Das Ergebnis des Mexiko-GP erinnert für Mercedes auf unangenehme Weise an den eine Woche zuvor ausgetragenen USA-GP. Zum zweiten Mal in Folge setzen die Strategen auf den Hard-Reifen und verlieren eine Sieg-Chance. Red Bull und auch Ferrari zeigen sich danach von den Entscheidungen der Konkurrenz verwirrt.
Die Mercedes-Strategen schickten ausgerechnet bei jenem Rennen, bei dem der W13 die bisher beste Pace des Jahres zeigte, Lewis Hamilton und George Russell auf eine Einstopp-Irrfahrt, nachdem sie den eigenen Daten aufsaßen. Gleich zwei Fehler beging das Team am Sonntag in Mexiko, wie die Rennanalyse zeigt.
Mercedes-Modelle für Renn-Strategie liefern falsches Ergebnis
Red Bull und Ferrari versicherten nach dem Mexiko-GP, nie ernste Zweifel an der richtigen Rennstrategie gehabt zu haben. "Wir sahen, dass eine Einstopp heute das schnellste Rennen war, also war unser Plan eine Einstopp, Soft auf Medium", verrät Ferrari-Teamchef Mattia Binotto. Er und Red-Bull-Kollege Christian Horner können die Mercedes-Entscheidung, Medium-Hard zu fahren, kaum glauben.
"Wir hatten noch immer einen Vorteil, aber so wären sie viel näher dran gewesen", meint Horner. "Es ist das zweite Wochenende in Serie, dass sie diesen Reifen aufziehen, und dass ihnen das den Sieg kostet." Die Überraschung begann für Red Bull schon damit, dass Mercedes mit Medium in der Startaufstellung ankam.
"Tatsächlich sagten unsere Modelle, dass Soft-Hard möglich wäre, aber unsere Modelle sagten nicht, dass Soft-Medium möglich wäre", erörtert Mercedes-Teamchef Toto Wolff nach dem Rennen. Um sich in ein sicheres Fenster für eine Einstopp zu bringen, setzte Mercedes am Start lieber auf Medium.
Der Daten-Grundstock für diese Entscheidung war für alle gleich. In FP1 fuhr jeder Fahrer die ersten Minuten mit einem Satz Hard. Vor allem, um ihn loszuwerden. Die mittelharte Pirelli-Palette von C2, C3 und C4 war für Mexiko eine sehr harte Auswahl, davon ging man aus. Keiner der Spitzenfahrer griff den Hard in den verbleibenden Trainings an, in FP2 durfte man aufgrund eines Reifentests ohnehin nicht.
Währenddessen veränderte sich die Strecke über das ganze Wochenende rapide. Das war vieler Faktoren geschuldet, von Rahmenprogramm bis zu kurzen Regenschauern. Die Mercedes-Modelle prognostizierten am Sonntag schließlich einen Punkt, an dem der Medium und der Soft zu viel Pace verlieren würden, um Soft-Medium oder Medium-Soft durchzuziehen.
Mercedes verliert kritischen Start gegen Red Bull
Mit Medium zu starten brachte Mercedes schon auf dem ersten Kilometer des Rennens in Bedrängnis. Verstappen kam auf Soft besser weg: "Der Start war kritisch. Bei meinem eigentlichen Start habe ich beim Loslassen der Kupplung einen kleinen Fehler gemacht, aber das war noch immer gut genug. Und dann hatten wir einen guten Topspeed."
Dank Soft-Grip kam Verstappen nicht nur besser weg, sondern bremste auch mit mehr Vertrauen in die erste Kurve hinein. Der von Platz zwei gestartete George Russell blieb zu passiv. Das war mehreren Unfällen in den letzten Rennen geschuldet, sowie der Tatsache, dass Teamkollege Lewis Hamilton sich innen danebensetzte.
Verstappen war auf und davon. Russells Passivität öffnete die Tür für Hamilton, und dann auch für Sergio Perez, der sich den dritten Platz holte. Für Mercedes begann das Rennen mit einem Verlust. "So wurde ich quasi von den Red Bulls in die Zange genommen", beklagt Hamilton die schlechte Ausgansposition. "Es ist strategisch sehr, sehr schwierig, wenn du nicht beide Autos dort hast."
Perez, Hamilton, Latifi: Mercedes-Strategie gerät außer Kontrolle
Dank freier Fahrt hielt Verstappens Soft gut. Als die Mercedes ab Runde 20 begonnen, auf ihren Mediums Druck zu machen, entschloss sich Red Bull dann zu Boxenstopps für Medium. 48 Runden verblieben für Perez, 46 für Verstappen. Machbar? Nicht laut den Mercedes-Modellen.
Red Bull aber lag im Plan. Ihnen war der Start auf Soft nur als kleines Risiko erschienen. "Die letzten paar Runden waren ein bisschen hart mit dem Soft", so Verstappen. "Es ging darum, eine bestimmte Anzahl Runden zu schaffen, und das haben wir. Es war gerade gut genug." Nach dem Stopp untersuchten die Red-Bull-Ingenieure die Soft und befanden, dass sie sogar noch länger hätten halten können. Gute Vorzeichen für den Medium-Stint.
