Dieses Interview stammt aus der 98. Ausgabe unseres Print-Magazins, die dieses Jahr erschienen ist. Viel Spaß damit!

MSM: Letztes Jahr habe ich dich mit der Frage geärgert, ob ihr bei der Entwicklung verloren seid...
Mike Krack: Ich weiß, auf diese Frage habe ich jetzt gewartet! [lacht]

Damals hast du vehement bestritten, 'lost' zu sein. Würdest du mir mit etwas Abstand zustimmen?
Nein, würde ich nicht.

Warum?
Lost ist man, wenn man nicht weiß, was man machen soll. Und in dieser Situation waren wir nie. Es gibt immer wieder - und das siehst du auch jetzt, nicht nur bei uns, sondern bei einigen Teams - Schritte, die nicht das liefern, was man sich erwartet. Man muss das verstehen. Wenn etwas die ersten zehn Minuten nicht so funktioniert, wie du es erwartet hast, dann sagst du, oh, woran kann das liegen? Und da weißt du natürlich nicht, was du direkt machst. Ist das lost?

Lance Strolls im Kiesbett von Brasilien aufgelaufener Aston Martin AMR24
Aston Martins 2024 war deutlich weniger erfolgreich als 2023, Foto: LAT Images

Wenn du dann in die Analyse gehst, dann weißt du sehr schnell, wo die Problematik liegt. Du musst natürlich auch aufpassen, dass du nicht nach 10 Minuten hingehst und sagst, das ist es. Da musst du das auch mit ein paar Gegenchecks validieren. Sonst nimmst du schnell eine Richtung, die dann wieder in eine andere falsche Richtung gehen kann. Immer, wenn du kommst, weiß ich, dass die Frage im Raum steht. [lacht] Aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass wir damals 'lost' waren oder dass wir es jetzt sind.

Wie erklärst du es, dass der Turnaround aber trotzdem nicht kam? Mitte 2023 ging es abwärts, relativ zu den anderen ging es nicht mehr nach oben...
Der Schlüssel von dem, was du jetzt gerade sagtest, ist das 'relativ'. Wir waren in den ersten acht, neun Rennen letztes Jahr in der Position, wo du dich wirklich fragen musst: Haben andere ihre Hausaufgaben wirklich gemacht? Speziell Ferrari und Mercedes. Red Bull war vorne und wir waren dann auf einmal Zweiter oder Dritter und wussten nicht so recht, wie wir da hinkamen.

Die größten Auf- & Absteiger der Formel 1 2024 (09:47 Min.)

Wir haben von 2022 auf 2023 einen soliden Schritt gemacht, aber andere nicht. Und da haben wir uns in einer Position befunden, in der wir - aus meiner Sicht - ein bisschen zu früh waren. Ich habe damals auch immer gesagt, dass wir sehr bald sehr schwere Zeiten erleben werden. Natürlich nimmst du diese ganzen Podien mit und jeder glaubt, er ist der Größte. Aber dann macht Mercedes Fortschritte, McLaren hat noch einen Riesenschritt gemacht, Ferrari hat ihre Schritte gemacht und auf einmal findest du dich auf P5 wieder. Und das heißt, du kämpfst um Platz neun und zehn und nicht mehr um drei oder vier.

Und das ist natürlich schwierig für ein Team. Und da muss man auch versuchen, richtig den Überblick zu bewahren. Ich würde sagen, es ging nicht nach unten! Ich habe das auch immer wieder gesagt: du schaust ja, wie ich in der Performance relativ zum schnellsten oder zum zweitschnellsten Auto stehe. Und wir haben da nicht unbedingt Performance verloren, nur andere gingen dazwischen. Und dann warst du mit einem ähnlichen Abstand zum Ersten auf einmal Fünfter, wohingegen du am Anfang der Saison Zweiter warst. Es gibt da einen interessanten Vergleich, wenn man sich Bahrain und Abu Dhabi ansieht.

Krack: Abstand zur Formel-1-Spitze gleich geblieben

Also Saisonauftakt und Saisonfinale des letzten Jahres?
Ja, 2023. In beiden Rennen gab es kein Safety Car und beide Rennen waren Zweistopper. Unser Abstand zum Sieger ist genau der gleiche, aber einmal sind wir Dritter und einmal sind wir Siebter. Der andere Fahrer hatte ebenfalls gleiche Abstände und war einmal Sechster und einmal Zehnter. Und das zeigt ja eigentlich, was über dieses Jahr passiert ist.

