George Russell und Charles Leclerc waren zwei von vielen Fahrern, die sich bei der Formel 1 in Zandvoort im Rennen mehr ausrechneten, ehe etwas katastrophal schiefging. Bei Russell war Leclerc der Grund: Die beiden kollidierten bei einem ambitionierten Manöver des Ferrari, was in signifikantem Schaden am Mercedes resultierte. Aber in keiner Strafe. Und einer Meinungsänderung von Russell.
"Es war kein aggressives Überholmanöver, es war ein Überholmanöver abseits der Strecke, das sehr viel Schaden angerichtet hat", empört sich Russell direkt nach dem Rennen. Leclerc hatte nach einem Virtuellen Safety Car in Runde 32 eine kleine Chance gesehen, Russell im Kampf um den zu dem Zeitpunkt fünften Platz zu überrumpeln, nachdem er ebendiesen Platz aufgrund eines unglücklichen Safety Cars zehn Runden vorher verloren hatte.
"Es war aggressiv und am Limit, aber ich wusste, allzu viele Chancen würde ich nicht bekommen", verteidigt Leclerc das Manöver. Erst steckte er innen in Kurve 10 die Nase rein und zwang Russell von der Ideallinie. Russell deckte daraufhin vor der Einfahrt in die Schikane halb innen ab. Leclerc wechselte auf die Außenbahn, quetschte sich neben den Mercedes, rutschte bis ins Kiesbett und ramponierte beim Zurückkommen Russells linke Fahrzeugseite.
Leclerc rechtfertigt rabiate Methode: Kämpfen um Konstrukteurs-Plätze
Danach war Russell nicht nur hinter Leclerc, sondern auch mit einem nur mehr schwer fahrbaren Auto gesegnet, dessen Balance in den schnellen Kurven von nun an unberechenbar schwankte: "Der Schaden kostete eine Sekunde pro Runde. Es wäre ein gutes Manöver von ihm gewesen, wenn die Strecke drei Meter breiter wäre." Leclerc interessiert das nicht: "Wir kämpfen um einen Platz in der Konstrukteurs-WM." Ferrari und Mercedes trennen im Duell um Platz 2 hier aktuell 12 Punkte.
Russell, gewohnt umsichtig, rezitierte nach dem Rennen die offiziellen Racing-Richtlinien, die besagen, dass ein Angriff außen vom Angreifer verlangt, mit seiner Vorderachse vor der Vorderachse des Verteidigers zu sein. Im Leclerc-Fall nicht erfüllt, also stand ihm kein Platz zu: "Ich wollte ihn auch nicht rausdrücken. Ich nahm einfach die Rennlinie."
Die Stewards schienen sich in dem Fall überraschend unsicher und setzten eine Anhörung nach dem Rennen an. Üblicherweise gibt es bei Zwischenfällen, bei denen beide Fahrer weiterfahren können, noch während des Rennens eine Entscheidung. Russell schien sich seiner Sache recht sicher: "Es ist recht eindeutig in den Regeln, dass das nicht erlaubt ist. Mal schauen, was die Stewards sagen. Ich bin gespannt."
War Leclerc abseits der Strecke? Stewards unsicher, Russell ändert Meinung
Warum die Stewards beide Fahrer sprechen wollten? Weil sie sich nach dem ersten Blick nicht sicher waren, ob Leclerc tatsächlich die Strecke verlassen hatte. Das ist aus den Onboards schwer zu sagen. Russells Argumentation direkt nach dem Rennen fußte primär auf der Ansicht, dass Leclerc die Strecke verlassen und ihn beim Zurückkommen gerammt habe.
Für die Stewards blieb Leclercs Position im Zusammenspiel mit Russells Linie kein eindeutiger Fall von "abseits der Strecke überholt". Die in der Anhörung verfügbaren Beweise blieben den Richtern zu unklar. Auch wenn später dann doch klare Fotos von Fotografen aus der Schikane auftauchten, auf denen zu sehen war, dass Leclerc kurz aber doch mit allen vier Rädern abseits der Strecke war.


Die Richtlinien sind aber ohnehin nicht völlig rigide, im Bewusstsein, dass Rennsituationen sehr variabel sein können. Das gilt erst recht für Schikanen. Ist der erste Teil der Schikane unklar, so hat Leclerc durchaus ein Argument, dass er im zweiten Teil nun auf der Innenbahn Platzrecht hatte.
Die ganze Anhörung und die doch durchwegs grenzwertige Natur des Manövers führte bei Russell so oder so wohl zu einem Umdenken. Danach stellen die Stewards nämlich fest: "Beide Fahrer meinten, dass es ein Rennzwischenfall war, und dass es keine weiteren Konsequenzen für beide geben sollte. Wir haben uns alle verfügbaren Beweise angesehen und sind zum selben Schluss gekommen."
Keine Strafe also. Russell kann es letztendlich verschmerzen. Zeitweise war er wegen des Schadens auf P7 zurückgefallen, doch ein turbulentes Finish spülte ihn zurück auf P4. Leclerc kann aufatmen. Weil er 20 Runden später von Russells Teamkollege Kimi Antonelli aus dem Rennen geschossen worden war, wäre eine Strafe zwangsweise in eine Gridstrafe für Monza umgewandelt worden. So eine hat sein Ferrari-Teamkollege Lewis Hamilton bereits. Mehr dazu hier:



diese Formel 1 Nachricht