Vier Fahrer liegen innerhalb von vier WM-Punkten, sowas hat es in der MotoGP schon eine Weile nicht mehr gegeben. Wir haben uns den aktuellen WM-Stand einmal genau angeschaut und gecheckt, wer in den ersten sieben Rennen profitiert und wer Punkte verloren hat.

MotoGP 2020: So eng wie nie

Die MotoGP 2020 ist eine so enge Weltmeisterschaft wie schon lange nicht mehr. Zur Halbzeit, nach sieben von 14 Rennen, liegt Andrea Dovizioso mit insgesamt 84 Zählern in der Gesamtwertung vorn. Und das, obwohl der Ducati-Pilot bisher auf keine besonders starke Saison zurückblicken kann. Auf Rang zwei und drei liegt das Yamaha-Duo Fabio Quartararo und Maverick Vinales mit jeweils 83 Punkten, also fehlt gleich zwei Fahrern nur ein Punkt auf den WM-Führenden. Auch der Viertplatzierte Joan Mir ist nicht weit von der Spitze entfernt, mit insgesamt 80 Punkten fehlen dem Suzuki-Piloten nur vier Zähler auf Dovizioso.

Erst dann folgt eine größere Lücke, mit Petronas-Pilot Franco Morbidelli auf WM-Rang fünf. Der Italiener liegt 20 Punkte hinter Dovizioso, ebenso Jack Miller auf P6, der ebenfalls 64 Zähler auf seinem WM-Konto hat.

Die Top-4-Piloten innerhalb von vier Punkten, die Verfolger 20 Punkte im Rückstand. Die MotoGP 2020 ist so offen wie selten eine Saison zuvor. Alle diese Fahrer können sich noch realistische Chancen auf den Titel machen, denn auch 20 Punkte sind kein unüberwindbares Hindernis.

MotoGP erstmals ohne Favoriten?

Doch wie ist es überhaupt zu einer derart engen Weltmeisterschaft wie in diesem Jahr gekommen? Zum einen liegt das ganz sicher an der Abwesenheit des amtierenden Champions. Marc Marquez hat in den letzten Jahren die WM dominiert, lediglich der jetzige Leader Dovizioso konnte noch mit dem Jahrhunderttalent des Honda-Piloten mithalten. Jetzt hat es der Ausnahmekönner aber übertrieben und ist praktisch seit Saisonbeginn zum Zuschauen verdammt. Genau null Punkte befinden sich seit seinem Aus im ersten Jerez-Rennen auf dem WM-Konto von Marquez.

Das macht für seine Konkurrenten den Weg zum WM-Titel frei. Ohne ihren Dominator der letzten Jahre ist die MotoGP führungslos - genau das spiegelt der WM-Stand aktuell wider. Es ist kein klarer Favorit zu sehen, stattdessen kann sich noch fast jeder Hoffnungen auf den Titel machen. Die Abwesenheit Marquez' hat auch dazu geführt, dass wir in sieben Rennen mittlerweile sechs verschiedene Sieger gesehen haben: Fabio Quartararo, Brad Binder, Andrea Dovizioso, Miguel Oliveira, Franco Morbidelli und Maverick Vinales konnten in dieser Saison bereits Rennen für sich entscheiden. Mit so einer unbeständigen Führung ist es kein Wunder, dass die Position des WM-Favoriten nicht klar auf einen oder zwei Fahrer heruntergebrochen werden kann.

Jack Miller musste das letzte Rennen in Misano vorzeitig beenden, Foto: MotoGP.com
Jack Miller musste das letzte Rennen in Misano vorzeitig beenden, Foto: MotoGP.com

Verlorene Punkte der Spitzen-Piloten

Neben den unerwarteten Rennsiegern, die das Fahrerfeld in der WM-Tabelle haben zusammenrücken lassen, haben aber auch viele Piloten Chancen auf Punkte schlichtweg vertan. So hat die Corona-Saison 2020 einigen Fahrern neben unglücklichen Stürzen auch schon den einen oder anderen technischen Defekt eingebracht. Ein aktuelles Beispiel ist Miller auf WM-Platz sechs. Der Australier qualifizierte sich am letzten Rennwochenende in Misano auf Rang zwei, musste aber das Rennen aufgeben, weil das Abreißvisier von Quartararo den Luftfilter seiner Ducati blockierte und so den Motor abwürgte.

