In Sachen Kräfteverhältnis gibt es in der Formel 1 mitten in der Saison 2023 noch immer gehörige Turbulenzen. Das zeigt auch der Trainings-Freitag in Silverstone einmal mehr. Hinter Red Bull will sich kein klares Bild formen. Neuestes Highlight: Williams beendet den Freitag als dritte Kraft hinter Ferrari, während Mercedes auf einer vermeintlichen Paradestrecke einen Pleiten-Auftakt liefert.
Es bedarf der Trainings-Analyse, um dieses Bild zu sortieren. Obwohl das gar nicht einmal so falsch ist. Denn auf den ersten Blick ist nichts da, mit dem Alex Albons dritter Platz hinter Max Verstappen und Carlos Sainz mit nur 0,218 Sekunden Rückstand als Glück abgetan werden könnte. Genauso wie kein Pech der Welt den Mercedes-Rückstand erklären kann.
Ist Williams in Silverstone wirklich so gut?
Albon fuhr seine beste Runde in Silverstone in der gleichen Minute wie Verstappen. Teamkollege Logan Sargeant fehlte mit 0,47 Sekunden zwar viel Zeit auf Albon, aber der US-Rookie tut sich schon das ganze Jahr mit Reifenmanagement im Qualifying-Trimm schwer. Auch das ist also nicht ungewöhnlich, und die Zeit reichte sowieso für P5 hinter Sergio Perez. Red Bulls Motorsport-Chef Dr. Helmut Marko tut die Williams-Zeiten dennoch ab: "Schauen wir, wie viel Benzin der hatte. Motorleistung war sicher voll aufgedreht."
Albon widerspricht: "Wir haben nicht mit seltsamen Dingen herumgespielt, für uns war es ein normaler Tag." Kritisches Thema sind die Updates. Ein großer Umbau wurde in Kanada eingeführt, Albon erhielt am Freitag in Silverstone auch noch einen neuen Frontflügel. "Zumindest im Simulator ist das effektiver in Highspeed-Kurven", hält Albon fest.
Darum geht es nämlich bei Williams. Dort hat man ein effizientes Auto gebaut, das in seiner Urfassung allerdings nicht gut mit Highspeed-Kurven umging. Die Updates sollten das beheben. Das Team blieb vorsichtig, doch in Kanada und Österreich konnte man den Fortschritt nicht wirklich verifizieren. Silverstone ist der erste Test auf einer echten Highspeed-Strecke.
Womöglich hat das Team aber auf eine Runde auch einfach alles auf den Punkt bekommen. Der Wind ist ein großer Faktor in Silverstone, nicht jeder tut sich damit leicht. Außerdem setzte Williams von FP1 weg einen großen Fokus auf die absolute Qualifying-Performance. Womöglich mehr als andere. Im Longrun fiel Albon ins Mittelfeld ab. Zwar fuhr er hier Hard, die Spitze Medium und Soft - aber die Hard-Benchmark war Lando Norris, und der im Longrun-Schnitt vier Zehntel schneller.
Ist Mercedes in Silverstone wirklich so schlecht?
Der Renn-Trimm ist im Gegenzug die einzige Hoffnung für Mercedes. Allein nach diesen Tabellen gehend scheint alles in Ordnung. Der Anschluss zu Red Bull wurde gehalten, wenn auch mit Sternchen: Gerade Russell fuhr erst Medium, dann wechselte er auf Soft. Verstappen fuhr umgekehrt, hatte also beim Soft-Longrun noch mehr Benzin im Tank.
Aber was hilft die Rennpace, wenn das Auto schon mit dem Q3-Aufstieg hadert? Eigentlich soll der W14 schnelle Kurven mögen, doch wie in Österreich bekommen die Fahrer die Balance nicht auf die Reihe. Auf Qualifying-Runden spüren sie keinen Sprung, wenn sie von Medium auf Soft wechseln. Man mutmaßt, dass erneut die Hitze Probleme bereitet. Für hohe Temperaturen war der W14 zuletzt nicht empfänglich.