Obwohl es die Ergebnisse nicht suggerieren, sind wir in einer besseren Position als letztes Jahr: Wir haben ein Jahr mehr, die Leute sind besser integriert, wir haben andere Tools, andere kommen noch. Deshalb sage ich immer, als Team sind wir in einer besseren Position, als wir letztes Jahr waren. Aber letztes Jahr waren wir in einer Position auf der Rennstrecke, wo uns eigentlich keiner erwartet hatte - wir uns selbst auch nicht, wenn ich ehrlich bin. Wir haben noch einen weiten Weg zu gehen.

Zwei externe Faktoren gab es letztes Jahr noch. Fernando sprach oftmals die Reifenkonstruktion an, die während der Saison geändert wurde. Dazu gab es auch Verschärfungen von der FIA bezüglich Flexibilität. Würdest du ausschließen, dass diese Faktoren eine Rolle gespielt haben?
Ja, das würde ich ausschließen. Die Restriktionen von FIA-Seite - ob das jetzt geometrisch ist oder dieses ganze Flexibilitätsthema - oder auch die Reifenwechsel, das sollte man nicht als Entschuldigung nehmen. Es ist gleich für alle, das sollte man nicht vergessen. Und wenn Pirelli die Rahmenbedingungen ändert, dann muss man als Team damit umgehen können.

Wenn die FIA die Rahmenbedingungen ändert, dann muss man damit auch umgehen. Ich finde, man sollte da nicht sagen, dass diese Dinge schuld sind. Das war vielleicht auch eine Frust-Aussage. Für die Fahrer ist es echt schwer. Wenn du das mit den ganzen Podien gewöhnt bist und dann bist du nicht mehr auf dem Podium und jedes Mal nach jeder Session kommt das Mikrofon... Dann ist das für die Fahrer schwer. Wir können uns da in dem LKW verstecken. Die Fahrer können das nicht. Das führt dann zu emotionaleren Aussagen.

Mike Krack über Aston Martins Formel-1-Auto-Konzept

2022 haben wir in einem Interview über Konzepte philosophiert. Aston Martin hatte zu Beginn der Saison die schwebenden Seitenkästen, hat die aber nicht zum Funktionieren gebracht. Damals meintest du, es könnte sein, dass das Konzept sogar zurückkommen könnte, wenn man Dinge besser versteht. Wenn man sich die Undercuts der Seitenkästen heute ansieht: So weit weg davon ist das nicht mehr...

Ja, das ist richtig. Wenn man die Autos heute nimmt und sie zu unserem Anfangsauto 2022 vergleicht, dann sieht man da schon ein paar Ähnlichkeiten. Allerdings - und das haben wir damals ja auch gesehen - hatten wir so viel Bouncing. Wir konnten den Abtrieb, den dieses Konzept produziert hat, einfach nicht nutzen. Du musstest [bei der Bodenfreiheit] so hoch gehen oder du musst es wegtrimmen, weil die Abtriebsniveaus so hoch und instabil waren. Langsam kriegen es die Leute aber hin.

In dieser Saison hat bei Aston Martin auch nicht alles so funktioniert, wie ihr euch das vorgestellt hattet - Stichwort Unterboden-Update und Rückbau. Du meintest, das wäre nicht zwingend ein Rückschritt, das hätte etwas mit aerodynamischen Charakteristika zu tun. Gibt es jetzt High- und Low-Downforce-Unterböden wie Flügel?
Ich würde nicht sagen Low-Downforce oder High-Downforce. Es geht eher darum, welche Charakteristik an Kurven die Strecke hat. Das könnte ich mir schon vorstellen. Du kannst die Unterböden so trimmen, dass sie entweder im High-Speed-Bereich besser sind oder im Low-Speed-Bereich. Ob man jetzt irgendwann in diese Richtung geht, dass man das wirklich so extrem macht... Hätten wir keinen Cost-Cap, dann würde es wahrscheinlich sogar in diese Richtung gehen.

