Enea Bastianini ist endgültig zurück im MotoGP-Spitzenfeld. Mit einem fantastischen Doppelsieg in Silverstone überholte 'La Bestia' Marc Marquez in der WM-Wertung und ist nun Dritter. Oder geht da sogar noch mehr? Motorsport-Magazin.com checkt, wie die Titelchancen des Italieners stehen, und was er und das Ducati-Lager dazu denken.

Tardozzi trotz 49 Punkten Rückstand überzeugt: Bastianini ist Titelkandidat

Kommen wir erst einmal zu den harten Fakten: Dem WM-Stand. Jorge Martin führt diesen nun wieder an, mit 241 Punkten. Nur knapp dahinter liegt Francesco Bagnaia mit 238 Zählern. Bastianini hat nun 192 Punkte. Die Lücke auf Martin beträgt also 49 Punkte. Das ist natürlich nicht wenig, aber Bagnaia holte 2022 schon einmal 91 auf, und damals gab es noch keine Sprints. Außerdem ist auch Marc Marquez mit 179 Punkten noch nicht ganz aus dem Rennen, aber seine GP23 ist dem aktuellen Modell technisch unterlegen.

Marquez-Verpflichtung ein Fehler? Bastianini stichelt gegen Duc (08:19 Min.)

Da auch die Weiterentwicklung immer mehr Vorteile für die GP24 bringen wird, ist Bastianini der wahrscheinlichere Kandidat, um Martin und Bagnaia noch dazwischenzugrätschen. Sein Teamchef geht davon aus. "Enea ist endlich wieder in seiner Verfassung von 2022. Nach seiner Verletzung im Vorjahr hat er gebraucht, bis er wieder dort angekommen war. Jetzt ist er aber wieder zurück und ein Anwärter in der Weltmeisterschaft", meinte Davide Tardozzi bei ServusTV.

Zurück in der Form von 2022: Was Enea Bastianini wieder stark macht

2022 war er auf einer Vorjahres-Maschine WM-Dritter geworden und bekam so auch den Werksplatz. Jetzt scheint er zurück, wie 'La Bestia' selbst konstatiert: "Letztes Jahr habe ich viele Rennen auslassen müssen. Ich habe zwar in Sepang gewonnen, aber mein körperlicher Zustand war nicht gut. Dieses Jahr war das vom Start weg besser und meine erste Anpassung an die GP24 war auch besser. Rennen für Rennen wurden meine Resultate besser."

Eine letzte Hürde hat er dann auch noch genommen: "Ich musste noch versuchen, ein Problem zu lösen, denn im ersten Teil der Saison hatte ich im Kurveneingang noch nicht das Vertrauen wie letztes Jahr. Jetzt habe ich dieses Vertrauen und eine Chance, auch dieses Jahr noch eine großartige Saison hinzulegen." Hinzukommt ein neuer Ansatz im Qualifying, welcher in Silverstone sofort aufging. Mehr dazu hier:

Bastianini: Konstanz im Vergleich zu Martin und Bagnaia fehlt

Ist der 26-Jährige aus Rimini also wirklich in der Lage, noch um den Titel zu fahren? Er selbst bezweifelt das, lässt sich aber eine Hintertür: "Momentan sehe ich mich nicht als Titelanwärter. Pecco [Bagnaia] und Jorge [Martin] zeigen mehr Konstanz als ich. Bei allen Rennen sind sie immer vorne dabei. Ich bin manchmal dahinter. Wenn ich ein Titelkandidat sein möchte, dann muss ich mich da verbessern. Dieses Wochenende war dafür ein guter Beginn. So möchte ich den Rest der Saison weitermachen. Wenn ich eine Chance habe, dann werden wir ja sehen, was passiert."

Beim Blick auf die MotoGP-Formtabelle sehen wir, dass er seine Situation nicht schlecht einschätzt. Ziehen wir die letzten fünf Rennen heran, so hat er weniger Punkte geholt als Bagnaia und Martin, obwohl letzterer einen sicheren Sieg am Sachsenring wegwarf und Bagnaia zweimal im Sprint stürzte.

