Wenn man versucht von der Täter- in die Opferrolle zu schlüpfen – so beschreibt Formel 1-Experte Christian Danner die Protest-Aktion von Red Bull gegen Mercedes-Fahrer George Russell in Kanada. "Alles, was sich hinter dem Safety Car abgespielt hat, war völlig normal", stellte Danner klar. Der frühere Rennfahrer spielte auf die Szene an, als Russell hinter dem Safety Car - ausgelöst durch den Ausfall von Lando Norris - auf der langen Geraden plötzlich verzögerte, und ein überraschter Verstappen nach rechts ausweichen musste.

Danner: Früher konnte man die Stewards noch täuschen

Für Danner war klar, dass der Protest von Red Bull zu keiner Strafe für Russell führen wird. "Die Stewards lassen sich heutzutage nicht mehr so schnell für blöd verkaufen. Sie wissen ganz genau, was geht und was nicht geht und zusätzlich können sie auf so viele Daten zugreifen. Somit kannst du ihnen nicht mehr die Geschichte vom toten Pferd erzählen", weiß Christian Danner.

In seiner Formel-1-Zeit von 1985 bis 1989 sei das noch anders gewesen. Welche Ausreden er sich damals bei den Stewards einfallen ließ, wollte er im AvD Motorsport-Magazin nicht verraten. Nur so viel ließ er sich aus der Nase ziehen: "In den meisten Fällen hat es geklappt." Heute wie damals sind derartige Psychospielchen Teil der Formel 1. Allerdings zeigte sich Danner verwundert, dass ausgerechnet Red Bull der Konkurrenz unsportliches Verhalten vorwarf.

Red Bull vs. Mercedes: Das nächste Kapitel

"Ich finde es bemerkenswert und irgendwie auch sympathisch, dass Red Bull versucht hat, aus der Täterrolle in die Opferrolle zu schlüpfen. Aber Achtung: Wenn man im Glashaus sitzt, sollte man nicht mit Steinen werfen", meinte der 67-Jährige. Für ihn besteht die Möglichkeit nicht, dass Russell bewusst mit seinem Verhalten hinter dem Safety Car versucht hat, Verstappen auflaufen zu lassen, in der Hoffnung, dass er einen Fehler macht und einen Strafpunkt kassiert.

Aktuell stehen auf Verstappens Strafkonto 11 Punkte – einer noch und er wird für ein Rennen gesperrt. "Es ist natürlich eine verlockende Gelegenheit, aber so einfach ist das nicht. Du kannst nicht einfach mit einem normalen Safety-Car-Prozedere darauf hoffen, dass der andere so unachtsam ist, dich überholt und dafür einen Strafpunkt bekommt", ist Danner überzeugt. Der Protest war für den Deutschen von Anfang an ein 'Sturm im Wasserglas'.

"Trotzdem wurde das Thema wieder ausgiebig diskutiert und das zeigt halt, woher der Wind zwischen Russell und Verstappen weht. Und die Teams gehören da ganz genauso dazu." Ein wenig erinnert die Situation an 2021 – wenn auch ohne WM-Kampf. Damals verging nahezu kein Tag, an dem kein Giftpfeil von einem Team zum anderen flog – und auch nach der Kanada-Aktion fand Mercedes-Teamchef Toto Wolff deutliche Worte: "Ehrlich gesagt ist es so kleinlich und armselig", stellte der Österreich klar.

Was Toto Wolff im Rahmen der Kinopremiere zum F1-Film zu den Anschuldigen von Red Bull zu sagen hat, liest du hier.

Danner: Verstappen hat nur eine Schwachstelle

Für Danner sind das alles ganz normale Spielchen, wobei George Russell seiner Meinung nach klug vorgeht, indem er Verstappens größte (und einzige) Schwachstelle ausnutzt. "Russell reizt Verstappen, wo er nur kann. Er stichelt und Verstappen kann in solchen Situationen einfach nicht souverän bleiben. Er würde sich so viel leichter tun, wenn er cool bliebe und sich denken würde: Russell, wer? Den kenne ich nicht. Hat der schon einmal eine WM gewonnen?", meinte Danner. Allerdings machte der Deutsche nach dem Kanada Grand Prix eine interessante Beobachtung

Obwohl sich Russell und Verstappen laut den Medien spinnefeind sind, gratulierte Verstappen dem Briten zum Kanada-Sieg. "Er hat ihn direkt nach dem Rennen gepackt, ihm auf die Schulter geklopft und ihm gratuliert", erzählte Danner und stellte klar: "Wenn man auf der Klaviatur der Champions spielt, dann gehören solche Dinge einfach dazu. Natürlich versucht der eine, den anderen zu schwächen, aber ohne dass sie sich dabei ernsthaft böse sind."

Christian Danner: Red Bull macht Verstappen vom Täter zum Opfer (30:46 Min.)