Die Spezialisierung der Unterböden war bei euch aber eher unabsichtlich, kann man das so sagen?
Ja. Man analysiert ja alles in der Formel 1. Man analysiert die Bodenfreiheiten der Konkurrenz und man sieht große Unterschiede bei den Teams. Die Fahrhöhen zeigen dir, was für eine Unterboden-Charakteristik jemand fährt. Und dann setzt du das noch in Relation zu verschiedenen Strecken-Charakteristiken, um dir ein Bild zu geben, wie funktioniert welches Auto. Und dann siehst du Sachen wie zum Beispiel bei Alpine, der auf einigen Strecken auf einmal sehr stark ist, obwohl sie nichts geändert haben, und umgekehrt. Und genauso für uns und für Williams zum Beispiel auch.

Aston Martins Formel-1-Team wächst weiter

Das Team ist nach der Übernahme durch Lawrence Stroll sehr schnell gewachsen, zu schnell meintest du 2022. Damals hatte das Team 650 bis 700 Mitarbeiter. Wo steht Aston Martin heute?
Wir sind mehr. Wobei man natürlich immer unterscheiden muss: Es gibt einen Formel-1-Bereich und einen Nicht-Formel-1-Bereich. Und dann gibt es auch noch innerhalb der Formel 1 Bereiche, die für den Cost Cap relevant sind oder nicht. Insgesamt sind wir etwa 850.

Ein Team muss dynamisch sein, aber ist das Wachstum damit abgeschlossen?
Ein Team muss immer dynamisch sein und du darfst jetzt auch nicht zurückschrecken, wenn du sagst, mein Ziel ist 850 und ich habe mal 860, weil ich gerade irgendwelche Spezialisten bekommen habe. Denn man hat ja auch diese ganzen Vertragszeiten und so weiter. Da darf man nicht Panik haben. Es ist wichtig, dass es im Team eine gewisse Konsolidierung gibt, dass sich die Leute auch kennen und miteinander arbeiten, dass man auch mal zusammen durch eine erfolgreiche und eine weniger erfolgreiche Phase geht: Um besser und widerstandsfähiger zu werden. Aber du musst mit neuen Leuten auch immer wieder dynamisch bleiben.

Wo fehlt es Aston Martin noch auf die Top-Teams? Ist es nur die Infrastruktur?
Ja, natürlich ist die Infrastruktur ein großer Beitrag. Aber auch da: Ich möchte das nicht als Entschuldigung hernehmen. Wir nutzen denselben Windkanal wie das Team, das dieses Jahr schon drei Rennen gewonnen hat. Und sie haben weniger Windkanalzeit. Das ist die Realität. Deshalb kannst du es nicht auf die Infrastruktur schieben. Da musst du schon sagen: Okay, mit dem gleichen Paket hätten wir mehr machen können.

Warum haben wir das nicht geschafft? Da ist es wichtig, dass du Leute hast, die auch schon mal eine schwierigere Phase erlebt haben. Ingenieure tendieren dazu, dass jeder zu seinem Rechner geht und nur noch versucht, Daten zu verstehen, wenn es mal ein bisschen schlecht läuft. Genau in solchen Zeiten musst du versuchen, alle an den Tisch zu holen, den Austausch zu fördern.

Da muss nicht einer alleine die Lösung finden, sondern man muss dann versuchen, konstruktiv zu bleiben. Und das ist dann eine der Challenges, die du als Team auch lernen musst. Anfang des letzten Jahres habe ich auch immer gesagt, es wird schwierig werden. Es werden schwierige Zeiten kommen. Und dann wird es schwierig herauszufinden, wie kommen wir wieder dahin.

Braucht Aston Martin weiter Verstärkung?

Schafft es das Team selbst, sich da rauszuziehen oder brauchst du die Expertise von Externen, müssen da noch ein paar Teamleader kommen?
Ich glaube, das Team schafft es selbst. Wenn du sehr erfahrene Leute hast, die können das Team vielleicht besser oder schneller zu einer besseren Lösung steuern - mit dem genannten Ansatz: Nicht jeder für sich allein, sondern alle zusammen. Ich glaube jetzt nicht, dass der erfahrene Leader dir sagt, du musst mal schauen, der Deflektor ist an der falschen Stelle. Dafür ist es zu spezialisiert. Das überreißt auch ein erfahrener Leader nicht.