Hätte Miller hier um ein Podium mitkämpfen können, würde der WM-Stand zur Halbzeit möglicherweise schon ganz anders aussehen. Das Aus in Misano ist aber nicht das einzige Pech, das der Pramac-Pilot zu betrauern hatte. Auch beim zweiten Rennen in Jerez ließ er Punkte liegen, allerdings durch einen Crash im Kiesbett.

Suzuki-Pilot Mir hingegen wird sich zur Saison-Halbzeit als WM-Vierter vor allem über sein frühes Aus beim Saisonauftakt in Jerez ärgern. Dort crashte er in Kurve neun aus dem Rennen und ließ damit Punkte liegen, die ihn jetzt vielleicht mit Quartararo und Vinales gleichauf liegen lassen würden. Auch in Tschechien konnte er nicht punkten, jedoch war an diesem Malheur Iker Lecuona Schuld, der Mir bei einem Crash aus dem Rennen - und aus den Punkten - kegelte.

Am härtesten traf jedoch die Yamaha-Piloten das Pech im WM-Fight. Valentino Rossi, der aktuell auf WM-Rang neun liegt, musste den Saisonauftakt mit einem technischen Defekt beenden, eine Woche später ereilte seinen Academy-Zögling Morbidelli auf Podiumskurs liegend dasselbe Schicksal. Beim ersten Rennen in Spielberg musste der Petronas-Pilot dann ebenfalls einen Nuller kassieren, nach dem Horror-Sturz mit Johann Zarco konnte er jedoch von Glück reden, dass ihm dabei "nur" WM-Punkte abhandengekommen waren.

Die Motor-Probleme im Hause Yamaha hören jedoch bei Rossi und Morbidelli nicht auf, auch Doviziosos ärgste Verfolger Quartararo und Vinales sind davon betroffen. Letzterer musste bereits beim Saisonauftakt mit einem Motorschaden leben, in Spielberg erlebte der Spanier dann eine absolute Schrecksekunde, als er bei 220 km/h von seiner M1 springen musste, nachdem sich seine vordere Bremsscheibe komplett aufgelöst hatte.

Während für Quartararo in Jerez mit einem Doppelsieg noch alles bestens lief, ereilten den Franzosen in Spielberg dann auch Schwierigkeiten mit seinem Motorrad. Was zunächst nach einem Fahrfehler aussah, entpuppte sich am Ende auch als Problem an der Bremse. Die scheinen mittlerweile aber behoben zu sein, immerhin hat schon länger keine Yamaha mehr im Rennen den Geist aufgegeben und den Antrag auf Öffnung der Motoren, um Teile auszutauschen, hat der japanische Hersteller auch wieder zurückgezogen. Das nützt Quartararo und seinen Kollegen allerdings auch nichts mehr, die verlorenen Punkte kriegen sie dadurch nicht zurück.

Dovizioso als WM-Leader: Warum?

Bei so viel Pech und Unglück für die Konkurrenz ist es kein Wunder, weshalb Dovizioso die WM, wenn auch nur mit einem minimalen Vorsprung, anführt. Zwar kann der Italiener in dieser Saison bisher nur auf einen Rennsieg und ein Podium zurückblicken, dafür ist der Ducati-Pilot aber weitaus konstanter als seine Kollegen.

Im Gegensatz zu Quartararo, Vinales und Co. hat Dovizioso in dieser Saison noch keinen einzigen Nuller kassiert. Stattdessen hamsterte er mit Top-10-Ergebnissen fleißig Punkte, die ihm ab Misano die WM-Führung sicherten. Die einzige Ausnahme hier bildete das Rennen in Brünn, bei dem Dovizioso nur Elfter wurde. Er hat alles richtig gemacht, woran die Konkurrenz, verschuldet oder unverschuldet, gescheitert ist. "Konstanz zahlt sich aus" ist eben nicht ohne Grund eine wichtige MotoGP-Lektion.