Durch den frühen Stopp exekutierte Red Bull nun einen Undercut-Vorteil gegen Mercedes. Perez war es, der die größten Sorgen machte. Trotz langsamem Stopp nötigte er mit einem Zwischenspurt auf den neuen Medium-Reifen Mercedes eine Handlung ab. Draußenbleiben und vorläufig Platz zwei verlieren, oder stoppen und abdecken.
Die Mercedes-Strategen folgerten: Es musste jetzt auf Hard gestoppt werden, um sich doppelt abzusichern. Um vor Perez zu bleiben, und um durchfahren zu können. Mangels Daten bediente man sich bei der einzigen Stichprobe auf der Strecke. In Runde 23 hatte Nicholas Latifi von Soft auf Hard gewechselt und fuhr gerade Sektor-Bestzeiten. Daraufhin zog Mercedes in Runde 29 Hamilton für Hard aus dem Verkehr.
Russell ließ man draußen. Der stellte prompt fest: Bei freier Fahrt lieferten die Medium-Reifen selbst nach 30 Runden noch Performance. Sofort betrieb er am Funk Lobbying, den Stint noch zu verlängern und dann auf Soft ins Ziel zu fahren. Die Strategen glaubten nicht daran und holten ihn in Runde 34 zum Wechsel auf Hard.
Mercedes sagt imaginären Medium-Dropoff voraus
Dann begann das Warten. Mercedes wähnte sich in einer guten Position. Hamilton war noch immer vor Perez, und beide Red Bulls würden wohl noch einmal stoppen müssen oder in Probleme geraten. Doch die Mercedes-Piloten bemerkten sehr bald - wie zuletzt in Austin - einen defizitären Hard-Reifen. "Der Hard hat von der zweiten Runde weg einfach nicht funktioniert", so Russell.
Hamilton und Russell konnten keinen Druck aufbauen. Im Gegenteil, langsam fuhr Verstappen weg. Die Renningenieure versuchten ihre Fahrer zu beruhigen. Es könne nicht sein, dass Red Bull so über 40 Runden mit Medium ins Ziel fahren würde. Der Hard würde mit zunehmendem Verschleiß besser werden, in ein besseres Arbeitsfenster kommen.
Zeitgleich fuhr Daniel Ricciardo, wie Mercedes auf Medium gestartet, auch nach Runde 40 noch passable Zeiten auf dem Start-Reifen. McLaren hatte, obwohl man wie Mercedes eigentlich erst nicht daran geglaubt hatte, die richtigen Schlüsse aus der Anfangsphase gezogen. Ricciardos Pace war nie eingebrochen, wie auch nicht die von Sebastian Vettel, der, auf Soft gestartet, ganze 38 Runden am Stück durchfuhr.
Lando Norris im zweiten McLaren wechselte ähnlich wie Mercedes in Runde 31 auf Hard und kam nicht in die Gänge. Die Ricciardo-Garage stellte die Strategie richtig um. "Als wir sahen, dass Seb auf dem Start-Soft durchhielt, und als wir sahen, wie schlecht der Hard bei allen einschließlich Lando funktionierte", so Teamchef Andreas Seidl. Man stoppte erst in Runde 44, und mit einem Schluss-Sprint auf Soft kämpfte sich Ricciardo von Platz 13 vor auf Platz sieben.
Mercedes verpasste die Signale. Auch, weil man sich von Red Bulls frühen Stopps hatte treiben lassen. "Ricciardos Leistung zu sehen ist ein bisschen enttäuschend", meint Russell nach dem Rennen. "Ich hatte echt das Gefühl, dass wir auf dem Medium hätten weiterfahren können, und dass sich das Ende dann mit Soft ausgegangen wäre."
Mercedes-Rennen schon durch Medium-Start verloren
Unabhängig davon war Mercedes' größter Fehler nicht der Hard, sondern der Medium-Start. Red Bull glaubt nicht, dass Mercedes selbst mit Soft-Reifen am Ende überholen hätte können. Zu groß war der Topspeed-Nachteil, und der RB18 hatte die bessere Rennpace. Toto Wolffs Fazit zur Mercedes-Strategie lautet folgerichtig: "Wenn wir das Rennen neu starten könnten, würden wir vielleicht einen anderen Reifen wählen."
Mit Medium hatte sich das Team sofort in die Passive begeben. Der Medium bot weniger Grip in den ersten Kurven, und er garantierte Red Bull einen Undercut, durch den Mercedes zum Handeln gezwungen wurde. "Ich glaube nicht, dass wir sie hätten überholen können", räumt auch Wolff ein.
"Soft-Medium hätte uns in Kurve eins einen kleinen Vorteil gegeben", so Wolff. "Lewis war außen. Du weißt nie, wie es gelaufen wäre. Aber wir wären mit einer anderen Strategie noch näher dran gewesen." Und wer mit dem richtigen Reifen führt, diktiert die Pace. Nur hatte Mercedes nie auch nur den richtigen Reifen.
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