Für Lewis Hamilton hätte das 16. Rennen zur Formel-1-Saison 2018 in Russland kaum besser laufen können. Mit dem dritten Sieg in Folge baute der Mercedes-Pilot seine WM-Führung gegenüber Sebastian Vettel in Sotschi auf komfortable 50 Punkte aus. Sein achter Triumph in diesem Jahr hinterließ beim Briten trotz allem einen faden Beigeschmack.

"Nicht allzu viel" fühlte Hamilton unmittelbar nach seinem Sieg in Russland, als er im Vorraum der Podiumszeremonie nach seiner Gemütslage befragt wurde. Das russische Staatsfernsehen hätte sich vom Sieger des Großen Preises von Russland sicherlich eine andere Antwort erhofft. Doch die Umstände von Hamiltons drittem Sieg auf dem Sochi Autodrom sorgten bei keinem Mitglied des Mercedes-Teams für Jubelstürme.

"Das ist ehrlich gesagt der seltsamste Tag, an den ich mich in diesem Sport erinnern kann. Eigentlich sogar in meiner Karriere, wenn ich ehrlich bin", so Hamilton, der trotz des Sieges keine Miene verzog. "Rennfahrer existieren um zu gewinnen. Und wenn wir das nicht tun, ist es so, als ob du uns die Luft zum atmen nimmst, ja sogar das Leben. So tief geht es", sagt er. "Ich würde das niemals jemandem wünschen und ich würde es auch niemals von jemandem einfordern. Ich habe es im Meeting davor mit Toto und den Jungs klargestellt: So will ich nicht gewinnen."

Dass es am Ende doch dazu kam, missfiel ihm. "Valtteri hat das gesamte Wochenende einen fantastischen Job gemacht und er war ein wahrer Gentleman, mich vorbeizulassen", erklärt er sichtlich zerknirscht. "Einen Doppelsieg einzufahren sollte uns eigentlich überglücklich machen, aber ich kann verstehen, wie schwierig das für Valtteri war. Er hatte es wirklich verdient, zu gewinnen." Bottas hatte das Rennen von der Pole Position aus vom Start weg angeführt.

Hamiltons Russland-Sieg "fühlt sich nicht gut an"

In der 25. Runde kam jedoch der Call vom Silberpfeil-Kommandostand, Hamilton in Kurve 13 passieren zu lassen. Der Finne fuhr demonstrativ für den Teamkollegen zur Seite. Obwohl von Vettel in der Schlussphase keine Gefahr mehr ausging, tauschte Mercedes nicht wie 2017 in Ungarn zurück. Damals wurde Bottas ebenfalls angewiesen für Hamilton Platz zu machen, bekam seine Position jedoch kurz vor Schluss zurück.

"Es fühlt sich nicht gut an", so Hamilton, der mit einem Funkspruch mehr oder weniger selbst die taktische Maßnahme angestoßen hatte. In der Dirty Air von Bottas klagte Hamilton über Blasenbildung auf seinen Reifen, woraufhin sich Mercedes zur Stallregie entschied. Zunächst nur um ihm freie Fahrt zu verschaffen, aus der dann letztendlich der Sieg entstand. "Ich glaube nicht, dass ich jemals Erster geworden bin und mich so gefühlt habe wie jetzt", konstatiert Hamilton.

"Ich habe definitiv gemischte Gefühle, denn natürlich willst du den Vorsprung in der Weltmeisterschaft ausbauen, aber wir sind hier als Team und es gibt zwei Weltmeisterschaften", erklärt der 33-Jährige, dass Mercedes offenbar befürchtete, dass Vettel beide Silberpfeile kassieren und somit das Teamresultat zerstörten könnte.

Wolff nach Teamorder zwiegespalten: Sind im Herzen alle Racer

"Wir sind im Herzen alle Racer und was wir sehen wollen, ist Racing, dass der schnellste Mann gewinnt", so Mercedes-Teamchef Toto Wolff. "Aber dann sind wir auch rationale Typen, und wir diskutieren viele Dinge am Morgen, doch dann ist im Rennen alles anders." Dass Vettel nach Rennhälfte immer noch in Schlagdistanz sein würde, war am Sonntagmorgen offenbar nicht geplant.

"Wir sollten überglücklich mit dem Doppelsieg sein, und das sind wir innerlich auch, aber es ging gegen Valtteri. Es hätte für ihn ein Rennsieg sein sollen, und wir haben eingegriffen", so der Österreicher weiter. "Wir können gut verstehen was in einem Rennfahrer vorgeht, da hilft alles erklären und sprechen nichts."

"Es ist für die Fahrer und das Team ernüchternd, aber die harte Realität ist, dass du an solch einem Tag die Führung um sieben Punkte mehr ausbauen kannst, in einer Weltmeisterschaft die manchmal sehr hart und schwierig war." In Anbetracht von Bottas längst verlorener WM-Chance war es auch für Hamilton vertretbar: "Er kämpft jetzt nicht mehr um die Weltmeisterschaft, so wie wir."

Hamilton dachte an Tausch: Erinnerte mich an Budapest 2017

Kurzzeitig dachte Hamilton aber doch daran, Bottas den Platz zurückzugeben. "Es ging mir durch den Kopf, ich dachte wirklich drüber nach", so der Rennsieger. "In den letzten zwölf Runden dachte ich, es fühlt sich so seltsam an, hier in Führung zu liegen. Ich erinnerte mich an Budapest letztes Jahr, aber ich erinnerte mich auch daran, wie das Team mir sagte, welches Ergebnis wir dieses Wochenende brauchen."

Die 2016 letztendlich aufgrund eines einzigen Motorschadens in Malaysia verlorene WM hat Hamilton aber anscheinend auch noch nicht vergessen: "Wir brauchen diese zehn Punkte, denn wenn das Auto mal kaputtgeht, oder wir zwei Motoren verlieren und damit die WM wegen einem oder drei Punkten, würden wir auf diesen Tag zurückschauen und sagen, dass wir nicht als Team gearbeitet haben."

Hamilton dankt Bottas: Nicht viele würden das machen

Für Bottas war der Verlust dennoch schmerzhaft, konnte der Finne in der Saison 2018 noch kein Rennen gewinnen. Mehrmals war er nah dran, doch das nötige Quäntchen Glück fehlte jeweils. Vor allem der Reifenschaden, der ihm wenige Runden vor Schluss in Baku den Sieg raubte, war eine bittere Niederlage. "Es gibt nicht viele Teamkollegen, die so etwas machen würden", betont Hamilton, der offenbar vergaß, dass er diesen Luxus bei Rosberg auch einmal genießen durfte.

2016 musste Rosberg in Monaco Platz machen, weil dieser Hamiltons Pace nicht gehen konnte und dem Teamkollegen im Weg stand. Damals gewann Hamilton das Rennen ebenfalls, profitierte allerdings auch von einem misslungenen Red-Bull-Boxenstopp, der Daniel Ricciardo des sicheren Sieges beraubte.