Vieles gibt es für die Formel 1 nach Mexiko zu diskutieren. Eines nicht: Max Verstappen hatte keine Chance auf den Sieg. Selbst ohne 20 Sekunden an Strafen verlor er auf der Strecke 39 Sekunden auf Sieger Carlos Sainz. Doch so chancenlos der Red Bull war, so wichtig war er in der Sieg-Entscheidung. McLaren sieht ihn in der Schlüsselrolle. Eine kalkulierten Taktik, welche Lando Norris um mehr Punkte brachte?
Norris wurde mit nur 4,705 Sekunden Rückstand auf Sainz auf dem zweiten Rang liegend abgewunken. McLaren-Teamchef Andrea Stella ärgert sich: "Rückblickend enttäuscht es da, wenn ich auf die Zwischenfälle der frühen Runden schaue, denn ohne die hätte Lando um den Sieg kämpfen können."
McLaren hatte erst in Mexiko eigentlich daran gezweifelt, mit Ferrari mithalten zu können. Der schon im Qualifying übermächtige Sainz verlor zwar seine Führung am Start kurz an Verstappen, aber nach einem kurzen Safety Car ging er bereits zwei Runden nach dem Restart wieder an Red Bull vorbei. Während er nun wegfuhr, eskalierte es dahinter.
Verstappen fährt in Mexiko gegen Norris - und für Ferrari
Mit allen Mitteln und nur sehr wenig Bedacht auf Regeln machte sich Verstappen daran, in Runde 10 Norris vom zweiten Platz fernzuhalten. "Es ist klar, dass es für ihn nicht zählt, ob er Erster oder Zweiter wird, sein Job ist es bloß mich im Rennen zu schlagen", urteilte Norris. Verstappen drängte ihn gleich zwei Mal ab und fuhr sich 20 Strafsekunden ein.
Womit allerdings garantiert war, dass er das Rennen auch hinter Norris beenden würde. Doch der Schlüssel liegt hier nicht darin, dass Verstappen vor Norris blieb. Sondern was Verstappen - ob nun mit Absicht oder nicht - besonders durch die zweite Aktion mit dem Rennen von Norris anstellte.
Direkt nach dem Safety-Car-Restart war Norris im Vorteil. So wollte er in Runde 10 nicht lange fackeln und erfüllte außen in Kurve 4 alle Kriterien für ein legales Überholmanöver. Verstappen schob ihn zwar raus, konnte aber nicht verhindern, dass Norris vor ihm wieder auf die Strecke zurückkam.
Daraufhin startete Verstappen in Kurve 8 einen Angriff. Mit dem fuhr er sich selbst und Norris von der Strecke, erreichte aber zwei für das Renngeschehen (und für seine WM-Hoffnungen) immens wichtige Etappensiege. Zum einen konnte Charles Leclerc beide überholen und Platz 2 übernehmen. Zum anderen konnte sich Verstappen, wenn auch illegal, wieder auf Platz 3 vor Norris setzen.
Strafen helfen Lando Norris in Mexiko nicht
Natürlich würde Verstappen mit den Strafen bei einem über 20 Sekunden langen Boxenstopp den Platz verlieren. Aber zur Seite fahren musste er davor für Norris nicht. Und er hatte jetzt beide Ferrari freigespielt. In seinem eigentlich unterlegenen Red Bull begann er nun zwangsweise den McLaren aufzuhalten. Während Sainz und Leclerc davonfuhren, war Norris permanent gut eineinhalb Sekunden am Red Bull dran, und konnte sichtlich schneller.
Erst als Verstappen in Runde 26 zum Stopp kam, wurde Norris mit 12,5 Sekunden Rückstand auf Sainz erlöst. In Runde 30 kam er zu seinem einzigen Boxenstopp, danach war er bis ins Ziel schnellster Mann. Über zwei Zehntel war er im Schnitt schneller als Sainz, über dreieinhalb schneller als Leclerc. Aber nach dem ersten Stint war der Schaden angerichtet. Nur Leclerc konnte er noch einholen und in einen Fehler treiben.
Sainz brachte seinen Sieg locker über die Linie. Dennoch - Norris machte nach seinem Boxenstopp neun Sekunden wieder gut. "Sobald Lando Verstappen los war, zeigte er, dass er sehr wettbewerbsfähige Pace hatte", unterstreicht Andrea Stella. "Und im zweiten Stint bewies er, dass er eigentlich so schnell wie Ferrari war."
