Die ersten 12 Rennen der Formel-1-Saison 2023 sind gefahren und die höchste Motorsportklasse verabschiedet sich in die dreiwöchige Sommerpause. Zwei komplette Wochen lang müssen die Fabriken der Teams geschlossen bleiben, die Boliden dürfen solange nicht weiterentwickelt werden... Der perfekte Zeitpunkt für Motorsport-Magazin.com, die Leistungen der drei Neulinge in dieser Saison zu analysieren und ein erstes Fazit zu ziehen.

Nyck de Vries: Der überfällige Rauswurf

Der erste Rookie hat die Zeit bis zur Sommerpause gar nicht erst überlebt. Nach überwiegend enttäuschenden Leistungen von Nyck de Vries zog die Red-Bull-Familie um Dr. Helmut Marko nach dem Großbritannien GP die Reißleine, und ersetzte den Niederländer mit Ex-Red-Bull-Fahrer Daniel Ricciardo, der mit Simulator-Arbeit und einer guten Leistung beim Reifentest in Silverstone die Red-Bull-Bosse überzeugen konnte. Nyck de Vries stand angesichts seines für einen Rookie hohen Alters von 28 Jahren von vornherein unter Druck, dem er aus der Retrospektive betrachtet, nicht gewachsen war.

War der Großbritannien GP das letzte Formel-1-Rennen für Nyck de Vries?, Foto: Peter Fox / Getty Images / Red Bull Content Pool
War der Großbritannien GP das letzte Formel-1-Rennen für Nyck de Vries?, Foto: Peter Fox / Getty Images / Red Bull Content Pool

Die Statistiken gegenüber seinem Ex-Teamkollegen Yuki Tsunoda sprechen eine deutliche Sprache: Abgesehen von vereinzelten, oftmals durch Glück bedingten Achtungserfolgen, konnte der Formel-E-Weltmeister nie mit Tsunoda mithalten. Während der Japaner vor allem am Anfang der Saison im Rennen immer um die Top 10 mitfahren konnte, verfehlte de Vries die Punkteränge bei jedem einzelnen Rennen deutlich. Im Qualifying- und Rennvergleich schlug Tsunoda de Vries mit 8:2. Im Qualifying lag de Vries durchschnittlich 0,223 Sekunden hinter seinem Tsunoda - der viertgrößte Abstand zwischen zwei Teamkollegen im gesamten Fahrerfeld.

Neben dem fehlenden Speed kam bei de Vries auch die Fehleranfälligkeit dazu. Vor allem in Zweikämpfen mit anderen Fahrern, wie gegen Kevin Magnussen beim Kanada GP, stellte sich der Ex-AlphaTauri-Fahrer oft stümperhaft an. All diese Faktoren sorgten schlussendlich dafür, dass Nyck de Vries als erster Fahrer in dieser Saison seinen Hut nehmen musste.

Logan Sargeant: Bisher chancenlos gegen Albon

Die Formel-1-Karriere von Logan Sargeant begann zunächst recht vielversprechend. Mit einem, auch in dieser Saison wieder unterdurchschnittlichen Williams, schrammte der Rookie beim Saisonauftakt in Bahrain nur knapp an den Punkten vorbei. Es sollte allerdings acht weitere Rennen, genauer gesagt bis zum Großbritannien GP, dauern, bis Sargeant wieder in die Nähe der Punkte fahren konnte. Die Top 10 erreichte er sowohl im Qualifying als auch im Rennen in dieser Saison allerdings nie. Sargeants große Schwäche ist, vor allem im Vergleich zu seinem Teamkollegen Alex Albon, die Pace im Qualifying. Dort steht es zur Sommerpause 12:0 für den Thailänder, der bei der Zeitenjagd im Durchschnitt fast sechs Zehntel schneller als sein Rookie-Teamkollege fährt.

