Es war die sicher größte Kontroverse der vergangenen Formel-1-Saison: Als zur Sommerpause 2017, also heute vor grob einem Jahr, der Wechsel von FIA-Technikdirektor Marcin Budkowski zum Renault F1 Team publik wurde, liefen diverse Konkurrenten Sturm und die Tastaturen der F1-Medien heiß. Von einem regelrechten Skandal war die Rede.

Hintergrund: Die Angst, der Pole könne brisantes Wissen mit zu den Franzosen nehmen. Geheimnisse, die er sich durch seine Funktion beim Weltverband von allen Formel-1-Teams, also Renaults direkten Konkurrenten, angeeignet hatte. Die Folge: Es musste ein Kompromiss über den genauen Zeitpunkt des Wechsels gefunden werden.

Am Ende nahm Budkowski seine Tätigkeit bei Renault zum 1. Januar 2018 auf, durfte jedoch für drei Monate noch nicht im F1-Kontext arbeiten. Das geschah demnach zum ersten April als der heute 41-Jährige seine Tätigkeit in Enstone aufnahm. Kurz darauf war Budkowski beim Aserbaidschan GP erstmals im Renault-Dress auch an der Strecke zu sehen.

Doch dauerte es bis Singapur, dass sich der neue Executive Director Renaults, wie Budkowskis Posten bei Renault sich nennt, erstmals in aller Ausführlichkeit der Presse stellte. Motorsport-Magazin.com war beim Budkowski-Briefing auch dabei und liefert alle Einschätzungen des Polen zum Transfer-Eklat selbst, seiner neuen Rolle bei Renault und seinen Ambitionen mit dem französischen Werksteam.

Budkowski: Transfer-Skandal aufgeblasen, Grundlage sowieso passé

Los ging's natürlich mit dem großen Thema des Vorjahres. Wie nahm Budkowski den Skandal um seine eigene Person selbst wahr? Kernaussage: Welcher Skandal? Budkowski: "Ehrlich gesagt war ich schon etwas überrascht. Es war ziemlich aufgeblasen. Es war etwas ..." Insgesamt würde sich der Pole das heikle Thema natürlich gerne sparen. "Das ist eigentlich keine Frage für mich sondern für die FIA, was das angeht", lenkt der Renault-Mann zunächst bezüglich der damals so großen Bedenken anderer Teams ab.

Doch seine Einschätzung liefert er dann doch. "Ich kann die Bedenken natürlich nachvollziehen, klar. Es geht um zwei Dinge. Das Eine ist, dass es damals eine sehr ruhige Zeit in der Formel 1 war und nicht viel geschehen ist. Deshalb wurde das Thema zu einer größeren Geschichte gemacht als sie wirklich war", kritisiert Budkowski einerseits das Medien-Beben.

"Und dann war es für einige Teams ein wenig hilfreich, da eine Kontroverse reinzubringen", meint der Pole andererseits mit Blick auf scharfe Aussagen der Renault-Rivalen im Paddock. "Aber ja, ich kann verstehen warum diese Rolle hervorsticht - wie jede Rolle in der FIA und Formel 1", gesteht er jedoch. Ein Stück weit habe man das erwarten müssen. Deshalb sei er die drei Monate zu Jahresbeginn auch einzig in Viry gewesen, noch nicht an seinem heute tatsächlichen Einsatzort in Enstone.

"Das war gelöst von jeder Form von Aktivität", versichert Budkowski. Und auch nicht so schlecht gewesen, um Renault als Organisation an sich, die Menschen kennenzulernen. Für nicht wenige dennoch eine zu kurze "Gardening Leave", wie es im Fachjargon so schön heißt. "Ob das genug war? Da bin ich nicht derjenige, der sagen sollte 'ich habe da kein Problem mit, so schnell zu wechseln'", so Budkowski. "Aber in der Formel 1 geht es eben schnell", winkt Budkowski ab.

Der wichtigste Aspekt sei jedoch, dass Kern des Anstoßes ohnehin das 2017 ebenfalls brisante Thema einer aktiven Aufhängung gewesen sei. Weil im Reglement für 2018 hier verschärft wurde, sei sein Wechsel im Nachhinein ohnehin weniger kontrovers, erklärt Budkowski. "Das, wozu ich da Zugang hatte, das, was die Kontroverse ausgelöst hat, existiert dieses Jahr sowieso nicht mehr", sagt Budkowski.

