Nach der Qualifying-Pleite hatte McLaren bei der Formel 1 in Baku immer noch Podien anvisiert. Nach dem Rennen klingt es anders. "Ich denke, kein anderer Fahrer in Landos Auto hätte mehr holen können", lautet das Fazit von Teamchef Andrea Stella. Wieso blieb Lando Norris im Aserbaidschan-GP aber so zahnlos? War es nur der nächste vermurkste Boxenstopp? Die Renn-Analyse checkt die Rollen einer falschen Reifenwahl, und ob Norris wirklich fahrerisch am Limit war.
Der Boxenstopp ist sicherlich die offensichtliche Frage, die man sich nach dem Rennen stellt. Wer die letzte Analyse an dieser Stelle gelesen hat, der wird sich vielleicht noch erinnern: McLaren ist aktuell das Team mit der höchsten Fehlerquote im Feld und macht bei einem Fünftel aller Boxenstopps etwas falsch. In Baku schlug der Fehlerteufel erneut zu.
Es klemmte rechts vorn, Norris stand 4,13 Sekunden und kam daher deutlich hinter Charles Leclerc auf dem achten Platz wieder auf die Strecke. Danach konnte er nur Leclerc noch überholen und blieb auf P7 in einem DRS-Zug hinter Liam Lawson und Yuki Tsunoda stecken. "Mit einem schnellen oder mit dem schnellsten Boxenstopp hätten wir womöglich Lando die Chance geben können, um Liam Lawson anzugreifen", überlegt Stella nach dem Rennen. Allerdings mit zweifelndem Unterton.
Die Auswirkungen des langsamen McLaren-Stopps in Baku
Von allen McLaren-Problemen in diesem Rennen waren zwei beim Boxenstopp verlorene Sekunden das geringste. Der theoretische Zeitverlust beim Stopp beträgt in Baku ungefähr 20 Sekunden. Praktisch aber war er am Sonntag etwas größer. Wer direkt vor einem Verfolger rauskam, der musste sich nämlich auf kalten Reifen hin zu Kurve 3 in einer DRS-Zone verteidigen.
Dass das nicht einfach war zeigte unter anderem Yuki Tsunoda, der mit 20,6 Sekunden Vorsprung auf Liam Lawson stoppte (2,14 Sekunden) und auf der Strecke prompt von Lawson vor Kurve 3 wieder überholt wurde. Praktisch brauchte man eher 22 Sekunden Puffer auf einen Konkurrenten, um vorn zu bleiben. Norris kam schon mit nur 19 Sekunden Vorteil auf Leclerc an die Box. Selbst mit Raketenstopp wäre er maximal auf gleicher Höhe mit dem Ferrari rausgekommen und hätte sich kaum verteidigen können. Lawson und damit die Top-5 waren nie in Reichweite.
Lando Norris fährt in Baku zu langsam, als es zählt - warum?
Denn ein langsamer Renn-Mittelteil besiegelte eigentlich schon Norris' Schicksal. Bei nur sehr wenig Reifenverschleiß ermöglichte Baku am Sonntag nämlich auf dem Papier Overcuts, weil die Reifen im Rennverlauf immer schneller wurden. George Russell ist das perfekte Beispiel: Er zog seinen Start-Stint bis Runde 39 und sprang damit von Platz 5 auf 2.
Auch Max Verstappen zog den Start-Stint ewig in die Länge und wurde bis zum Schluss immer schneller. Doch bei Norris klappte das im Mittelstint nicht. Vielmehr war er auf seinen Startreifen nie schneller als seine direkten Gegner Lawson und Leclerc, die schon in den Runden 19 und 20 gestoppt hatten. Nicht einmal die Lücke zu dem ebenfalls lange draußenbleibenden Yuki Tsunoda konnte er schließen.
Warum startete McLaren in Baku nicht auf dem harten Reifen?
Warum Norris das nicht konnte? Die Reifenwahl dürfte eine Rolle spielen. Er fuhr auf Medium. Verstappen, Russell und Tsunoda waren hingegen auf Hard losgefahren. "Max hatte die klare Idee, dass es ein Rennen wird, wo du herumfährst und auf ein Safety Car wartest", gibt Red-Bull-Teamchef Laurent Mekies Einblicke in den Entscheidungsprozess. "Andernfalls bekommt jemand einen billigen Stopp, und du bist es nicht."
Für Norris, der von noch weiter hinten losfuhr, schien so ein eigentlich eher moderates strategisches Risiko erst recht logisch. Nicht aber für McLaren, hält Andrea Stella dagegen: "Der Start auf dem Hard war etwas besorgniserregend wegen der niedrigen Temperaturen. Unser Auto ist nicht gerade eines, das die härteren Mischungen sofort dazu bringt, Grip aufzubauen."
