Die Formel 1 reist für das neunte Rennen der Saison 2017 nach Österreich und der WM-Fight zwischen Mercedes und Ferrari steht unter ganz neuen Vorzeichen. Die Frage aller Fragen vor dem Rennen in der Steiermark: Wie werden die WM-Rivalen Lewis Hamilton und Sebastian Vettel nach dem Rammstoß von Baku beim nächsten aufeinandertreffen miteinander umgehen? Und nicht nur an der Spitze brodelt es, denn auch dahinter hängt der eine oder andere Haussegen schief. Das sind die sieben Brennpunkte für den Großen Preis von Österreich.

Brennpunkt #1: Hamilton vs. Vettel nach dem Baku-Skandal

Im Duell Lewis Hamilton vs. Sebastian Vettel beginnt mit dem Österreich GP 2017 eine neue Zeitrechnung. War der Saisonstart noch von Respektsbekundungen und gegenseitiger Anerkennung geprägt, war in Baku erstmals Schluss mit der vermeintlichen 'Bromance' der WM-Rivalen. Das bis dato gepflegte Fairplay wurde von Vettel beim Grand Prix von Aserbaidschan mit seinem Foul am Mercedes-Piloten erstmals über Bord geworfen. Seitens der Offiziellen dürfte die Angelegenheit mit der Verhängung von Sozialstunden für den Ferrari-Piloten am vergangenen Montag erledigt sein. Sportlich beschränkten sich die Sanktionen auf eine 10-Sekunden-Stop-&-Go-Strafe während des Rennens.

Gegenüber den Medien zeigte sich Mercedes nach der Aktion Vettels wenig nachtragend. Die Teamführung rund um Silberpfeil-Boss Toto Wolff will dem bisher so spannenden WM-Kampf wohl nur ungerne einen faden Beigeschmack verpassen, war Vettels Aktion doch ohnehin eindeutig. Auch Ferrari möchte wohl möglichst schnell Gras über die Angelegenheit wachsen lassen. Einzig Hamilton machte seinem Unmut unmittelbar nach dem Rennen Luft und zeigte sich vom Verhalten des Rivalen mehr als enttäuscht. "Viele Kinder schauen uns im Fernsehen zu und sehen einen vielfachen Weltmeister, von dem man denken sollte, dass er sich besser benehmen kann", stellte der Brite Vettels Tauglichkeit als gutes Vorbild in Frage.

Möglicherweise veranlasste gerade diese Aussage die FIA dazu, Vettel lediglich als Referent für richtiges beziehungsweise falsches Benehmen in die Nachwuchskategorien zu schicken und von einer härteren sportlichen Bestrafung abzusehen. Hamilton dürfte das kaum genügen. Verlor er in Baku doch zwei wichtige WM-Punkte auf den Rivalen, was für ihn durch die ausgesprochenen Sozialstunden kaum besser wird. Für Spielberg ist zu erwarten, dass die Beteiligten in Sachen Kommunikation eine Strategie der Deeskalation fahren. Doch auf der Rennstrecke weht seit jeher ein anderer Wind: Sollte es wieder zum Kopf-an-Kopf-Duell kommen, wird keiner der Beiden auch nur einen Zentimeter nachgeben.

Brennpunkt #2: Heimspiel für Red Bull zum richtigen Zeitpunkt?

Aserbaidschan GP 2017: Alex Kristan analysiert als Niki Lauda das Rennen in Baku: (04:41 Min.)

Red Bulls Titelchancen erklärte Helmut Marko schon nach wenigen Rennen für verloren. Seitdem hat es sich die Truppe rund um Max Verstappen und Daniel Ricciardo zum Ziel gesetzt, Mercedes und Ferrari zumindest hin und wieder in die Parade zu fahren. In Aserbaidschan gelang den Bullen dies zum ersten Mal. Beim achten Saisonrennen in den Straßen Bakus konnte Ricciardo den ersten Saisonsieg für die Österreicher einfahren - jedoch nicht ganze ohne Hilfe der Konkurrenz, denn alle vier Fahrern der Top-Teams erlebten an diesem Sonntag ein Debakel. Bei Red Bull verzeichnete man allerdings schon vorher einen Aufwärtstrend, der die Hoffnung auf besser Ergebnisse im weiteren Saisonverläuft schürt.

