest fürchten musste. Das Team wies den Finnen an, Hamilton vorbeizulassen.

Hintergrund: Hamilton hatte zuvor bei seinem Stopp eine Position an Vettel verloren, musste sich mit aller Macht wieder am Ferrari vorbeikämpfen. Danach hing er in Dirty Air hinter Bottas. Offenbar zu viel für seine Soft-Reifen, besonders anfällig für das, was Hamilton dann auch monierte: Blasenbildung! Hamilton lief Gefahr, wieder von Vettel kassiert zu werden.

Bottas wunderte sich: Wieso kassiert Hamilton nicht Verstappen?

Genau das erklärte Chefstrategie James Vowles Bottas kurz darauf am Funk, als der sich schon beschwert hatte, warum Hamilton den zu diesem Zeitpunkt noch ohne Stopp führenden nun denn nicht attackiere: "Wieso fährt er nicht an Verstappen vorbei? Ich wäre das nächste mal vorbeigegangen!"

Kurz vor Rennende meldete sich Bottas dann nochmals am Funk, ob man nun denn nicht zurücktauschen könne. Immerhin war der Doppelsieg jetzt safe. Noch dazu hatte Bottas vor dem Wochenende angekündigt, voll auf eigenen Sieg zu gehen. Nicht nur noch Hamilton zu helfen, wie er nach Singapur bereits angesichts der aussichtslosen WM-Chance anerkennen musste. Doch nein. Absage. "Ein schwieriger Tag für dich, ein schwieriger Tag auch für uns. Wir sprechen später", funkte Toto Wolff mit einer guten Portion Mitgefühl an seinen Fahrer.

Nach dem Rennen: Bottas studiert Hamiltons Hinterreifen

Bottas selbst warf nach dem Rennen dann erst einmal einen ganz genauen Blick auf Lewis Hamiltons Hinterreifen, wollte genau wissen, ob es die Blasenbildung überhaupt gegeben hatte oder es hier wirklich einzig und allein um die WM gegangen war. Doch selbst das kann Bottas - allerdings nur mit gewaltigem Zähneknirschen - akzeptieren.

Bottas und Hamilton waren nach dem Russland GP trotz Doppelsieg beide nicht gut drauf, Foto: Sutton
Bottas und Hamilton waren nach dem Russland GP trotz Doppelsieg beide nicht gut drauf, Foto: Sutton

"Natürlich schauen wir uns immer alle Szenarien an und müssen auch die Fakten beachten. Lewis kämpft um den Titel und wir um den Konstrukteurstitel. Wir haben immer einen Plan, aber es ist auch schwierig, vorherzusagen, was im Rennen dann passiert. Aber so ist es jetzt eben", sagt Bottas wenig begeistert von einem Tag, der sein Tag hätte werden sollen.

Toto Wolff: Am Ende siegt Verstand über Emotion

Doch nicht nur Bottas ging es so. Selbst Sieger Hamilton und Wolff strahlten nach dem Rennen nicht gerade mit der Sonne um die Wette. "Wir sollten mit einem Doppelsieg über beide Ohren strahlen und im Grunde tun wir es auch, aber es lief noch immer zulasten von Valtteri. Es wäre ein Rennsieg für ihn gewesen und wir haben das geändert", hadert Wolff mit dem so unbeliebten Eingriff in den Sport. "Es ist ernüchternd für die Fahrer, ernüchternd für das Team."

Doch am Ende siegte der Verstand über die Emotion. Wolff: "Aber es gibt eben auch die harte Realität, dass du an einem solchen Tag die Führung in einer WM, die für uns zu gewissen Zeiten sehr hart und schwierig war, um sieben Punkte mehr ausbauen kannst."

Mercedes versichert: Teamorder nur wegen verpatzter Hamilton-Strategie

Von vornherein geplant gewesen sei der Platztausch jedoch nicht, meint Wolff. Das sei nur durch den falsch getimten Boxenstopps Hamilton und den Platzverlust gegen Vettel entstanden. "Wir hatten heute einen missglückten Call bei der Strategie durch den Lewis hinter Sebastian herausgekommen ist. Deshalb haben wir es dann gemacht. Wenn Lewis nicht diese Blase auf dem Reifen gehabt hätte und so unter Druck gestanden wäre, dann hätten wie das Ergebnis so gelassen", versichert Wolff bei RTL.

Denn: "Wir sind alle Racer und da willst du, dass der gewinnt, der der Schnellste auf der Strecke war. Das war heute Valtteri und er hätte es verdient gehabt. Als Rennfahrer kann ich verstehen, was jetzt in ihm vorgeht. Da hilft alles sprechen nicht", so Wolff.

Hamilton an Bottas: Habe nicht darum gebeten

Lewis Hamilton konnte sich angesichts all dessen nicht einmal über seinen Sieg freuen. Weil der geschenkt war. "Es fühlt sich nicht gerade großartig an. So habe ich mich als Erster im Ziel glaube ich noch nie gefühlt. Sehr gemischte Gefühle", so Hamilton.

Umso mehr Dank geht an Bottas. "Es ist ein ziemlich schwieriger Tag, denn Valtteri hat das ganze Wochenende einen fantastischen Job gemacht und war ein echter Gentleman, mich vorbeizulassen. Es gibt nicht viele Teamkollegen, die so etwas machen würden", lobt Hamilton, zollt Bottas Hochachtung. Für falsch hält er die Mercedes-Entscheidung jedoch nicht. "Er kämpft jetzt nicht mehr um die Meisterschaft", sagt Hamilton. "Ich habe ihm aber versichert, dass das auf jeden Fall nichts war, worum ich gebeten habe."