Auch gegen Vorwürfe, er sei nur zur FIA gegangen, um bewusst seinen Marktwert für Teams - eben wegen möglicher Geheimnisse - zu steigern, weist Budkowski zurück: "Als ich bei der FIA angefangen habe, habe ich angefangen, um es langfristig zu machen. Das ist jetzt nicht so gekommen wie geplant, eine Gelegenheit tat sich auf und jetzt bin ich bei Renault. Aber es war sicher kein Plan, meine Karriere so nur voranzutreiben."

Marcin Budkowski: Das ist mein Job bei Renault

Voranzutreiben gilt es nun umso mehr das Renault-Projekt. Doch was macht Budkowski eigentlich genau? Wie lief sein Einstand? Was ist sein erster Eindruck? "Ich habe im April in Enstone angefangen und hatte vorher noch einen Abstecher für die ersten drei Monate in Viry eingelegt. Einfach nur, um die Renault-Seite der Dinge etwas mehr kennenzulernen und dem Corporate-Aspekt Renaults näherzukommen, um die Leute zu treffen ...", schildert Budkowski Motorsport-Magazin.com. "Das klingt etwas trivial, aber wenn du einen Vollzeit-Job hast, dann wirst du damit zu kämpfen haben, die Zeit zu finden all die vielen Leute zu treffen."

Vor seinem Renault-Posten arbeitete Budkwoski für die FIA, Foto: LAT Images
Vor seinem Renault-Posten arbeitete Budkwoski für die FIA, Foto: LAT Images

Doch erst in England lernte Budkowski dann die eigentliche Truppe kennen. "Enstone ist großartig. Dieses Team hat eine ganz besondere Geschichte, ist durch so viele Dinge gegangen", schwärmt er. "Es gibt dort einen Kern von Leuten, die dieses Team in den Lotus-Jahren zusammengehalten haben und die immer noch der Kern sind, die jetzt die Grundlage des Teams bilden."

Sein Job: "Ich decke die technischen und operativen Belange des Teams ab. Das ist meine Verantwortung. Also technische Abteilungen, technischer Direktor, operative Abteilungen und Direktoren, die berichten alle an mich", so Budkowski zu Motorsport-Magazin.com. Alle Schnittfunktionen wie Marketing oder Personal seien dagegen weiter Teamchef Cyril Abiteboul unterstellt. "Aber alles, was mit der Konzeptionierung des Auto-Designs, der Produktion, Lieferung und den Abläufen an der Strecke zu tun hat, steht unter meiner Aufsicht", erklärt Budkowski.

Klingt nach jeder Menge Arbeit. Doch jeden Stein umgedreht hat der Pole deshalb nicht. "Es ist erstmal eine Phase gewesen, in der du die Leute einmal triffst und die Organisation kennenlernst. Es macht keinen Sinn, zu kommen und in Woche eins alles zu ändern. Das wäre dumm. Ich will nicht alles ändern, nur um zu zeigen, dass ich da bin." Erst müsse man verstehen, was wie funktioniere, dann Anpassungen vornehmen.

Marcin Budkowski: Renault-Angriff auf drei Top-Teams erst 2021 wirklich drin

Und diese Anpassungen sind bei Renault vorzunehmen. Das zeigt der Blick auf die sportlichen Ergebnisse ganz klar. Denn noch ist das Werksteam nicht da, wo es hingehört, sich auch selbst sieht. Im Kampf der Top-Teams, dem Konzert der Großen, mit Titelchancen. Doch dauere es in einer großen Organisation eben. Renault sei nach der Übernahme des Lotus-Teams im Dezember 2015 weiterhin noch im Aufbau, ergänzt Budkowski. "Wir werden bis Ende dieses Jahres um 50 Prozent gewachsen sein", sagt der Pole. "Aber wenn du die eine Veränderung machst, dann springt noch einfach alles ganz plötzlich an den richtigen Ort."

Budkowski gilt als rechte Anhand von Renault-Teamchef Cyril Abiteboul, Foto: LAT Images
Budkowski gilt als rechte Anhand von Renault-Teamchef Cyril Abiteboul, Foto: LAT Images

Das Potential sei aber voll und ganz da. "Es ist ein großartiges Projekt. Wir haben jüngst so viele Leute angelockt. Das beweist, dass es ein tolles Projekt ist. Sie waren dabei, das Team neu aufzubauen und es gab eine Gelegenheit, Teil davon zu werden. Das ist ziemlich spannend. Ein Team aufzubauen, mit vielen Änderungen, die jetzt auch noch anstehen, wie Budgetobergrenzen und begrenzten Ressourcen. Das ist eine Herausforderung, die es wert ist anzunehmen", so Budkowski auch nochmal über seien Gründe für Renault.

