Sebastian Vettel ist ohne blaues Auge aus dem Rammstoß-Skandal von Baku davongekommen. Effektiv entschieden sich die FIA und Jean Todt dazu, den Ferrari-Piloten nicht nachträglich zu bestrafen. Der Fall und die Folgen sorgten für großen Wirbel in der Welt des Motorsports. Hätte Vettel im Nachgang härter bestraft werden müssen, oder geht die endgültige FIA-Entscheidung, es bei ein paar Sozialstunden zu belassen, in Ordnung?

Das Thema wird die Formel 1 auch am kommenden Wochenende im Rahmen des Großen Preis von Österreich in Spielberg beherrschen. Am Urteil des Motorsport-Weltverbandes und der öffentlichen Entschuldigung von Vettel gibt es rechtlich nichts mehr zu rütteln. Trotzdem wirft der Vettel-Skandal Fragen auf, die in Zukunft einen Einfluss auf das Geschehen in der F1 haben können.

1. - So reagiert Mercedes auf das Urteil

Natürlich haben die Silberpfeile das Treiben des FIA-Panels am Montag in Paris genau beobachtet. Hätte Vettel eine sportliche Strafe erhalten - etwa eine nachträgliche Disqualifikation oder gar eine Rennsperre - hätte sich das massiv auf den aktuell tobenden Kampf um die Weltmeisterschaft ausgewirkt. Dem war aber nicht so, in Spielberg geht es wie gewohnt weiter.

Schon in Baku hatte sich Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff mit Anschuldigungen gegen Vettel zurückgehalten, sein Verhalten aber auch nicht verteidigt. Nach dem FIA-Entscheid soll das Thema aus Sicht der Silberpfeile zumindest offiziell beendet sein.

In einer Mercedes-Pressemitteilung am Dienstag wurde Toto Wolff so zitiert: "Dieses Kapitel ist jetzt geschlossen und wir haben den Moment hinter uns gelassen. Die Anhörung am Montag war zwischen der FIA und Sebastian, und sie kam zu dem Ergebnis, das wir alle gesehen haben. Es herrscht großer Respekt zwischen Mercedes und Ferrari, zwei legendären Motorsportmarken - nicht nur wegen der Herausforderung auf der Strecke, sondern auch, weil wir ein gemeinsames Ziel verfolgen: Wir wollen die Formel 1 gedeihen sehen."

Man darf gespannt sein, ob sich Lewis Hamilton am Wochenende ähnlich versöhnlich zeigt. Der dreifache Weltmeister war Vettel nach dessen Rammstoß massiv in der Öffentlichkeit angegangen, hatte seinen WM-Rivalen unter anderem als schlechtes Vorbild für die Jugend abgestempelt und behauptet, dass der Druck Vettels wahres Gesicht zu Tage bringe. Ob die Sozialstunden mit Nachwuchsfahrern aus Hamiltons Sicht ausreichend sind?

2. - Reicht eine Entschuldigung aus?

Vettel musste sich öffentlich für seinen Ausraster in Baku entschuldigen - und tat es gut eine Woche später auf FIA-Geheiß hin auch. Auffällig bleibt aber, dass er am Rennsonntag selbst keinerlei Anstalten gemacht hatte, sich für den Vorfall zu entschuldigen. Er ging trotz Nachfragen überhaupt nicht auf seinen Rammstoß ein. Wohl wissend, dass eine unglückliche Aussage weitreichende Folgen hätte haben können.

Stattdessen beharrte Vettel darauf, dass Hamilton ihn einem Bremstest unterzogen habe. Was sich später als falsch herausstellte, wie die FIA relativ schnell belegte. Noch dazu forderte der vierfache Champion, dass auch Hamilton hätte bestraft werden müssen, wenn er selbst schon mit einer 10-Sekunden-Durchfahrtsstrafe belegt wurde.

Da muss sich die FIA zumindest die Frage gefallen lassen, wie viel Gewicht eine angewiesene Entschuldigung im Motorsport haben darf. In Mexiko 2016 hatte sich Vettel nach seiner Schimpftirade gegen Rennleiter Charlie Whiting kurz nach dem Rennen entschuldigt. Dieser Umstand wurde ihm später strafmildernd ausgelegt.

In Baku war es hingegen vollkommen anders. Das führt zu einer Zwickmühle für die Zukunft der Formel 1, denn einerseits machte die FIA klar, dass sich Vettel falsch verhalten hat - andererseits wurde er nicht dafür bestraft. Nicht wenige Experten warfen Jean Todt im Nachgang Inkonsequenz vor.

3. - War Vettel ein Spezialfall?

Was wäre eigentlich passiert, wenn man die Namen Vettel und Hamilton etwa mit Vandoorne und Palmer ausgetauscht hätte? Heißt: Wurde der Vorfall von der FIA anders behandelt, weil die beiden einzigen WM-Kandidaten involviert waren? Hätte ein Palmer oder Ericsson - bei allem Respekt - einen ähnlichen Rammstoß gegen einen Gegner fabriziert, hätte sich das öffentliche Interesse wohl in Grenzen gehalten.

Der FIA wäre es vermutlich leichter gefallen, bei Bedarf ein Exempel mit einer harten Bestrafung zu statuieren. Dass Jean Todt ein großer Verfechter der Vorbild-Funktion sowie der Sicherheit im Straßenverkehr ist, dürfte kein Geheimnis sein. Der Fall Vettel war hingegen wesentlich pikanter.

Eine Strafe hätte die bislang spannende Formel-1-Saison nicht nur komplett überschattet, sondern sich vermutlich um Monate hinausgezögert. Allein der Gang vors Internationale Tribunal hätte mindestens 45 Tage gedauert - und hätte in letzter Instanz vor dem Internationalen Berufsgericht noch einmal aufgerollt werden können.

Eine nachträgliche Strafe, die Einfluss auf die Meisterschaftsentscheidung hat, wirft nie ein gutes Licht auf den Sport. So kann man nicht ausschließen, dass Todt und Co. einiges daran gelegen war, nicht künstlich in den packenden Titel-Fight einzugreifen. Dazu passte auch diese Aussage von Renn-Steward Paul Gutjahr im Schweizer Blick: "Natürlich hätten wir eine härtere Strafe aussprechen können. Aber Hamilton hatte keinen Schaden und wir wollten die WM nicht zu sehr beeinflussen."

4. - Rammstoß als Präzedenzfall

Das ist das Knifflige an Entscheidungen bei ungewöhnlichen Situationen: Sie werden bei weiteren ähnlichen Vorfällen als Referenz herangezogen. Bedeutet: Fährt noch einmal ein Fahrer einem anderen bei geringer Geschwindigkeit absichtlich ins Auto, weil er sich unfair behandelt gefühlt hat, fügt dem anderen Auto dabei aber keinen Schaden zu, müsste er mit einer 10-Sekunden-Drivethrough durchkommen. Eine weitere relevante Strafe wegen unsportlichen Verhaltens müsste er nach dem Vettel-Fall nicht befürchten.

Nun möchte man Rennfahrern nicht unterstellen, dass sie sich unfair auf der Rennstrecke benehmen. Wenn aber selbst einem 45-fachen GP-Sieger die Nerven durchgehen, lässt es sich auch nicht ausschließen. Die FIA könnte hier einen Präzedenzfall herbeigeführt haben, der dem Ansehen des Sports auf lange Sicht schaden kann.