Hätte Verstappen fair gespielt, so wäre Norris als Zweiter hinter Sainz aus der zehnten Runde zurückgekommen, und 60 Runden vor Schluss schon in Schlagdistanz gewesen. Im Angesicht der Tatsache, dass er im zweiten Stint der schnellste Fahrer war, ist es nur naheliegend, dann auf einen Norris-Sieg zu tippen. Er hätte dann drei Punkte mehr auf (den in diesem Szenario vor Mercedes viertplatzierten) Verstappen gutgemacht. Doch was hätte Ferrari dem noch entgegensetzen können?
Sainz kann Rennen in Mexiko fast vom Start weg kontrollieren
Fest steht wohl, dass Ferrari im ersten Stint mindestens gleich schnell war. McLaren ist eher hintenraus schnell. "Schon in Austin sahen wir, dass unser Auto später im Stint besser mit den Reifen umgeht", merkt Stella an. "In einem langen Stint scheinen wir in der zweiten Hälfte Zeit zurückzugewinnen."
Norris konnte diesen Vorteil gegen Rennende in Mexiko voll ausspielen, weil er größtenteils freie Fahrt hatte. Das führt zu einer etwas ungewöhnlichen Aussage: Es hätte ihm nicht unbedingt geholfen, wenn er stattdessen ab Runde 10 im Heck von Sainz geklebt wäre. In Mexiko ist das ein besonders großes Problem. Nicht nur, weil die Reifen in der verwirbelten Luft hier auf einer griparmen Strecke leiden. Auch, weil in der dünnen Höhenluft die Kühlsysteme an ihre Grenzen kommen.
Hier hatte McLaren immerhin einen Vorteil. "Wir mussten die Pace nicht managen, um die Kühlung zu kontrollieren", verrät Stella. Deshalb konnte Norris auch 15 Runden lang weniger als zwei Sekunden hinter Verstappen herfahren. Charles Leclerc wurde von Ferrari anfangs hinter Sainz eingebremst, weil man Überhitzung fürchtete. Als Norris dann begann aufzuholen, musste man Sainz vorne wieder antreiben, damit der gehetzte Leclerc nicht in die verwirbelte Sainz-Luft zurückfuhr.

Trotzdem bedeutet das nicht, dass Norris je Sainz überholen hätte können. Oscar Piastri im zweiten McLaren, der von Platz 17 gestartet war, schaffte in seinen ersten 27 Runden mangels Reifenvorteil gegenüber dem Mittelfeld nur fünf Überholmanöver. Und Sauber, Williams oder Aston Martin sind bei weitem keine so schnellen Autos wie der Sainz-Ferrari, der im Schnitt im zweiten Stint nur zwei Zehntel langsamer war als der Norris-McLaren.
Selbst Leclerc-Manöver von Norris in Mexiko nie garantiert
Auch dass es Norris in Runde 62 an Leclerc vorbeischaffte, ist da kein Gegenbeweis. Leclerc war sieben Runden davor im Mittelsektor beim Überrunden auf einen unachtsamen Liam Lawson aufgelaufen. Zwei Runden später half ihm auch Lance Stroll nicht. "Er hat drei Sekunden verloren und viel Temperatur in den Reifen", analysiert Ferrari-Teamchef Fred Vasseur mit gewissem Frust. "Wenn du fünf Kurven mit vollen blauen Flaggen hast, dann ist das kein Pech mehr."
Vasseur macht daran fest, dass Norris Leclerc daraufhin so schnell einholte, und Leclerc dann den zweiten Platz mit einem Fehler endgültig verschenkte. Eine These, welche die Rundenzeiten durchaus hergeben. Leclerc fuhr bis zum Lawson-Zwischenfall ähnliche Zeiten wie Norris, erst danach geriet er in echte Schieflage.
Ohnehin steht diesen Gedankenspielen die Tatsache im Weg, dass Norris nach dem gescheiterten Versuch in Runde 10 nicht einmal den langsameren Verstappen angriff. Was aber auch eine gewisse Berechnung war, so Andrea Stella: "Lando weiß sehr gut, dass ein Überholmanöver sicher vonstattengehen muss. Wir kämpfen ja sowohl um den Fahrer- als auch um den Konstrukteurs-Titel."
"Wenn du in diese Kämpfe eingreifst, dann musst du an beides denken", sagt Stella. Dieses Mindset bestätigte Norris nach dem Rennen. Er wurde das Gefühl nicht los, dass Verstappen auch eine Kollision in Kauf nehmen würde: "In den ersten paar Runden ging es nur darum, im Rennen zu bleiben und Unfälle zu vermeiden. Ich wäre sonst heute nicht auf dem Podium."
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