Genau hier sieht der Pole auch die größte - vielleicht gar einzige - Chance, wirklich den ganz großen Schritt nach vorne gehen zu können. "Die Regeländerungen für 2021 kommen für uns zur so ziemlich genau richtigen Zeit beim Wiederaufbau des Teams und dafür, es dafür bereit zu machen, gegen die Top-3 zu kämpfen", so Budkowski. Vorher sei das angesichts des aktuell eher noch größer gewordenen Rückstands schwer, ja vermessen zu erwarten.

"Es gibt viele Dinge, die wir besser machen können. Sonst würden wir ja Rennen gewinnen", erklärt Budkowski lachend mit einem simplen Fakt. Darauf würden die bald schon 700 Leute bei Renault auch brennen. "Aber damit sind wir noch immer etwas kleiner als die anderen großen Teams da draußen. Aber es geht auch nicht um die Anzahl. Es dauert einfach bis die ganze Leistung der 700 auch ans Auto kommt", sagt Budkwoski. Zudem müssten Neuverpflichtungen erst integriert werden - wie er selbst eben auch. "Da dauert es schonmal drei bis sechs Monate bis die voll dabei sind."

Renaults Technischer Direktor Nick Chester ist Budkowski direkt unterstellt, Foto: LAT Images
Renaults Technischer Direktor Nick Chester ist Budkowski direkt unterstellt, Foto: LAT Images

Renault müsse daher geduldig bleiben. "Dieses Jahr können wir Vierter werden. Das ist uns Ziel. Der Plan ist ein langfristiger Plan. Es ist ja nicht Renaults Absicht, auf dem vierten Platz zu bleiben. Ein Fortschritt ist ja schon zu sehen von P9 und dann Sechster im vergangenen Jahr. Der Plan ist, irgendwann aufhören zu können auf die Top-3 nur aufholen zu müssen. Ob wir dann gerade Vierter oder Fünfter werden ist so gesehen irrelevant. Unser Plan ist, die Lücke zu den Top-3 anzugehen und wenn wir das haben, dann in ihrem Kampf mitzumischen und sie nach Möglichkeit auch zu schlagen."

Wie Budkowski umstandslos zugibt eine unfassbar schwere Aufgabe. "Wir müssen uns deshalb erstmal wirklich als das Team etablieren, dass sich auf dem Mittelfeld befreit", sagt er. Das wollte Renault eigentlich schon 2018, sah bei den Wintertests sogar so aus. Doch es kam anders. "Aber wir wollen das Team sein, dass damit beginnt, den Topjungs näher zu kommen", sagt Budkowski.

Dazu müsste man den Rückstand auf Mercedes, Ferrari und Red Bull jedoch auf einen schlag drastisch reduzieren. Geht das 2019? "Relative Hausnummern zu geben ist schwer, denn es hängt auch vom Fortschritt der anderen ab", weicht Budkowski aus. Doch fordert er zugleich: "Wir müssen uns vom Mittelfeld abheben."

Von Angriff nach ganz vorne ist kurzfristig also keine Rede mehr bei Renault. "Ich hoffe natürlich, dass es anders sein kann. Aber wir müssen Schritt für Schritt gehen. Wir sind 1,5 Sekunden hinter den Topjungs", stellt Budkowski klar. Er könne sich nicht hinstellen und sagen, das gegen 'massive Organisationen' wie Ferrari und Mercedes so schnell aufzuholen. "Wir sind jetzt zwei Jahre gewachsen, sie haben aber über Jahre Strukturen mit 900 Leuten und profitieren von dieser Stabilität", erklärt er.

"Deshalb kann ich nicht sagen, dass wir sie nächstes Jahr schlagen werden. 2020 könne wir aber hoffentlich enger mit ihnen kämpfen." Ankündigungen gebe es von ihm hier aber keine. Höchstens für 2021. "Wenn das ein echtes Regel-Reset wird, dann bringt das immer Gelegenheiten und Risiken. Dann ist es möglich, sofort da zu sein. Und dann haben wir auch eine reifere Organisation und Strukturen geschaffen. Dann gibt es keinen Grund mehr, der dagegen spricht. Unsere Ambitionen für 2021 müssen hoch sein. Vorher müssen wir einfach Fortschritt zeigen. Wenn der schon reicht - fantastisch. Aber das will ich nicht prognostizieren."