In unserem ersten Interview, Anfang der vergangenen Saison, hast du gesagt, du würdest physischen Schmerz verspüren, wenn du das ganze Fahrerlager entlanglaufen musst, um zu eurer Hospitality zu kommen. Denn die Position im Fahrerlager spiegelt die Vorjahresplatzierung wider. In der letzten Saison seid ihr zwei Plätze nach vorne gerutscht, 2023 geht es wieder ganz ans Ende. War 2022 nur eine kleine Kopfschmerztablette und nächstes Jahr tut es wieder richtig weh?
Jost Capito: Nächstes Jahr ist es wieder weiter, das ist klar. Es lässt so aussehen, als hätten wir einen Rückschritt gemacht - von der Meisterschaftsposition her. Ich sehe das aber nicht so. Denn man muss es so sehen: Die Punkte, die wir letztes Jahr geholt haben, um auf den achten Platz zu kommen, die kamen massiv von Spa. Dort gab es eigentlich gar kein Rennen. Es war kein Glück, aber wir haben von unklaren Wettersituationen profitiert. Letztes Jahr relativ stark, dieses Jahr gab es das so nicht. Dieses Jahr haben wir ein bisschen profitiert, aber nicht so stark. Gute Strategieentscheidungen, die uns in unklaren Situationen Punkte bringen, weil wir auch mehr riskieren können als andere.

Allein schon, wenn man die Performance von Austin sieht: Letztes Jahr waren wir 19. und 20. im Qualifying. Dieses Jahr haben uns zwei Hundertstel für Q3 gefehlt. Wir sehen, wie sich das Team entwickelt. Das ist aber nicht unbedingt in Meisterschaftspositionen zu sehen. Natürlich ist niemand happy, Zehnter zu sein. Ich am allerwenigsten.

Näher dran, aber die Punkte fehlen Williams in der Formel-1-Saison 2022, Foto: LAT Images
Näher dran, aber die Punkte fehlen Williams in der Formel-1-Saison 2022, Foto: LAT Images

Williams ist für viele die größte Enttäuschung der Saison: Eigentlich sollte die neue Ära ein echter Neustart sein, dazu wirkt das Budget Cap erst so richtig - und Williams ist abgeschlagen Letzter. Seid ihr nicht sehr enttäuscht?
Jost Capito: Nein, überhaupt nicht. Die Ziele, die wir uns für dieses Jahr gesetzt haben, die haben wir erreicht oder sind auf einem guten Weg, sie zu erreichen. Das Cost Cap bedeutet nicht, dass schlagartig alles auf dem gleichen Niveau ist. In den letzten Jahren haben uns die großen Teams mit dem fünf- bis zehnfachen des Budgets übertroffen. Wenn man sagt, dass sie jetzt nur noch das gleiche ausgeben dürfen, dann heißt das nicht, dass man auf dem gleichen Niveau ist. Es braucht fünf bis zehn Jahre, bis sich das ausgleicht - wenn es sich überhaupt jemals ausgleicht. Es gibt ja auch ein Cost Cap für das Investment. Wir müssen in Dinge investieren, in die andere Teams in den letzten Jahren investiert haben. Wir müssen erst einmal aufholen, um auf einen Status zu kommen, wo die anderen sind. Das dauert ein paar Jahre. Wir müssen Geld ausgeben, das die anderen in den vergangenen Jahren ausgegeben haben. Deshalb ist es nicht so, dass man einen Cost Cap hat und alle plötzlich auf dem gleichen Niveau sind, das funktioniert so nicht.

Capito: Williams 2023 besser, aber...

Ist Williams bei den Investitionen für die Infrastruktur, dem sogenannten Capex, am Limit?
Jost Capito: Das wird immer über vier Jahre abgeschrieben. Und diese Summe ist relativ niedrig.

Behindert euch das in eurer Aufholjagd?
Jost Capito: Ja, klar. Das behindert uns massiv.

Der Nachteil von fünf bis zehn Jahren, den du angesprochen hast: Bezieht sich der nur auf die Infrastruktur oder auch auf das Know-how, die Strukturen und Co.?
Jost Capito: Bei den Strukturen glaube ich nicht. Wir haben relativ viel geändert, umstrukturiert und arbeiten anders als zuvor. Man muss auch sehen, dass das diesjährige Auto letztes Jahr gemacht wurde. Im letzten Jahr gab es noch keine Änderungen. FX [Francois-Xavier Demaisonist, Technischer Direktor] ist Mitte des Jahres gekommen und für letztes Jahr gab es kein neues Auto. Also mussten wir erst einmal sehen, wie die Prozesse sind, wie Williams überhaupt arbeitet. Aufgrund dessen konnte man die Änderungen dann erst vornehmen. Das gleiche ist mit den Investitionen, die Ende 2020 und 2021 getätigt wurden, wie Windkanaltechnologien, Maschinen und so weiter: Diese Investitionen machen nicht einen Tag danach das Auto schneller. Die Technologien und Investments fließen frühestens in das nächstjährige Auto ein. Die Erwartungen sind für das nächstjährige Auto höher. Das wurde dann wirklich mit neuen Strukturen entwickelt. In der Infrastruktur ist man aber noch relativ weit hinten.

