Red Bull lieferte 2016 im Gegensatz zur ewigen Hamilton-Rosberg-Fehde bei Mercedes ein Musterbeispiel an Teamwork ab. Daniel Ricciardo und Max Verstappen kämpften hart aber fair gegeneinander und hielten, wenn es darauf ankam, auch mal für das Team den Kopf hin. Im Kampf um dritte oder vierte Plätze hielt sich das Opfer für die Piloten allerdings noch in Grenzen. In der Saison 2017 könnte es für Red Bull um viel mehr gehen und alleine um den eigenen Marktwert unter Beweis zu stellen, muss der Stallgefährte um jeden Preis bezwungen werden.

Mit 11:6 im Qualifying und 10:7 im Rennen hatte Quasi-Teamleader Ricciardo am Ende der ersten fast kompletten gemeinsamen Saison die Nase relativ klar vor Frischling Verstappen. Die Tatsache, dass der Australier am Ende die Oberhand behielt, trug zweifelsohne zur entspannten Situation im Team bei. Der etablierte Mann im Team parierte die neue Herausforderung und konnte sich über die Saison 2016 laut eigenen Angaben spätestens nach dem Sieg in Malaysia nicht beklagen.

Verstappen auf der anderen Seite schienen vereinzelte Niederlagen gegen den Stallgefährten kalt zu lassen. Immer wieder betonte er, dass er sich noch in der Lernphase befand. "Viele scheinen zu vergessen, dass ich noch am Beginn meiner Karriere stehe und noch gar nicht das Tempo habe, das ich gerne hätte", spielte er die Erwartungshaltung selbst nach seinem Sensations-Sieg in Barcelona noch herunter und verwies im gleichen Atemzug auf die Qualitäten des Teamkollegen: "Ich fahre auch neben einem sehr erfahrenen Fahrer, der zugleich einer der Besten im ganzen Feld ist."

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Red Bull verspricht offenen Kampf

In der Saison 2017 stehen die Vorzeichen jedoch anders. Sowohl in den Augen des Teams als auch der Öffentlichkeit spielen Ricciardo und und Verstappen auf Augenhöhe. "Wir gehen davon aus, dass wir zwei absolute Top-Fahrer haben", stellte Dr. Helmut Marko gegenüber Motorsport-Magazin.com in der Winterpause klar - und auch, dass das Team hat nicht vor hat, einem seiner Fahrer die Zügel anzulegen, wenn es zum WM-Kampf gegen Mercedes und Ferrari kommen sollte. "Bei uns wird es deshalb keine Stallregie geben", so die Ansage von Marko.

Die entscheidende Frage scheint zu sein, ob es tatsächlich zum großen Showdown um die Vorherrschaft im Team kommen wird. Selbst Ricciardo konnte sich letztes Jahr dem Eindruck nicht entziehen, dass der junge Stallgefährte noch jede Menge Luft nach oben hat. "Wenn er sich mit der Geschwindigkeit weiterentwickelt, mit der er angefangen hat, und die nächsten fünf oder zehn Jahre besser und besser wird, wäre das für ein paar Leute sicherlich ziemlich angsteinflößend", so die Befürchtung des 27-Jährigen.

Verstappen mit Favoritenstatus

Tatsächlich nahm Verstappen mit dem Hype der um ihn entstand fast schon automatisch die Rolle des zukünftigen WM-Herausforderers ein, während Ricciardo in diesem Zusammenhang seltener genannt wird. Obwohl er es war, der in Monaco die vielleicht stärkste fahrerische Leistung des Jahres hinlegte, als er den Silberpfeilen als einziger Pilot in der gesamten Saison aus eigener Kraft den Rang ablief und nur wegen eines verpatzten Boxenstopps den Sieg verlor. Vergleiche mit Schumacher oder Senna wurden letztendlich nur beim 19-jährigen Teamkollegen gezogen.

Es scheint fast so, als ob Ricciardo in den Augen vieler Beobachter bereits an seinem Zenit angelangt ist, während von Verstappen stets eine Steigerung erwartet wird. Dabei bewies auch der erfahrene Teamkollege, dass er bisher ungeahntes Potential freischalten kann. Er selbst konnte nicht leugnen, dass der neue Gegner in den eigenen Reihen aus ihm einen schnelleren Piloten machte. "Wir pushen uns beide gegenseitig auf ein anderes Level. Max ist offensichtlich richtig schnell", stellte Ricciardo im Interview mit Motorsport-Magazin.com fest.

Solange die Vorherrschaft nicht geklärt ist, wird Verstappen Jagd auf Ricciardo machen, Foto: Red Bull
Solange die Vorherrschaft nicht geklärt ist, wird Verstappen Jagd auf Ricciardo machen, Foto: Red Bull

Braver Ricciardo gegen Hardliner Verstappen?

Die Frage nach der Vormachtstellung innerhalb Red Bulls kam tatsächlich schon 2016 von Zeit zu Zeit auf. Gerade nach Verstappens starkem Einstand musste sich Ricciardo hin und wieder erklären. Noch bevor der Australier das Blatt zu seinen Gunsten wendete, sah er der Gefahr Verstappen mit Fassung ins Auge: "Ich werde nicht nach Entschuldigungen suchen, wenn er mich fair besiegt hat." Etwas, das man ihm aufs Wort glaubt - denn der viermalige GP-Sieger scheint von Natur aus nicht an Psychospielchen interessiert zu sein.

Ricciardo vertritt den klaren Standpunkt, dass das Duell gegen den Teamkollegen keinesfalls auf der falschen Seite der Boxenmauer ausgetragen werden sollte. "Es geht nicht darum, dass irgendwer im Team sich auf seine oder meine Seite schlägt", schloss er dreckige Spielchen seinerseits von Beginn an aus. Der Strahlemann der Formel 1 versteht sich stattdessen als fairen Sportsmann, der in erster Linie vor der eigenen Haustür kehrt: "Es geht nur darum, so gut zu sein, wie ich kann."

Verstappen auf der anderen Seite hat das Image des Bad Boys längst weg und lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass Erfolg für ihn über der Beliebtheit bei den Kollegen steht. "Wir sind am Ende des Tages nicht hier, um Freunde zu finden. Wir sind hier, um zu kämpfen, um das bestmögliche Ergebnis zu holen", so der unmissverständliche Ansatz des Niederländers, bei dem die Vergleiche mit Schumacher und Senna sich wieder einmal fast aufdrängen...