Wir waren kürzlich bei euch in der Fabrik. Seit unserem letzten Besuch im vergangenen Jahr sind zwei neue Gebäude inklusive Windkanal dazugekommen. Wie sieht der genaue Zeitplan für die Inbetriebnahme aus? Wann kann Aston Martin autark arbeiten?
Das geht jetzt Schritt für Schritt. Das mittlere Gebäude soll nach dem Shutdown eröffnet werden. Darin sind Simulator und Kantine, dazu auch noch Fitnesscenter. Es ist auch ein bisschen ein Sozialgebäude, in dem alle zusammenkommen. In Gebäude 3 hast du Getriebeprüfstände, Windkanal, Modelshop und so weiter. Verschiedene Aktivitäten wie der Modelshop mit 3D-Druckern laufen schon. Es geht jetzt Schritt für Schritt. Mitte nächsten Jahres sollten wir eigentlich an dem Punkt sein, an dem wir niemanden mehr brauchen.

2026 wird Aston Martin zum Honda-Werksteam. Ihr werdet dann auch euer eigenes Getriebe bauen. Inwiefern habt ihr das Know-how dafür schon aufgebaut?
An dem Tag, an dem wir entschieden haben, dass wir mit Honda gehen, wussten wir, dass wir das Getriebe bauen müssen. An diesem Tag hat das angefangen. Du brauchst dann eine Budgetplanung, eine Ressourcenplanung und eine Infrastrukturplanung. Die haben wir dann direkt angestoßen. Innerhalb von drei bis vier Wochen stand der Plan. Und dann gehst du direkt in die Rekrutierungsphase. Hydraulik ist ja auch ein Thema. Es ist nicht nur das Getriebe. Viele Spezialisten haben lange Vertragszeiten. Und das kam dann alles nach und nach. Sowohl Infrastruktur, Personal als auch erste Prototypen kamen nach und nach ab Tag eins.

Aston Martins Umgang mit F1-Weltmeister Fernando Alonso

Zum Abschluss noch eine Fahrer-Frage. Als Fernando Alonso als Nachfolger von Sebastian Vettel geholt wurde, habt ihr keinen Hehl daraus gemacht, dass ihr um seine Persönlichkeit wisst. Wie geht es dir nach knapp zwei Jahren mit ihm?
Kommunikation ist alles. Einen wie Fernando hast du nie im Griff. Ich glaube, das muss man sich abschminken. Ich bin da sehr direkt. Wenn ich sehe, dass er frustriert ist, muss man auch hingehen und einfach sagen, ich verstehe dich. Wie kommen wir da zusammen raus? Das ist manchmal auch mit dem eigenen Frust gar nicht so einfach. Selbst hast du auch keine Lust mit irgendjemandem zu reden.

Außer mit uns natürlich...
Ja, außer mit euch natürlich. Es ist dann wichtig, dass man sagt, ich bin jetzt sekundär. Wir müssen diesen Fahrer bei Laune halten und auch in gewissem Maße stabil. Wenn wir gute Ergebnisse haben, ist das natürlich alles einfach. Aber jetzt ist auch mehr Kommunikation und Transparenz gefragt. Er ist auch nicht mit allem einverstanden, wie wir es gemacht haben oder was wir machen.

Man muss immer schauen, wer welche Verantwortung hat. Er fährt und gibt uns Input, aber die Technik entscheidet, was wir als nächstes machen. Diese Entscheidungen sind nicht immer kompatibel. Oft hat der Fahrer auch nicht den Überblick, was logistisch überhaupt möglich ist in so einer Zeit. Da kann man nicht einfach sagen, lass uns das komplett umbauen. Das Chassis muss modifiziert werden. Da gibt es hunderttausend Gründe, warum es nicht geht - leider.

Und die versteht der Fahrer nicht so?
Nein, und er will ja nicht. Und das ist auch richtig, dass er es nicht versteht. Er muss nur fordern. Es ist wichtig, dass man da im Austausch versucht, das Ganze irgendwie stabil zu halten. Aber das ist nicht immer einfach. Ich würde lügen, wenn ich sage, das ist ein Kinderspiel.

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