Wie sehen die Ziele für 2023 aus? Langfristig ist es ja keine Perspektive, am Q3 zu knabbern, aber in der Weltmeisterschaft Letzter zu werden…
Jost Capito: Natürlich nicht. Für nächstes Jahr muss man im Mittelfeld mitfahren können. Jetzt nehmen wir mit Logan [Sargeant] das Risiko in Kauf, einen Rookie einzusetzen. Das ist nicht so, als würde man einen erfahrenen Fahrer einsetzt, den man neben Alex positioniert. Aber wenn man sich die Strategie ansieht, wie wir uns weiterentwickeln: Wir sind auch im nächsten Jahr noch nicht dort, wo wir hinwollen. Wenn man einen eigenen Fahrer aufbauen will - und das muss man, wenn man in Zukunft konkurrenzfähig sein will -, dann muss man einen jungen Fahrer möglichst früh einsetzen. Deshalb wissen wir auch, dass wir nächstes Jahr von den Punkten her nicht da sein werden, wo wir mit zwei etablierten Fahrern sein könnten. Aber wir nehmen das in Kauf. Wir sagen, dass nächstes Jahr noch kein so großer Schritt ist und deshalb nehmen wir das in Kauf.

Jost Capito ist seit Anfang 2021 Williams-Teamchef, Foto: LAT Images
Jost Capito ist seit Anfang 2021 Williams-Teamchef, Foto: LAT Images

Wann kommt dann der große Schritt? Bei McLaren erzählt man uns, dass das Projekt 2024/2025 Früchte tragen soll. Wie sieht es bei Williams aus?
Jost Capito: Das ist schwer zu sagen. Wir würden nie ein Jahr nennen. Man muss sich nur Ferrari ansehen. Oder auch Red Bull: Die haben seit 2014 aufholen müssen. Das sind acht Jahre. Es ist unmöglich zu sagen, denn man kämpft nicht gegen einen fixen Wert. Jeder entwickelt sich weiter. Nach vorne zu kommen, heißt nicht nur, dass man sich selbst weiterentwickeln muss. Man muss besser entwickeln als andere, sonst kommt man keinen Schritt nach vorne. Das ist unmöglich vorauszusagen.

Williams: Audi-Deal nicht um jeden Preis

Williams ist eines der wenigen verblieben Rennteams. Die meisten Teams sind OEMs oder riesige Konzerne. Kann man als kleines Privatteam - auch mit Budget Cap - in der Formel 1 bestehen?
Jost Capito: Der Budget Cap ermöglicht das langfristig. Sonst hätten wir keine Chance, weil die OEMs zu große Mittel haben, die sie investieren können. Das ist die Basis, für ein Rennteam überhaupt in Zukunft existieren zu können.

Es ist aber sicherlich nicht hinderlich, einen Partner zu haben. Es kommt aber immer darauf an, wie die Beziehung ist. Es kann auch hinderlich sein, das hat man in der Vergangenheit schon gesehen. Das muss es aber nicht. Auch als Kundenteam kann man erfolgreich sein. Red Bull war als Kundenteam mit Renault Weltmeister. Da die Motoren vom Reglement her gleich sein müssen und das auch überprüft wird, gibt es keinen Grund, mit einem Kundenmotor schlechter zu sein als ein Hauptteam, wenn man alles andere genauso gut macht.

Bist du trotzdem traurig, dass Audi nicht bei Williams einsteigt sondern bei Sauber?
Jost Capito: Das ist schwierig zu sagen. Es kommt immer auf die Konstellation an, inwieweit man als Team auch gehen will, um Eigenständigkeit zu behalten oder zu verlieren.

Es ist kein Geheimnis, dass Nicholas Latifi aufgrund seiner finanziellen Situation den Williams-Sitz einst bekommen hat. Zeigt es das Engagement der Eigentümer, dass ihr bei der Fahrerfrage jetzt freie Hand habt und nicht mehr aufs Geld schauen müsst?
Jost Capito: Klar, logisch. Nicholas ist jetzt drei Jahre gefahren. Er ist vor drei Jahren zum Team gekommen, als es finanziell nicht rosig um das Team stand. Da hat er dem Team auch mit finanziellen Mitteln extrem geholfen. Deshalb haben wir den Vertrag auch absolut respektiert. Wir stehen zu unseren Verträgen. Nicholas ist besser, als er sich dieses Jahr präsentiert hat. Das Team braucht aber auch mal einen Wechsel.

Williams-Tür für Schumacher einen Spalt weit offen

Du hast Logan Sargeant schon angesprochen. Ihr habt ihn als Fahrer für 2023 bereits bekanntgegeben, vorausgesetzt er schafft die Superlizenz beim Formel-2-Saisonfinale in Abu Dhabi. Was zeichnet Logan so sehr aus, dass man das Risiko mit einem Rookie eingeht?
Jost Capito: In erster Linie seine Entwicklung. Wenn man sich speziell die Qualifying-Resultate jeweils zu denen seiner Teamkollegen vergleicht, dann war er immer - auch gegen einen Piastri - im Qualifying besser. Das zeigt, dass sein Speed da ist. Einen schnellen Fahrer zuverlässig zu machen, das geht. Einen zuverlässigen Fahrer, der langsam ist, schnell zu machen - das geht nicht. Wie beim Auto auch, das ist genau das gleiche. Er muss lernen. Er hat den Durchmarsch gemacht, er war als Rookie in der Formel 2 richtig gut, hat Rennen gewonnen und war im Qualifying immer gut dabei. Wenn er bei uns in der Academy ist, muss er auch schnell in die Formel 1 kommen und dort zeigen, was er kann und lernen.

Habt ihr euch vor der Entscheidung, die noch mit einem Sternchen versehen ist, mit der Personalie Mick Schumacher befasst?
Jost Capito: Wir haben uns mit allen befasst, die in Frage kommen. Aber es ist auch noch nicht entschieden, ob der Mick bei Haas bleibt oder nicht. Das hätte man so auch noch nicht machen können.

Gesetzt der Fall, mit Logans Superlizenz klappt es nicht, ist Mick dann noch ein Thema bei euch?
Jost Capito: Wenn das mit der Superlizenz nicht klappt, sind alle ein Thema, die Erfahrung und eine Superlizenz haben.