"Der Regenreifen ist im Prinzip nutzlos. Er sieht nett aus, aber er ist nutzlos", dieses vernichtende Urteil fällte Neo-Formel-1-Rentner Sebastian Vettel nach dem Monaco Grand Prix 2022 über den blau markierten Regenreifen von Pirelli. Für die Fahrer gab es daher im Nassen nur eine Devise: "Sobald du auf den Intermediate gehen kannst, tust du das. Er ist einfach besser auf Temperatur zu bringen, weil er weicher ist."
Und genau das ist das Problem. Die Formel 1 kann aktuell anscheinend nur bei leichtem Regen fahren. Der Grand Prix in Japan war das wohl beste Beispiel. Lange musste im Regen von Suzuka zugewartet werden, bis ein Start möglich war. Als das Rennen dann freigegeben wurde, wechselte Vettel sofort auf den Intermediate und fuhr damit Kreise um die Mittelfeld-Konkurrenz auf den Regenreifen. Am Ende stand mit Platz sechs das beste Saisonresultat des Aston-Martin-Piloten. Er hatte den Beweis für seine eigene Aussage aus Monaco erbracht: Der Regenreifen von Pirelli ist keine konkurrenzfähige Option und daher für die Teams tatsächlich so gut wie nutzlos.
Zu wenig Tests: Regenreifenentwicklung 2022 für Pirelli kaum möglich
Pirelli-Chef Mario Isola ist sich der Problematik bewusst: "Wir müssen den Full-Wet in Sachen aufwärmen und Leistung verbessern. Deswegen haben wir bereits einige Winter-Tests geplant. Das haben wir mit der FIA und den Teams schon zu Beginn des Jahres so besprochen." Gleichzeitig verteidigt er aber auch seine Firma: "Es war einfach unmöglich alle nötigen Tests in der kurzen Zeit unterzubringen."
Tatsächlich konnte Pirelli bei den neuen Regenreifen fast nur einen Schuss ins Blaue wagen. Aktuelle Autos waren im Winter 2021/22 noch nicht verfügbar und dazu kam auch noch der Wechsel von 13 auf 18-Zoll-Reifen. Neben einem Nachmittag mit gewässerter Strecke bei den Testfahrten in Barcelona hatte Pirelli nur einen weiteren Test und der ging in die Hose: "Wir hatten eine Session in Fiorano mit 45 Grad Streckentemperatur. Selbst in Malaysia gibt es keine solchen Temperaturen, es war also ein unmöglicher Test." Bei solchen Temperaturen wurde selbst der zu harte Full-Wet warm, aber repräsentativ war das natürlich nicht.
Aufatmen bei Pirelli: 2022er Autos für Wintertests am Start
Die Problematik, keine Testautos der neuen Regelgeneration zu haben, hat Pirelli bei der Entwicklung neuer Regenreifen für 2023 nicht mehr: "In den Regeln steht jetzt, dass wir die aktuellen Autos bis 15. Dezember nutzen können. Und auch vom 1. Februar bis zum ersten Rennen der nächstjährigen Meisterschaft können wir die 2022er Autos für diese Tests benutzen." Boliden von 2023 hingegen dürfen nicht verwendet werden. Die FIA überwacht streng, dass keines der für Pirelli testenden Teams (in diesem Winter haben sich AlphaTauri, Mercedes und Aston Martin gemeldet) einen Vorteil für die Entwicklung des aktuellen Boliden erhält.
In den Genuss hoffentlich verbesserter Regenreifen werden die Teams trotz der Winter-Tests aber wohl noch nicht zu Saisonbeginn kommen: "Ich bin froh nasse Sessions in kalten Bedingungen zu haben, denn wir wollen die Heizdecken von den Regenreifen entfernen. Wir wollen den Teams einen besseren Reifen für 2023 liefern. Die Idee ist, die Regenreifenspezifikation während des Jahres zu ändern. Wir haben das diskutiert und haben generell eine Einigung erzielt. Hoffentlich wird es nicht zu kalt. In Fiorano im Winter könnte vielleicht Schnee liegen."
Isola: Regenreifen schwer zu simulieren, müssen testen
Im Weiterentwicklungsprozess wird Pirelli allerdings auch an einem Aspekt der Intermediates arbeiten: "Das erste Ziel ist das Aufwärmen des Intermediate zu verbessern. Nicht seine Leistung, denn die ist schon da. Im Vergleich zum Slick ist es ok. Man kann ihn verwenden, bis es reif für Slicks ist." Mit dem Wegfallen der Heizdecken, was für 2024 auch bei den Slicks angedacht ist, wird der Aufwärmprozess zu einer noch wichtigeren Frage, vor allem natürlich in Sachen Sicherheit.
Das große Sorgenkind beim italienischen Einheitsausrüster der Königsklasse ist aber nicht grün, sondern trägt blau. Mario Isola erklärt, warum diese Aufgabe für Pirelli schwierig ist: "Beim Regenreifen werden wir mehr Arbeit haben. Da geht es nicht nur um die Mischung, sondern wir müssen wohl auch eine Modifikation an der Konstruktion durchführen. Das sehen wir uns grade mit einigen Simulationsmodellen an. Darin untersuchen wir bspw. die Resistenz gegen Aquaplaning. Das ist aber nicht leicht, das zu simulieren. Deswegen müssen wir es testen." Dazu stehen nun erstmals Autos der neuen Generation in einem Testwinter bereit.
Sichtproblem bleibt: Regenschürzen als Lösung?
Doch selbst wenn Pirelli die Regenreifen nach nur einem Winter sofort richtig hinbekommt, so gibt es noch ein weiteres großes Problem: Die Sicht. Regenrennen sind für die Fahrer im Pulk aktuell ein Blindflug. Hier kann Pirelli allein nicht weiterhelfen: "Wir sehen die Probleme bei der Sicht. Ich denke das meiste Spray kommt vom Diffusor. Das sehen sie [die FIA, Anm. d. Red.] sich auch an, es geht nicht nur um die Reifen." Besonders bei sehr viel Wasser auf der Strecke können die Italiener keine Lösung bieten: "Im Moment wird nicht bei starkem Regen gefahren, weil die Sicht zu schlecht ist. Einen Monsun-Reifen zu entwickeln wäre also nicht sinnvoll, denn er würde nie genutzt werden. Das Limit ist die Sicht."
Bessere Reifen allein können das Problem der Gischt im Regen also nicht lösen. Daher kamen zuletzt auch Überlegungen auf, man könne gischtabweisende Schürzen wie bei PKWs an den Autos anbringen. Offenbar ist dieser Prozess sogar schon recht fortgeschritten, denn Isola berichtet: "Wir haben eine Diskussion mit der FIA und sind mit diesem Vorschlag einverstanden." Andererseits dürfte diese Idee so schnell noch nicht an den Formel-1-Boliden zu sehen sein, denn dazu braucht es einen Vorlauf: "Wenn wir das alles machen, damit die Autos bei starkem Regen fahren können, dann müssen wir das vorher wissen, damit wir den Reifen in diese Richtung entwickeln können." Die Formel 1 wird ihr Regenproblem also nicht von heute auf morgen gelöst haben, doch eines ist klar: Die Verantwortlichen arbeiten daran.
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