Selten war in der Formel-1-Saison 2022 ein Rennen mit so vielen Kontroversen gespickt, wie der Große Preis von Japan in Suzuka. Hätte der Grand Prix überhaupt stehend gestartet werden dürfen? Was hat ein Bergungsfahrzeug während noch F1-Autos ihre Runden drehen, auf der Strecke verloren? Nach welchem Schema werden Punkte verteilt?

Als wären diese ganzen Fragen noch nicht genug, kam nach Rennende auch noch ein weiteres Thema auf: Wurde die Zielflagge zu früh geschwenkt? Charles Leclerc ließ in der Pressekonferenz nach dem Rennen folgenden Nebensatz fallen: "Ich wusste gar nicht, dass es die letzte Runde war."

Japan-Konfusion: War noch eine Runde zu fahren?

Und damit war er offenbar nicht der einzige bei Ferrari. Von seiner Boxencrew erhielt Leclerc auf Start-Ziel sogar die Anweisung "noch eine Runde zu fahren", ehe man sich einige Sekunden später korrigierte. Auch Max Verstappen blieb nach dem Überfahren der Zielline voll auf dem Gas und nahm erst raus, nachdem er vom Team auf das Rennende hingewiesen wurde.

Im restlichen Feld bei beinahe allen Fahrern dasselbe Spiel: Erst sobald das Team die Mitteilung gab, machten die Fahrer langsam. Lewis Hamilton und Esteban Ocon lieferten sich deshalb sogar einen Sektor lang ein Rad-an-Rad-Duell. Da die Sichtverhältnisse am Ende des Rennens schwierig waren, war die physische karierte Flagge für die meisten Fahrer schon schwer zu erkennen.

Nachdem die Piloten an der Spitze mit Renngeschwindigkeit weiterfuhren, orientierten sich viele weiter hinten platzierte Teams daran und gaben ihren Fahrern mitunter sogar die Anweisung weiterhin zu pushen. Erst langsam klärte sich im Laufe der nächsten Kilometer die Situation.

Formel 1: Verwirrung um Zeitlimit-Regel

Wie kam es aber zu dieser Konfusion? Das Rennen in Japan wurde über das Zeitlimit beendet. Laut Artikel 5.4 des Sportlichen Reglements der Formel 1 ist ein Limit von zwei Stunden reine Rennzeit für einen Grand Prix eingeplant. Aber das Rennen endet dann nicht etwa mit der Runde, in welcher die Zeit abläuft, sondern erst nach dem darauffolgenden Umlauf. In Singapur kam dieser Paragraph beispielsweise zum Tragen und Sergio Perez musste auf dem Weg zu seinem vierten GP-Sieg diese Zusatzrunde drehen.

Inklusive roter Flaggen ist eine maximale Renndauer von drei Stunden zulässig. In Japan war das Rennen nach einer zweiründigen Startphase für über zwei Stunden unterbrochen. Dementsprechend war nach dem Restart diese Zeit der limitierende Faktor. Der Führende, Max Verstappen, überfuhr nach der 27. Runde die Start-Ziellinie mit noch etwa vier Sekunden auf der Uhr.

Dementsprechend war man sich auch bei Aston Martin sicher, dass noch ein Umlauf zu absolvieren sei. Sebastian Vettel rätselte: "Da mein Teamradio ausfiel konnte ich nur auf das Pitboard blicken und da stand: 'Noch eine Runde'. Am Ende haben sie wohl die Rennlänge geändert, ich weiß es nicht ganz". Alonso, der sich in einem Kampf mit Vettel befand und nur 0,011 Sekunden nach ihm die Ziellinie überfuhr, war sich ebenso nicht sicher, ob das Rennen vorbei war.

Interpretationsspielraum im Formel-1-Reglement

Hat die Rennleitung einen Fehler gemacht? Diese Frage lässt sich nicht zu 100 Prozent beantworten. In Artikel 5.4 des Sportlichen Reglements heißt es zwar eindeutig: "Dem Führenden wird das Signal für das Ende der Session angezeigt, wenn er am Ende der Runde, die auf die Runde folgt, in der der Zwei-Stunden-Zeitraum endete, die Kontrolllinie überquert."

Das 3-Stunden-Limit befindet sich aber in einem Unterpunkt dieses Artikels unter den Ausnahmen zu der allgemeinen Renndistanz. "Sollte das Rennen unterbrochen werden, wird die Dauer der Unterbrechung bis zu einer maximalen Gesamtzeit des Rennens von drei Stunden diesem Zeitraum hinzugefügt", steht dort wörtlich - von einer Extrarunde ist hier nicht explizit die Rede. Ob mit dieser Ausnahmeregelung der Passus zur Zusatzrunde ebenfalls außer Kraft gesetzt wird, ist Interpretationssache.

Ob die Rennleitung diese Formulierung so interpretiert hat, dass die Extrarunde beim Erreichen des 3-Stunden-Limits hinfällig wird oder ob in der Race Control tatsächlich ein Fehler begangen wurde, ist deshalb unklar. An dem Weltmeister-Titel von Max Verstappen und an den Podiumspositionen hätte eine Runde mehr wohl kaum etwas geändert. Im Kampf um Platz 4 oder Platz 6 aber möglicherweise schon.