In der berühmten Highspeed-Passage Maggots-Becketts-Chapel wächst der Rückstand im Qualifying-Trimm, statt zu fallen. Inkonstantes Fahrverhalten in den langsamen Passagen macht die Problem-Liste voll. "Egal, was wir mit dem Setup machen, das Auto bleibt schwierig zu fahren", beklagt Lewis Hamilton.
Eine Simulator-Nachtschicht muss es hier richten. Den direkten WM-Gegnern bei Aston Martin geht es nicht besser, auch wenn man sich dort in Highspeed-Kurven generell nicht so leichttut. Aber der Zeitverlust ist auch für Fernando Alonso und Lance Stroll kontinuierlich, wenn es um die Qualifying-Pace geht. Wie Mercedes ist Aston Martin aber im Renntrimm wieder vorne mit dabei.
Ferrari kämpft um Pole - Red bull um den Sieg
Alonso versprach nach dem 2. Training, man habe noch etwas in der Hinterhand. Für Aston Martin und Mercedes wird es wichtig sein, nicht ganz in den Untiefen des Qualifyings zu verschwinden, hinter Störenfrieden wie Albon oder Nico Hülkenberg, die auf einer Runde wieder extrem stark sind, aber im Rennen kaum die gleiche Pace gehen können. Der Hauptgegner im Rennen lautet Ferrari.
Die Scuderia schickt sich einmal mehr an, Red Bull zumindest die Pole streitig zu machen. Aufseiten der Weltmeister hadert man noch ein bisschen mit der in Silverstone eingeführten neuen Pirelli-Konstruktion: Wie bereitet man die Reifen am besten auf die Qualifying-Runde vor?
Das hat Ferrari, oder zumindest Carlos Sainz, bis auf 22 Tausendstel an Verstappen herangebracht. Charles Leclerc fehlte nach Elektrik-Defekt im ganzen FP2. Sainz allein musste es richten, und haderte im Renn-Trimm. Er mag deutlich mehr Qualifying-Pace haben, aber über die Distanz kann er Mercedes und Aston Martin momentan nicht die Stirn bieten.
Ferraris Problem zeichnete sich ab. Mehr noch als die meisten anderen leidet man unter Wind. Der bläßt hier traditionell störend über den flachen Kurs. Der SF-23 mag Rückenwind nicht, und schnelle Kurven. Prompt ergab sich in den Longruns in Maggots-Becketts-Chapel ein Problem. Hier kam der Wind manchmal von links, manchmal von links hinten. Das stört das Vertrauen. Immerhin blieb die Pace durch die Passage konstant. Für ein windanfälliges Auto ist das schon ein Fortschritt.
Fazit: Red Bull bleibt - keine Überraschung - vorne. Ferraris Qualifying-Stärke bringt kaum etwas, wenn tatsächlich am Samstag der Regen kommt. An einem wohl trockenen Sonntag hilft dafür Mercedes und Aston Martin die Renn-Pace. Sie könnten große Gewinner von Samstags-Regen sein. Alex Albon und Williams stehen eher im Weg. Mittelfeld-Nachsatz: Man sollte tatsächlich McLaren nicht unterschätzen. Lando Norris fuhr einen starken Hard-Longrun. Seine Qualifying-Simulation ruinierte er sich mit einem massiven Quersteher in der letzten Kurve. Oscar Piastri, jetzt auch mit den Updates unterwegs, deutete mit P9 an, was möglich sein könnte. Den ganzen Qualifying-Tag der Formel 1 heute in Silverstone gibt es hier im Liveticker.
Formel 1 Silverstone 2023: Der Zeitplan
- Freitag:
13:30 Uhr - 14:30 Uhr: 1. Training - Bericht und Ergebnis
17:00 Uhr - 18:00 Uhr: 2. Training - Bericht und Ergebnis - Samstag:
12:30 Uhr - 13:30 Uhr: 3. Freies Training
16:00 Uhr - 17:00 Uhr: Qualifying - Sonntag:
16:00 Uhr: Rennen (52 Runden)
Alle Infos zu den TV-Zeitplänen der Formel 1 von Sky, ORF und Co. gibt es hier in der Übersicht.
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