Doch wäre Norris auf dem Hard wirklich besser beraten gewesen? "Ich denke nicht, dass er mit dem Hard Tsunoda hätte überholen können", meint Stella. Der fuhr schließlich wie Norris ewig lang, und konnte auch keine ausreichend schnellen Zeiten für einen erfolgreichen Overcut gegen Lawson zusammenstoppeln. So wäre Norris mit dem besseren Hard in McLarens Augen maximal auf Tsunoda aufgelaufen und steckengeblieben. Norris zeigte sich nach dem Rennen beeindruckt von der Red-Bull-Performance:
Traute sich Lando Norris in Baku nicht zu überholen?
Warum aber blieb Norris stecken? "Die Realität ist, dass das Auto heute nicht schnell genug war, um raus aus der letzten Kurve dranzubleiben und auf der Geraden zu überholen", argumentiert Stella wie Norris. Sicher lässt sich von außen schwer einschätzen, ob Norris wirklich immer zu weit weg war, um einen Angriff zu wagen. Aber wie dicht war er eigentlich wirklich dran? Die folgende Tabelle vergleicht Norris ab Runde 43 auf der Ziellinie direkt mit Tsunoda:
| Zeit | Überschuss | |
|---|---|---|
| 43 | 0,498 | 3,8 km/h |
| 44 | 0,585 | -4,4 km/h |
| 45 | 0,420 | 3,4 km/h |
| 46 | 0,292 | 9,3 km/h |
| 47 | 0,292 | 8,9 km/h |
| 48 | 0,521 | 0,5 km/h |
| 49 | 0,370 | 3,3 km/h |
| 50 | 0,196 | 12,1 km/h |
| 51 | 0,419 | -3,8 km/h |
Denn es lässt sich zumindest für Kurve 1 in Baku recht gut quantifizieren. Die Ziellinie liegt auf den entscheidenden letzten Metern der Geraden, und hier werden Zeit und Geschwindigkeit gemessen. Norris war acht Runden lang hinter Tsunoda in Schlagdistanz. Am Ende der vorletzten Runde hatte er mit unter zwei Zehnteln Rückstand und 12,1 km/h Überschuss seine beste - nicht genutzte - Chance. Wie sieht diese Chance nun relativ zu anderen Manövern im Rennen aus?
| Überschuss | Lücke auf Ziellinie | Erfolgreich? | |
|---|---|---|---|
| NOR vs. LEC | 21,7 km/h | -0,120 | Ja |
| RUS vs. TSU | 17,7 km/h | 0,209 | Nein |
| ALB vs. OCO | 16,1 km/h | 0,075 | Ja |
| BOR vs. OCO | 19,0 km/h | 0,195 | Ja |
| BEA vs. GAS | 17,0 km/h | 0,167 | Ja |
| HAM vs. HAD | 26,7 km/h | 0,103 | Ja |
| ALB vs. GAS | 24,7 km/h | -0,067 | Ja |
| BEA vs. ALO | 18,0 km/h | -0,057 | Ja |
| PIA vs. LEC 2024 | 21,0 km/h | 0,347 | Ja |
Tatsächlich hat niemand 2025 in Baku aus einer vergleichbaren Position ein Überholmanöver geschafft. Um eine realistische Chance zu haben, benötigte man im Idealfall eine Kombination aus unter 2 Zehnteln Rückstand am Zielstrich plus 20 oder mehr km/h Überschuss. Die Tabelle oben beinhaltet zum Vergleich zumindest auch das Siegermanöver von Oscar Piastri aus dem Vorjahr - das bei dreieinhalb Zehntel Abstand Charles Leclerc völlig überraschte.
Norris fehlte aber vor allem der Speed-Überschuss. Denn Tsunoda hatte fast permanent auch DRS, lag er doch stets innerhalb von einer Sekunde hinter Liam Lawson. Letztendlich wagte Norris weder hier noch in Kurve 3 ein Manöver mit der Brechstange gegen Tsunoda. Wie realistisch wäre es gewesen? Wir werden es nie wissen.
Stella verteidigt seinen Fahrer bis zuletzt: "Lando hat am Limit des Möglichen abgeliefert." Wobei dieses Szenario uns nun noch einmal kurz zu einem hypothetischen Hard-Start zurückbringt. Mit dem robusteren Reifen hätte Norris womöglich noch vor dem Stopp zu Tsunoda aufschließen können, und Tsunoda hätte nun keine DRS-Hilfe durch Lawson gehabt. Stella sieht es dennoch nicht: "Ich würde es nicht auf Reifenwahl, Präferenz, Abfolge zurückführen. Ich denke, das Auto war einfach nicht schnell genug."



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