Schon wieder sorgen Flügel am McLaren für Aufruhr. Nachdem die Regelhüter des Automobil-Weltverbandes FIA alle Frontflügel vor wenigen Wochen für legal erklärten und diesem Nebengefecht ein Ende setzten, lösten die Fernsehbilder aus Baku einen neuen Sturm der Entrüstung in der Formel 1 aus. Denn am McLaren von Oscar Piastri war klar ein sich biegender Flügel zu erkennen. Die Konkurrenz läuft am Donnerstag vor Singapur heiß.
Da Piastri sich in Baku permanent verteidigen musste, war seine rückwärtige Onboard-Kamera häufig im Bild. Aufmerksame Beobachter teilten nach dem Rennen in den sozialen Medien Auffälligkeiten. Im Detail geht es um das obere Hauptelement des Heckflügels, genauer gesagt jenen Teil, der als DRS nach oben geklappt werden kann. Mehrmals war auf der Kamera zu sehen, wie sich die unteren Ecken des DRS-Elements mit ansteigender Geschwindigkeit zunehmend verformten und nach oben bogen.

Dadurch entstanden zwischen oberem und unterem Hauptelement kleine Lücken. Ein offensichtlicher Vorteil, denn so wird selbst bei geschlossenem DRS-Element der Luftwiderstand reduziert und damit der Topspeed erhöht. Der betroffene Flügel ist die Low-Downforce-Konfiguration, welche das Team in Spa einführte und danach auch in Monza und Baku nutzte.
McLaren-Heckflügel erregt Ferrari & Red Bull: Mindestens kontrovers
"Ich bin überrascht - ich dachte, das ist nicht erlaubt", wundert sich Red-Bull-Pilot Sergio Perez am Donnerstag in Singapur. Bei McLarens Konkurrenz hat man die TV-Bilder aus Baku bereits sehr genau studiert. "Das ist das Tolle an Social Media, oder?", freut sich Max Verstappen. "Jeder hat das Video gesehen, und jetzt gehen die Diskussionen los."
"Kann clever sein, oder auch nicht", hält sich Verstappen zurück. "Das liegt jetzt bei der FIA." Red Bull klopft dort schon seit Wochen ununterbrochen an die Tür, und lässt sich nicht abwimmeln. "Ich schätze, eine Klarstellung ist wichtig, nicht nur beim Heckflügel, sondern auch beim Frontflügel. Was darfst du, wie weit darf es sich verbiegen?"
Bei Red Bull ist die Laune besonders schlecht, weil man 2021 mitten in der Saison Heckflügel nach einer mittels Technischer Direktive kommunizierten Verschärfung der Regeln hatte versteifen müssen. Als die FIA in der Frontflügel-Causa vor wenigen Wochen dann ankündigte, vor der Winterpause wohl kaum zu reagieren, war man deutlich frustriert.
Dass nun der McLaren-Heckflügel so in den Fokus gerät, erlaubt es Red Bull und Ferrari, ihren Frust öffentlich voll auszuleben. Charles Leclerc kündigte an, das Thema bereits mit seinem Teamchef Fred Vasseur eingehend besprochen zu haben: "Basierend auf dem, was mir gesagt wurde, ist das mindestens kontrovers. Dabei belasse ich es. Fred wird weiter ins Detail gehen."
McLaren-Fahrer lachen über die Konkurrenz: Stolz auf dieses Team!
Von Kontroversen will man bei McLaren überhaupt nichts wissen. "Alles wurde getestet, alles ist legal", tut Lando Norris die Beschwerden ab. Die Regeln sind bei dem Thema klar. Zwar verbieten sie jede Biegung absolut, aber bei den hohen Belastungen ist das nicht durchsetzbar und auf der Strecke nicht messbar. Daher gibt es Limits. Die werden mittels Belastungstests am stehenden Auto überprüft.

2021 wurden zusätzlich noch Referenzpunkte auf dem Heckflügel eingeführt, um auch an fahrenden Autos Bewegungen mittels der Onboard-Kamera einzuschätzen. Wer diese Hürden meistert, der ist legal - egal, ob auf dem TV-Bild sich etwas verbiegt oder nicht. Das bestätigt auch die FIA in einer Stellungnahme: "Wenn ein Team alle Belastungstests schafft und die Regeln und Technischen Direktiven einhält, wird es als völlig den Regeln entsprechend eingestuft, und keine weiteren Maßnahmen werden ergriffen."
Oscar Piastri zuckt mit den Schultern: "Wir werden oft getestet, und alles passt." Das weiß auch Norris: "Also bin ich stolz und freue mich über das, was das Team tut. Sie pushen die Limits. Das musst du machen, wenn du vorne kämpfen willst. Gegen Leute, die dafür bekannt sind, solche Dinge auch zu tun, und jede mögliche Gelegenheit auszunutzen."

"Überhaupt ist das für mich cool zu sehen", so Norris. "Und auch wenn man vielleicht jetzt uns sieht, so gibt es noch immer viele andere Teams, die sowas machen. Das siehst du nicht im Fernsehen, weil die vielleicht nicht das Rennen anführen, also werden bestimmte Kameras nicht gezeigt."
FIA beginnt nachzudenken: Kommt 2024 noch ein Regel-Eingriff in der Formel 1?
Unumwunden gibt in Singapur etwa auch Haas-Teamchef Ayao Komatsu zu: "Ganz ehrlich, in diesem Jahr machen wir das auch. Jeder macht das. Wir sind nur nicht die besten." Piastri hält fest: "Und es ist sicher auch kein Zaubertrick, wegen dem wir wettbewerbsfähig sind." Das zeigte Baku. Sowohl McLaren als auch Ferrari fuhren mit Low-Downforce-Heckflügeln. Die Topspeed-Werte mit geschlossenem und offenem DRS waren jeweils vergleichbar, wie die Analyse von Motorsport-Magazin.com zeigte.
Doch all das heißt nicht, dass es zwangsweise kein Eingreifen geben wird. Wie bereits angerissen: Mittels Technischen Direktiven kann die FIA während der Saison Tests verschärfen, und damit effektiv Tricks aushebeln. Und das ist nun nicht mehr ganz auszuschließen, heißt es von offizieller Seite: "Die FIA untersucht gerade Daten und zusätzliche Beweise, die aus Baku kamen, und denkt über eine zukünftige Einführung von abschwächenden Maßnahmen nach."
"Das ist Teil des Standard-Verfahrens, wenn man technische Legalität überprüft, und die FIA behält sich die Autorität vor, wenn nötig während der Saison Regeländerungen vorzunehmen", schließt der Verband.
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