Das Qualifying zum Russland GP der Formel 1 in Sotschi war 2018 eine kuriose Angelegenheit. Durch unzählige Motorenstrafen gegen ein Viertel des Feldes war Q1 effektiv schon am Freitag über die Bühne gegangen. Q2 fiel am Samstag daraufhin so gut wie aus. Hintergrund: Gleich fünf Fahrer setzten in der zweiten Session keine Zeit.

Darunter befanden sich mit den beiden Red Bull und Pierre Gasly drei Piloten mit Strafversetzung. Von diesem Trio war zu erwarten gewesen, dass sie keine Reifen verschwenden würden, um in Q3 zu kommen. Doch auch die beiden Renault von Nico Hülkenberg und Carlos Sainz entschlossen sich dazu, im Q2 nicht anzuschreiben. Und das ganz bewusst, nicht durch irgendwelche Defekte.

Renault: In Q3 zu langsam, deshalb Spezial-Taktik

Sportdirektor Alan Permane erklärt die Taktik: "Indem wir in Q2 nicht gefahren sind, sind wir in der Startaufstellung die ersten Autos mit einer freien Reifenwahl am Start. Wir erwarten, dass das zu einer stärkeren Rennperformance führt."

Hintergrund dessen ist, dass Renault sich in Q3 kaum etwas ausgerechnet hätte, wäre man überhaupt eingezogen. "Leider mussten wir anerkennen, dass unsere Pace nicht stark genug war, um um P5 oder P6 zu kämpfen. Deshalb war es zu attraktiv, eine freie Reifenwahl zu haben, als dass wir es mit dieser Reifenauswahl hier hätten ignorieren können", sagt Sainz. "Wir haben das Potential dieser Strategie schon in Singapur gesehen."

Hypersoft am Start in Sotschi großer Nachteil

Hülkenberg bestätigt: "Heute sind wir eine weise Strategie gefahren. Eine wirklich tolle Qualifying-Position war heute außer Reichweite was die reine Pace anging. Also haben wir uns für diesen Ansatz entschieden, der bedeutet, dass wir das Rennen nicht auf den Hypersoft-Reifen starten müssen."

Tatsächlich hatte sich genau das bereits in Singapur als starke Strategie erwiesen. Romain Grosjean hatte vor dem Wochenende in Russland deshalb sogar schon überlegt, das Q3 absichtlich zu verpassen. Umgesetzt hat es der Franzose - wie alle anderen auch - dann aber nicht. Bis auf Renault eben, die offenbar als einzige erkannt hatten, dass in Russland die ersten Plätze mit freier Reifenwahl dann absolut sicher sind.

Demgegenüber durften sich Force India, Haas und Sauber - anders als Renault - im Q3 allesamt aber auch noch echte Chancen auf den dort besten Platz hinter Mercedes und Ferrari ausrechnen. Dementsprechend ist deren Entscheidung nicht per se als falsch zu deklarieren. P5 mit Hypersoft könnte sich im Rennen durchaus noch als besser erweisen als P11 mit Ultrasoft oder gar Soft am Start.

Das Ende der Top-10 dürfte gegen die Renault allerdings schon sehr viel eher ein Problem bekommen - zumal der Hypersoft in Sotschi gerade mit vollgetanktem Auto zu vermeiden ist. Dann verschleißt der Reifen extrem. Später - mit leichtem Auto - ist er laut Pirelli absolut geeignet. Auch für einen Einstopper nach Start auf Ultrasoft. "Warten wir mal ab, ob es sich auszahlt. Wenn sie Fünfter und Sechster werden, dann war es die richtige Wahl", kommentiert Gasly die Entscheidung des Konkurrenten.

Gasly stinkig auf Regeln: Stillstand-Qualifying sah dumm aus

Dem Franzosen könnte die ganze Thematik an für sich egal sein, betrifft sie ihn wegen seiner Strafversetzung ohnehin nicht. Doch stieß Gasly schlicht sauer auf, das Q2 so nur noch langweiliger wurde. Immerhin fuhr ein Drittel des Feldes nicht. Einen Vorwurf an Renault strickte Gasly daraus jedoch nicht. Aber an das Reglement der Formel 1.

Gasly: "Man muss eine Lösung finden und andere Strafen erteilen. Wenn du dir das Qualifying ansiehst, in dem in Q2 alle fünf Autos von P11 bis P15 nicht gefahren sind, dann sieht das wirklich dumm aus. Gerade halten die Regeln die Teams nicht gerade dazu an, dann in Q2 überhaupt zu fahren. Die Startposition sollte sich dann wenigstens für uns durch das Qualifying-Ergebnis entscheiden."

Stattdessen geht es bei Motorenstrafen aktuell danach, wer am Freitag zuerst auf die Strecke fährt. Je früher, desto besser dann der Startplatz unter ans Ende des Grids versetzten Fahrern. Auch Carlos Sainz selbst führte die Taktik nur mit einem weinenden Auge aus: "Als Fahrer willst du immer raus, ans Limit gehen. Für mich ist das Qualifying immer einer der besten Momente des Wochenendes, weil du diese 2018er Autos voll am Limit fährst und das gerade mit dem Hypersoft Spaß macht." Auch der Spaniner fordert daher, die Regeln zu überdenken.

Wie lange währt Renault Vorteil im Rennen?

Aber zurück zu Renaults Taktik-Vorteil. Insgesamt zähle letztlich doch die rohe Pace mehr als alles Taktieren, relativiert Sainz das ganze Thema. "Am Ende wird aber unsere Pace die Position entscheiden, aber wir haben uns so immerhin die beste Chance für das Rennen verschafft", so der Spanier. Auch Permane sieht den Vorteil nur vorübergehend.

"Unsere Herangehensweise ist, dass wir Positionen gewinnen wollen, wenn die, die vor uns liegen, früh an die Box müssen, weil die Hypersofts eine so kurze Lebensdauer haben. Das wird uns früh im Rennen helfen, aber wir erwarten trotzdem einen sehr engen Kampf", sagt Renaults Sportdirektor.