Jorge Lorenzo kann einem schon ein wenig leidtun. Irgendwie scheint er gar nicht zu merken, dass er seinen eigenen Karren immer tiefer in den Dreck schiebt und sein ohnehin schon angeknackstes Image weiter ramponiert. Man könnte fast meinen, er würde mutwillig handeln. Frei nach dem Motto: Jetzt erst Recht! Denen zeig ich's! In Wahrheit setzt er sich aber immer mehr dem Spott und Hohn seiner zahlreichen Gegner aus und verspielt zunehmend auch Kredit bei neutralen Beobachtern. Damit schadet er sich selbst am meisten.

Was hat Jorge doch in den letzten Wochen für Schlagzeilen auf dem Silbertablett serviert! Ein Auszug aus den letzten vier Wochen:

  • "Im Trockenen hätten wir um den Sieg gekämpft und auch bei diesen Bedingungen hätte ich Zweiter werden können." (21.8. - nach Platz 17 (!) in Brünn)
  • "Wie heißt er? Pierer? Kenne ich nicht. Er scheint aber auf jeden Fall kein gutes Gedächtnis zu haben oder nicht sehr professionell zu sein." (Lorenzo vor Silverstone nach Kritik von KTM-Boss Stefan Pierer)
  • "In einer Saison 2016, in der es nur Trockenrennen gegeben hätte, würde ich die WM jetzt anführen." (1.9. - Silverstone)
  • "Ich würde wirklich gerne das Wetter kontrollieren. Dann würde ich immer für trockene Verhältnisse sorgen." (2.9. - Silverstone)
  • "Meine Meinung ist, dass dieses Überholmanöver ein bisschen zu aggressiv war. Er hätte dieses Manöver nicht setzen müssen." (11.9. - nachdem er von Rossi in Misano überholt wurde)

Sportlich läuft es beim amtierenden Weltmeister derzeit einfach nicht. Seit seinem letzten Sieg in Mugello Ende Mai holte er binnen sieben Rennen gerade einmal 47 Punkte - durchschnittlich 6,7 Zähler pro Rennwochenende. So einen schwachen Schnitt über sieben Läufe hatte Lorenzo zuletzt in seiner Rookie-Saison nach einer Verletzungspause. In der WM liegt er 61 Punkte zurück, gut möglich, dass er schon nach Motegi keine mathematische Chance mehr auf die Titelverteidigung hat.

Kein Weg aus der Formkrise

Das setzt dem ehrgeizigen und stolzen Mallorquiner zu. Vor dem Rennen in Jerez hatte er seinen Wechsel zu Ducati verkündet. Er brauche eine neue Herausforderung, meinte Lorenzo. Zuvor wolle er sich aber bei Yamaha ein Denkmal setzen und seinen vierten WM-Titel für den japanischen Hersteller holen. Dass er damit mit Valentino Rossi gleichziehen würde, wäre das Sahnehäubchen gewesen.

Vier Wochen später stand er nach seinem Sieg in Mugello tatsächlich als WM-Leader wieder an der Spitze der MotoGP-Welt. Doch als er von Andrea Iannone in Barcelona abgeräumt wurde, hat sich in Lorenzos Kopf irgendein Schalter umgelegt. Seither läuft kaum eine wichtige Session für ihn völlig rund. Er hadert mit den Reifen, hadert mit dem Wetter, hadert mit dem Setup, hadert mit den Temperaturen, die einmal zu niedrig, dann wieder zu hoch sind.

Kritische Selbstreflexion? Fehlanzeige!

"Man dichtet mir ja gerne ein Kopfproblem an, aber das ist Nonsens", meinte Lorenzo vor dem Rennen in Silverstone. Kritische Selbstreflexion in der vielleicht schlimmsten Formkrise der Karriere sieht wahrlich anders aus. Dabei könnte man es sogar verstehen, wenn Lorenzo öffentlich zugeben würde, gekränkt oder persönlich beleidigt zu sein. Zunächst gab Yamaha Valentino Rossi den Vorzug bei der Vertragsunterzeichnung und präsentierte den Doktor noch vor dem Auftaktrennen in Katar als fix für die kommenden zwei Jahre. Dann buhlte Lorenzo im Zuge seines Ducati-Wechsels um die Gunst seines Crewchiefs Ramon Forcada, der ihm nach achteinhalb Jahren gemeinsamer Arbeit aber einen Korb gab. Wer wäre da nicht sauer oder beleidigt?

Das Problem ist aber, dass Lorenzo das nicht einfach zugeben will oder kann. Nur in seltenen Momenten gibt er sich selbstkritisch. In der Außendarstellung mimt er meistens den einsamen Krieger, der sich furchtlos der gelben und orangen Bedrohung entgegenstellt. Wie ein Spartaner, dessen Helm ja seit Jahren in seinem Logo- und Merchandise-Aufgebot steht.

Rossi gehört die Vergangenheit, Marquez die Zukunft. Irgendwo dazwischen will Lorenzo den Platz in den Geschichtsbüchern reklamieren, der ihm seiner Meinung nach zusteht. Auf dieser Suche verhält er sich aktuell leider nicht wie ein großer Champion, sondern eher wie ein kleines, trotziges Kind, dem irgendjemand soeben die Sandburg zertreten hat. Damit erlegt er sich für das Abenteuer Ducati noch mehr Druck auf. Das ist eigentlich das letzte, was Lorenzo gebrauchen kann.