Unfall von Logan Sargeant im Regen von Spa-Francorchamps
Beim vergangenen Belgien GP flog Sargeant bereits am Traningsfreitag von der Strecke, Foto: LAT Images

Die enttäuschende Leistung des neuen Williams-Piloten ließ zwischendurch sogar Gerüchte aufkommen, nach denen Mick Schumacher den Amerikaner noch während der Saison ersetzen könnte. Beim britischen Traditionsteam hat man aber weiterhin Geduld mit seinem Rookie. Vor allem Teamchef James Vowles stärkte seinem Schützling mehrmals öffentlich den Rücken und sicherte ihm Zeit für seine Entwicklung zu.

Im Rennen sieht der Vergleich zu Teamkollege Albon nicht viel besser aus. Bei jedem Grand Prix, den beide Williams-Fahrer beendeten, landete Sargeant hinter Albon. Für einzelne Lichtblicke konnte Sargeant in der ersten Saisonhälfte zwar sorgen, jedoch schlichen sich beim US-Fahrer auch übermäßig viele Fehler ein, die nicht selten kapitale Folgen nach sich zogen. Im Sprint-Shootout von Aserbaidschan setzte Sargeant seinen FW45 in Kurve 15 in die Bande, konnte aufgrund des erlittenen Schadens nicht am Sprint teilnehmen und schmiss dadurch die Chance auf wertvolle Punkte weg. In Anbetracht seines auslaufenden Vertrages steht Logan Sargeant bereits in seiner Rookie-Saison unter Druck.

Oscar Piastri: Der Australier bestätigt die Vorschusslorbeeren

Oscar Piastri kam nach seinen Meisterschaften in der Formel 3 und in der Formel 2 mit reichlich Vorschusslorbeeren in die Königsklasse des Motorsports. Das Wechsel-Drama rund um Alpine und McLaren sorgte für zusätzlichen Druck auf den Schultern des Australiers. Doch der 23-jährige zeigt sich in seiner Rookie-Saison davon alles andere als beeindruckt und wirkt bereits jetzt wie ein Fahrer, der schon viele Jahre in der Formel 1 auf dem Buckel hat. Piastri wurde allerdings auch perfekt auf seine Rookie-Saison vorbereitet: Nach seinem Formel-2-Titel saß er 2022 auf Alpines Ersatzbank und bekam private Tests mit dem 2021er Formel-1-Boliden.

Oscar Piastri beim Sprint Race in Spa-Francorchamps
Oscar Piastri fährt in dieser Saison nicht wie ein gewöhnlicher Rookie, Foto: LAT Images

Vor allem seit den McLaren-Updates, die das Team aus Woking wieder an das vordere Ende des Feldes brachten, beeindruckt Piastri mit einer geringen Lücke von durchschnittlich 0,038 Sekunden im Qualifying zu seinem hochangesehenen Teamkollegen Lando Norris. Beim letzten Rennen vor der Sommerpause in Belgien war Piastri während des gesamten Wochenendes sogar schneller als der Brite. Hinzu kommt, dass sich der Australier im Gegensatz zu seinen Rookie-Kollegen, deutlich weniger Fehler oder Unfälle erlaubt. Das Qualifying in Kanada und die erste Runde des Belgien GP bilden die beiden Ausnahmen. Der positive Eindruck wird auch vom 'MSM-Fahrerranking' bestätigt, bei dem Piastri mit seiner aktuellen Durchschnittsbewertung von 2,65 der bestbewertete Rookie der letzten vier Jahre wäre.

Der McLaren-Pilot ist in dieser Saison außerdem der einzige Rookie, der nicht 0, sondern 34 Zähler auf dem Punktekonto vorzuweisen hat. In Ungarn war er bis zu seinem Schaden am Unterboden auf Podiumskurs, in Silverstone sorgte ein unglückliches Safety-Car dafür, dass dem McLaren-Rookie sein sicher scheinender dritter Platz entrissen wurde. Sollte McLaren in der zweiten Saisonhälfte die derzeit starke Form beibehalten können, wird das erste Podium für Oscar Piastri nur eine Frage der Zeit sein. Fest steht aber bereits jetzt: Oscar Piastri wird allen Erwartungen gerecht und rechtfertigt McLarens Entscheidung, Landsmann Ricciardo für ihn vor die Tür zu setzen.