"Ich denke, die Performance im Qualifying war noch ermutigender. Es war ersichtlich, dass wir unser Auto verbessert haben und wir uns in die richtige Richtung bewegen", zeigte sich Teamchef Christian Horner zuversichtlich, nachdem Verstappen auf Augenhöhe mit Ferrari unterwegs war. Allerdings fehlte auf Mercedes nach wie vor eine Sekunde. Angesichts dessen liegt nahe, dass das schlechte Abschneiden der Scuderia die Bullen besser aussehen ließ, als sie es tatsächlich waren. Rennsieger Ricciardo war dies nicht entgangen: "In Relation zu Ferrari haben wir den Abstand etwas verringert. Wenn wir das auf anderen Strecken umsetzen könnten, wäre das stark." Ob Red Bulls Aufschwung von Baku nur eine Täuschung war oder ob die Mannschaft den RB13 nun besser im Griff hat, wird sich beim Heimrennen zeigen.

Brennpunkt #3: Mad Max vor dem Ende seiner Pechsträhne?

Max Verstappen erlebt bisher eine Seuchen-Saison, Foto: Sutton
Max Verstappen erlebt bisher eine Seuchen-Saison, Foto: Sutton

Während Daniel Ricciardo sich in Baku ein Loch in den Bauch freute und genüsslich den Sieges-Champagner aus seinem Schuh genoss, schob Stallgefährte Max Verstappen wieder einmal Frust. Der 19-jährige erlebt in seiner dritten Formel-1-Saison bisher eine absolute Talfahrt. Christian Horner attestiert dem Shooting Star die beste Form seines Lebens: "Er fährt im Moment unglaublich beeindruckend. Er hat wirklich nochmal einen Gang hochgeschaltet." Doch die Ergebnisse bleiben trotzdem aus. Vier Ausfälle hatte Verstappen in den letzten sechs Rennen zu beklagen - jedes Mal unverschuldet. "Jetzt gerade ist er sehr frustriert. Und was es für ihn noch schlimmer macht, ist, dass sein Teamkollege Podien einfährt und gewinnt", fügte Horner an.

Im zweiten gemeinsamen Jahr präsentiert sich Verstappen in der Tat regelmäßiger als Red Bulls heißeres Eisen. Zog der Niederländer 2016 im Qualifying-Duell noch mit 6:11 den Kürzeren, führt er gegen Ricciardo momentan mit 5:3. Nach Punkten liegt er jedoch mit 45 zu 92 Zählern zurück. Die Misserfolge zehren zunehmend am Nervenkostüm Verstappens, der sich auch den einen oder anderen schnippischen Kommentar über Simulator-Sessions ohne Motorschäden und dergleichen nicht verkneifen konnte. Horner bleibt momentan nichts anderes übrig, als seinem Youngster Mut zuzusprechen: " Er hat eine Pechsträhne, aber das wird sich auch wieder ändern. Das tut es immer und ich bin zuversichtlich, dass es bald der Fall sein wird. Ein gutes Ergebnis ist nicht weit entfernt."

Brennpunkt #4: Dicke Luft bei Force India & Toro Rosso

Bei Force India treffen mit Sergio Perez und Esteban Ocon zwei Kämpfer aufeinander, Foto: Sutton
Bei Force India treffen mit Sergio Perez und Esteban Ocon zwei Kämpfer aufeinander, Foto: Sutton

Beim Chaos-Rennen in Baku hätte für Force India die ganz große Stunde schlagen können. Doch stattdessen trugen Sergio Perez und Esteban Ocon mit ihrer Kollision zum Durcheinander bei, von dem andere schlussendlich profitierten. "Wir hätten um den Sieg kämpfen können", so der untröstliche Perez, der wenig Verständnis für das Verhalten des Stallgefährten zeigte. Bei Force India gab man sich diplomatisch, hinter verschlossener Tür dürfte es aber trotzdem eine relativ klare Ansage gegeben haben. Laut Ocon ist die Sache nun vom Tisch: "Ich habe mit Sergio über den Vorfall gesprochen und es ist jetzt abgehakt. Wir sind Profis und keine Amateure, die sich darüber streiten müssen:" Ob sich das pinke Duo in Zukunft zusammenreißt bleibt abzuwarten. Ocon rückt Perez immer mehr auf die Pelle. Der wiederum fährt die Ellenbogen aus, um seinen Status als Teamleader zu behalten.

Ebenfalls heiß her ging es zuletzt bei Toro Rosso. In Kanada drohte Daniil Kvyat die Einstellung sämtlicher Zusammenarbeit mit Carlos Sainz an, nachdem dieser behauptet hatte, im Qualifying nicht den versprochenen Windschatten vom Teamkollegen erhalten zu haben. In Baku gleich der nächste Clash: In Kurve 1 verbremste sich Kvyat, schoss geradewegs zurück auf die Ideallinie und zwang Sainz zu einem Ausweichmanöver, das in einem Dreher endete. Der Spanier fluchte im Funk zunächst über das rücksichtlose Verhalten des Stallgefährten, gestand hinterher jedoch, dass er es in dessen Position kaum anders gemacht hätte. Mehr als Anflug von Diplomatie dürfte diese Aussage allerdings nicht gewesen sein. Anders Kvyat, der nach wie vor auf dem Standpunkt beharrte, Sainz hätte sich auch ohne seine Aktion gedreht.

