Was ist der Plan für die nächste Formel-1-WM, Ferrari? Diese Frage stellt sich nach der Trennung der Scuderia von Mattia Binotto. Einvernehmliche Trennung, heißt es in der offiziellen Aussendung, Binotto habe nach vier Jahren Teamchef (und 28 Jahren beim Team) freiwillig seinen Hut genommen. Unabhängig davon, ob er selbst gesprungen ist, oder ob er gestoßen wurde, muss sich das Management von Ferrari jetzt Fragen gefallen lassen.

Binottos Gegner verweisen auf die Bilanz. Vier Jahre in einem Team mit Top-Infrastruktur und Top-Fahrern, aber nur sieben Siege, und 2022 ein Start mit WM-Potential, der in einem Ende mit elf Rennen ohne Sieg und abgeschlagenen zweiten Plätzen in den WM-Wertungen mündete.

Ferrari verabschiedet Binotto: Null Konstanz in Maranello

Es stimmt, dass sich Ferrari 2022 nicht ausgezeichnet hat. Das ganze Team hat Fehler gemacht. Strategisch, fahrerisch, in der Entwicklung - überall war Red Bull überlegen. Aber man darf nicht vergessen: Binotto hat dieses Team umgebaut, nachdem er es 2019 von seinem Vorgänger Maurizio Arrivabene übernommen hatte. Neue Organisation, neue Ideen, neue Fahrer. Der Prozess ist gerade erst abgeschlossen.

Jetzt sollte es in den Händen des ganzen Teams liegen, sich als Leadership-Einheit zu beweisen und diese Probleme auszuräumen. Es war das erste Jahr an der Spitze, und das erklärte Ziel war für 2022 nie die WM gewesen. Nur eine Rückkehr an die Spitze und Siege. Das wurde erreicht. Lernerfahrungen gibt es immer. Ein Formel-1-Team zu führen, das gehört zu den komplexesten Jobs in der Sport-Welt.

War Binottos neues Ferrari etwa lernunwillig? Wenn er sich nach einem schlechten Rennen vor sein Team stellt und es in Schutz nimmt, dann ist das keine Lernunwilligkeit. Das ist verständlich. In Italien wird vor allem medial sehr scharf geschossen. Öffentliche Rückendeckung des Chefs kann für die Moral viel wert sein. Wenn 2023 zeigen würde, dass auch intern nichts gelernt wurde - dann ist das eine andere Sache. Aber eine für das Ende von 2023.

Wo bleibt Ferraris Rückhalt des Teamchefs?

Stattdessen räumt Binotto jetzt das Feld. Es bleibt der Eindruck, dass seine Mannschaft seine Rückendeckung hatte, aber ihm selbst die Rückendeckung von ganz oben versagt wurde. Er war unter dem vorherigen Management aufgestiegen. Das neue - Ferrari-Vorsitzender John Elkann und CEO Benedetto Vigna - schien mit den Niederlagen der Saison 2022 immer weiter von ihm abzurücken.

Binotto und der Ferrari-Vorsitzende John Elkann, Foto: LAT Images
Binotto und der Ferrari-Vorsitzende John Elkann, Foto: LAT Images

Es hatten sich hartnäckig Gerüchte gehalten, Ferrari habe bei anderen Optionen für den Teamchef-Posten vorgefühlt. Vor Abu Dhabi begann es Überhand zu nehmen. Ferrari dementierte zwar, aber erst nach einem Gespräch Binottos mit Elkann, erklärte ersterer später. Schließlich ging Binotto laut Presseaussendung aus eigenen Stücken. Das ist sogar nachvollziehbar. Wenn man ihn auf einen so verlorenen Posten stellt. Praktisch mit einer implizierten Ansage: Werde Weltmeister, oder du bist raus.

Ferrari 2023: Kopflose WM-Anwärter ohne Teamchef

Da überrascht es genauso wenig, dass Kandidaten wie Red-Bull-Boss Christian Horner oder McLaren-Boss Andreas Seidl kein Interesse haben. Man schaue nur auf Red Bull. Nach vier WM-Titeln sackte das Team ab 2014 ab, trotz Top-Fahrer und Mannschaft, und gab dem Motor die Schuld. 2019 bekam man mit Honda endlich einen Werkspartner, 2020 wurde der Titel angepeilt, doch das Jahr endet ohne WM-Chance. Also Horner anzählen, weil er endlich alles hatte, was er wollte, und trotzdem scheiterte? Daran dachte niemand. Seitdem hat Red Bull drei Titel.

Die Chefs bei Red Bull, aber auch bei vielen anderen, wissen: Erfolg kommt in der Formel 1, wenn man den F1-Leuten vertraut und ihnen allein das F1-Management überlässt. Ferrari kann sich dazu nicht durchringen, seit man sich 2014 von Stefano Domenicali trennte. Unter Binotto schien das Team allerdings ein deutlich größeres Potential für eine Wende zu zeigen als unter Maurizio Arrivabene davor.

Ferrari selbst ist auch das beste Beispiel für eine Wende: In den 1990ern herrschte dort Chaos, bis Jean Todt Teamchef wurde. Todt machte Ferrari wieder siegfähig, verlor aber 1997 und 1998 die WM. Trotzdem hielt man an ihm fest. Das Team wuchs, lernte, wurde immer besser, und schließlich für fünf Jahre unschlagbar.

Jetzt stellt sich also wieder die Frage: Was ist der Plan für die nächste WM, Ferrari? Binotto räumt bis zum 31. Dezember sein Büro aus. Wer danach einzieht ist unbekannt. Nebenan soll alles für die WM-Challenge 2023 vorbereitet werden. Das hat mehr negatives als positives Potential. Dem das System kennenden Binotto eine Chance zu geben, die Fehler auszuräumen, macht mehr Sinn, als jemand reinzusetzen, der erst monatelang das Team evaluieren muss.

Und was passiert, wenn Ferrari 2023 wieder nicht Meister wird? Ist es wieder die Schuld des Teamchefs, obwohl der wahrscheinlich erst nach Monaten den ganzen Überblick über sein neues Team hatte? Und vielleicht wieder mit einem Umbau beginnt? Hält man der Neubesetzung dann endlich die Treue? Die Gefahr eines Negativ-Kreislaufs wiegt schwer.