Vor gut zehn Monaten hatte Mercedes-Teamchef Toto Wolff genug. 2023 war für sein Team beim Thema Boxenstopps nämlich in den Problem-Bereich abgerutscht. Komplett verschlafen hatte man den Beginn eines intensiven Wettrüstens, in dessen Rahmen die direkte Konkurrenz in der Formel 1 Mercedes im Schnitt mehrere Zehntel pro Reifenwechsel abnahm. Seit dem Weckruf hat die Mannschaft einen bemerkenswerten Wandel hingelegt.
Wie auch die Boxenstopp-Analyse von Motorsport-Magazin.com in der Sommerpause zeigte, ist die Mercedes-Wende eindrucksvoll. Im Vorjahr war man mit einer durchschnittlichen Standzeit von über 3 Sekunden auf einem sechsten Rang nur vor kleinen Teams gelegen. Einer Mannschaft mit WM-Ambitionen unwürdig. 2024 ist man im Jahres-Ranking bisher auf dem dritten Platz. Nur Red Bull und Ferrari sind schneller:
Was war eigentlich das Problem gewesen? 2021 und 2022 waren zahlreiche Regeländerungen und neue Autos gekommen. Mercedes sparte sich größere Investitionen an Equipment und Prozessen. Maxime war: Solange man fehlerlos Reifen wechselte, würde es schon passen.
Die Boxenstopp-Probleme von Mercedes erklärt
Die Konkurrenz war da anderer Meinung. Red Bull hatte es in den Jahren vorgemacht, und durch kontinuierliches Nachschärfen gewann man im Schnitt mehrere Zehntel pro Stopp. Ferrari und McLaren entschlossen daraufhin ein straffes Update-Programm. Hardware - Schlagschrauber, Muttern, Naben, Wagenheber - wurde optimiert. Die Prozesse wurden verbessert. Damit begann man die Lücke zu Red Bull zu schließen.
Damit hatte Mercedes nicht gerechnet. "[Unsere Stopps] waren konstant, aber konstant langsamer als die Spitze", ordnet Technik-Chef James Allison die Stopp-Lage in einem der 'Race Debrief'-Videos des Teams ein. "Es war mehr als für uns angemessen." Die Rechnung ist schließlich einfach.
Boxenstopps sind in der Formel 1 ein wichtiges strategisches Werkzeug. Nehmen wir das Beispiel eines Undercuts. Zwei Fahrer liegen direkt hintereinander. Der Hintermann kommt zuerst zum Stopp, um danach auf der Outlap mit frischeren Reifen Zeit aufzuholen und so die Position zu übernehmen, wenn der Vordermann eine Runde später wechselt. Eineinhalb Sekunden Zeitgewinn sind für diese Strategie oft realistisch.
Das bedeutet: Man muss vor dem Stopp auf eineinhalb Sekunden in die verwirbelte Luft des Vordermannes fahren, um sich in Position zu bringen. Wenn dann der Reifenwechsel länger dauert, hat man ein Problem. Ein Mercedes hätte 2023 in einem direkten Kampf einem Red Bull um eine halbe Sekunde näher sein müssen, um einen Undercut erfolgreich umzusetzen.
Im letzten Jahr war so richtig offensichtlich geworden, wie gefährlich der Stopp-Schlendrian war. Im zweiten Jahr der Regeln hatte Mercedes nämlich keine nennenswerten Anpassungen, und folglich keinen Fortschritt gemacht. Plötzlich waren nur 2 Prozent der Stopps unter 2,5 Sekunden. Bei Red Bull traf das auf über 50 Prozent zu, bei Ferrari und McLaren waren es über 40 Prozent.
So langsame Stopps hatten obendrauf zur Folge, dass beim ersten kleinen Fehlgriff das Auto schon über 3,5 Sekunden stand. Eine Zeit, die andernorts bereits als "grob fehlerhaft" beurteilt wird und mehrere Probleme zur Ursache haben muss. 2024 hat Mercedes zurück zum Spitzen-Level aufgeschlossen. Tatsächlich hat man McLaren bereits wieder überholt. Stopps unter 2,5 erlebten einen massiven Zuwachs. Auch wenn Red Bull und Ferrari sich ebenfalls verbesserten und vorne blieben.
So schaffte Mercedes 2024 die Wende bei Reifenwechsel
Aber keiner verbesserte sich so stark wie Mercedes. 0,24 Sekunden holte man auf Red Bull auf. Wie geht das? "Hätten wir mit dem letztjährigen Equipment weitergemacht, wäre es unmöglich, egal wie hart die Jungs trainiert hätten", hält Allison fest. "Wir haben viel Arbeit in die Details an den Ecken des Autos investiert. Damit die Muttern und Rädern schneller runtergehen. Und damit der Schlagschrauber-Mann einen größeren Spielraum für Fehler hat."
"Das macht den Prozess mit Schraubern und Muttern und Achsen viel toleranter für kleine Positionsfehler und gibt der Boxencrew die Chance, ihr Können zu zeigen", so Allison. "Und dann gab es viel Training der Crew vor und während der Saison, um sicherzustellen, dass wir ausnutzen, was wir uns von unseren Design-Änderungen ausrechnen."
"Wir sind sehr zufrieden mit der Tatsache, dass wir uns ein ordentliches Stück vorwärtsbewegt haben", sagt Allison. Mehr Potenzial könnte noch vorhanden sein: "Wenn man dieses Jahr mit dem letzten Jahr vergleicht, dann sieht man einen großen Sprung zum ersten Rennen, und dann schrittweise Verbesserungen danach, als wir so richtig das Maximum vom Equipment rausgeholt haben."
Um die Spitzenzeiten der besten Reifenwechsler zu erreichen, gibt es aber noch mehr Arbeit zu tun. Red Bull und Ferrari sind zwar jetzt in Reichweite, jedoch in allen Bereichen besser. Mehr Stopps unter 3 Sekunden, fast gar keine über 3,5 (einer für Ferrari, zwei für Red Bull). Besonders Ferrari ließ über den Winter aufhorchen, hat Fehler-Stopps fast komplett eliminiert. Auf sie verliert Mercedes sogar mehr als im Vorjahr.
Doch für Mercedes ist das erst der erste Schritt. Ferrari und McLaren brauchten je über zwei Jahre, ehe sie nach großen Umstellungen so richtig in den Tritt kamen. Unter diesen Gesichtspunkten ist Mercedes dem zu erwartenden Zeitrahmen schon voraus.
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