MotoGP-Formtabelle: Die Punkte der letzten 5 Rennwochenenden

Pos.FahrerPunkte
1Francesco Bagnaia147
2Jorge Martin112
3Enea Bastianini103
4Marc Marquez90
5Alex Marquez59
6Fabio Di Giannantonio57
7Maverick Vinales49
7Pedro Acosta49
9Aleix Espargaro48
10Brad Binder47

Der Abstand zur Spitze hat sich also nur in Silverstone reduziert. Für einen Titelangriff müsste er aber dauerhaft aufholen. Hoffnung machen dabei vor allem die nächsten Rennen. In Spielberg holte er 2022 seine erste Pole-Position in der Königsklasse. In Aragon gewann er im selben Jahr. Auch Misano liegt ihm, und dort wird dieses Jahr zweimal gefahren. Doch danach folgt die Asien-Tour, auf der er sich mit Ausnahme von Sepang bisher stets schwertat. Will 'La Bestia' wirklich um den Titel mitreden, so muss der Rückstand wohl bereits in Europa deutlich reduziert werden.

KTM-Wechsel schon lange fix: Bastianini hat nichts zu verlieren

Neben den nächsten Strecken könnte ein weiterer Trumpf seine psychologische Ausgangslage sein. Der Wechsel zu KTM und damit sein Aus bei Ducati stehen bereits seit Wochen fest. Der Italiener hat also teamintern nichts zu verlieren, kann frei auffahren und muss sich kaum noch mannschaftsdienlich verhalten. Teamkollege Bagnaia erwartet genau das: "Er wird 2025 das Team wechseln, also denke ich nicht, dass ich Hilfe von ihm bekommen werde. Das ist normal, wir alle wollen immer gewinnen."

Die mangelnde Konstanz, von der Bastianini sprach, ist auch dem Weltmeister nicht entgangen. Dennoch geht 'Pecco' von einer weiteren Gefahr neben Jorge Martin aus: "Bis zu diesem Moment hatte Enea keine gute Konstanz, aber dieses Wochenende wird ihm viel Selbstvertrauen geben, um zurückzuschlagen. Es ist für mich normal, dass er bis zu den letzten Rennen im Meisterschaftskampf sein wird. Er ist sehr schnell, sehr gut auf gebrauchten Reifen. Du musst immer mit ihm rechnen."

Fazit: Alles steht und fällt mit dem Samstag für Bastianini

Er hat nichts zu verlieren und auf gebrauchten Reifen ist Enea Bastianini einer der stärksten, wenn nicht sogar der beste Fahrer im Feld. Doch seit 2023 gibt es nun Mal auch die Kurzrennen am Samstag, die nur über die halbe Distanz gehen. Der Sprint-Sieg in Silverstone war das erste Mal im 22ten Anlauf, dass es Bastianini überhaupt in die Top 3 am Samstag schaffte. Zuvor standen vier vierte Plätze als Bestmarke. Zwar hat der WM-Dritte mit 47 Punkten im Sprint sogar zwei mehr geholt als Bagnaia. Der Weltmeister warf aber auch vornehmlich im Sprint Spitzenresultate durch Stürze weg. Gegenüber Martins 86(!) Zählern aus den Kurzrennen steht 'La Bestia' hingegen nicht gut da. Allein der Sonntag wird nicht reichen, wenn er 49 Punkte Rückstand aufholen will.

Enea Bastianini (Ducati Lenovo Team)
Bastianini braucht gute Qualifyings, Foto: LAT Images

Und dazu braucht es ein gutes Qualifying. Die Länge der Sprintrennen reicht nicht aus, um sich von Platz 9 oder 10 vorzuarbeiten. Dies war bei Bastianini aber in diesem Jahr zu oft der Fall. Nach seiner Pole-Position beim zweiten Rennen in Portimao stand er erst in Silverstone wieder in Reihe Eins. Viermal war er in diesem Zeitraum im Qualifying sogar nur Neunter oder schlechter. Das darf einem Titelkandidaten nicht passieren. Nur wenn Bastianinis neuer Ansatz aus Silverstone auch bei den weiteren Rennen der Saison funktioniert, kann er ein ernsthafter Titelkandidat werden.

Und jetzt seid ihr gefragt: Kann Enea Bastianini den beiden Titelrivalen der MotoGP noch in die Suppe spucken? Sagt es uns in den Kommentaren!