Brennpunkt #5: Bewährungsprobe für Stroll

Lance Stroll muss beweisen, dass Baku kein glücklicher Ausrutscher war, Foto: Sutton
Lance Stroll muss beweisen, dass Baku kein glücklicher Ausrutscher war, Foto: Sutton

Nach einem völlig verkorksten Start in seine Rookie-Saison sah sich Williams-Pilot Lance Stroll jeder Menge Kritik ausgesetzt. In Baku, so scheint es, ist der Knoten endlich geplatzt. Nachdem er im Qualifying erstmals Teamkollege Felipe Massa hinter sich lassen konnte, hielt er sich am Sonntag aus sämtlichem Chaos heraus und manövrierte seinen FW40 fehlerfrei auf einen starken dritten Platz. Zusammen mit der Punktepremiere von Montreal ist beim 18-Jährigen derzeit ein deutlicher Aufwärtstrend erkennbar. Der zeigte sich von seinem überraschenden Besuch auf dem Podest entzückt und gleichzeitig unbeeindruckt, was sein Standing in der Formel 1 angeht: "Ich denke nicht, dass ich etwas bewiesen habe. Ich höre mir dieses Zeug [Kritik] nicht an, das ist nur Lärm, nur Leute, die reden."

In der Tat überzeugte Stroll mit seinem Auftritt in Baku nicht jeden. Chef-Kritiker Jacques Villeneuve gestand zwar, dass sein Landsmann sich in Aserbaidschan besser als bisher anstellte, doch über alle Brücken wollte er nicht gehen. Schließlich habe Stroll mit seinen zahlreichen Privat-Tests Möglichkeiten, welche die Gegner nicht haben. "Es ist nicht fair den anderen Piloten gegenüber, dass er als Einziger dank seines Geldes dieses Privileg hat", so der Weltmeister von 1997. Am Red Bull Ring geht es für Stroll darum, der Welt zu zeigen, dass seine Performance aus Baku nicht nur eine Eintagsfliege war. Traditionell sollte der Williams in Spielberg gut unterwegs sein: 2014 fuhr Massa in der Steiermark die bisher letzte Pole Position für den Traditionsrennstall ein.

Brennpunkt #6: Sauber immer noch herrenlos

Sauber hat bisher noch keinen Nachfolger für Monisha Kaltenborn bekanntgegeben, Foto: Motorsport-Magazin.com
Sauber hat bisher noch keinen Nachfolger für Monisha Kaltenborn bekanntgegeben, Foto: Motorsport-Magazin.com

Über zwei Wochen nach der Entlassung von Monisha Kaltenborn hat Sauber vor dem Grand Prix von Österreich immer noch keinen offiziellen Nachfolger für die ehemalige Teamchefin benannt. In Baku leiteten zuletzt Teammanager Beat Zehnder und Technikdirektor Jörg Zander das Geschehen bei den Schweizern. Sportlich lief es dabei mit dem zehnten Platz und einem weiteren WM-Punkt für Pascal Wehrlein nicht schlecht. Langfristig wird jedoch ein Ersatz für Kaltenborn benötigt. Bereits in Aserbaidschan wurde gemunkelt, dass der ehemalige Renault-Mann Frederic Vasseur den Posten bei Sauber übernehmen könnte. Gerüchteweise könnte eine Bekanntgabe sogar noch im Rahmen des kommenden Rennwochenendes erfolgen.

Brennpunkt #7: Kimi und sein 'Steering Wheel!'

Last but not least: Kimi Räikkönen und sein Lenkrad. In Baku sorgte der Ferrari-Pilot mit seiner Entgleisung im Boxenfunk zweifelsohne für den humoristischen Höhepunkt des Wochenendes. Zugegeben, das Nervenkleid des Finnen hat diese Saison schon einiges abbekommen und ist derzeit nicht ohne Grund derart dünn. Letztendlich sind seine Funksprüche aber gerade dann besonders unterhaltsam, wenn ihn irgendetwas richtig auf die Palme bringt: Sei es die Redseligkeit seines Renningenieurs oder das Fehlen einiger für die Ausübung seines Berufes wichtiger Teile. Nicht ausgeschlossen, dass der Iceman seiner Ferrari-Crew in Spielberg wieder einmal durchs Mikrofon kommt.