Viele Formel-1-Piloten stiegen nach dem Japan-GP 2022 geradezu wütend aus ihren Autos. Nachdem infolge eines Startunfalls das Safety Car ausgerufen wurde, passierte nämlich das ganze Feld ein Bergefahrzeug, das auf die Strecke gefahren war, um das Wrack von Carlos Sainz' Ferrari zu entfernen.

Damit nicht genug: Pierre Gasly kam nach seinem Boxenstopp in hohem Tempo an der Unfallstelle vorbei, als er versuchte, zum Feld aufzuschließen. Zwar wurde das Rennen schließlich abgebrochen - aber erst, nachdem 18 Autos die Gefahrenstelle passiert hatten. Nachdem erst vor acht Jahren genau hier in Japan Jules Bianchi bei einer Kollision mit einem Bergefahrzeug tödliche Verletzungen erlitten hatte, ist der Ärger der Fahrer kaum überraschend.

"Das war der tiefste Punkt seit Jahren, dieses Bergefahrzeug da draußen zu sehen", sagt der Zweitplatzierte Sergio Perez. Er gehört zu den älteren Fahrern, die 2014 den tödlichen Bianchi-Unfall aus nächster Nähe erlebt hatten. Als einer der wenigen Fahrer nahm Perez sogar während der roten Flagge kein Blatt vor den Mund und meldete sich per Twitter: "Wie können wir klarmachen, dass wir nie einen Kran auf der Strecke sehen wollen? Wegen diesem Fehler haben wir Jules verloren. Was heute passiert ist, das ist völlig inakzeptabel!"

Formel-1-Fahrer stellen klar: Auch unter Safety Car gefährlich

Perez stellt später in der Pressekonferenz nach dem Rennen klar: "Egal bei welchen Bedingungen, es sollte nie ein Bergefahrzeug auf der Strecke sein." Dass es aber in Suzuka pünktlich zum Start stark zu regnen begann, macht die Sache in den Augen der Fahrer noch eindeutiger.

Der verunfallte Ferrari von Carlos Sainz, Foto: LAT Images
Der verunfallte Ferrari von Carlos Sainz, Foto: LAT Images

Das Problem ist bei diesem Wetter vielschichtig. Selbst bei relativ langsamem Tempo hinter dem Safety Car - immer noch mehr als 100 km/h - produzieren Formel-1-Autos viel Gischt. "Wenn du hinten liegst, versuchst du immer aus der Gischt rauszukommen, nach links, nach rechts, weil du nicht wirklich was siehst", erklärt Max Verstappen. "Dann fährst du ein bisschen nach links, und siehst plötzlich einen Bergekran. Das wäre bei jeder Geschwindigkeit sehr gefährlich."

Außerdem gibt es abseits der Linie oft schwer zu erkennende Pfützen und Bäche, die Aquaplaning auslösen könnten. Dann ist auch für einen Formel-1-Piloten das Auto nicht mehr zu retten. "Und wenn man ein bisschen von der Linie kommt und das Bergefahrzeug trifft, dann ist es vorbei, oder?", kritisiert Carlos Sainz.

Gasly: Aktion respektlos gegenüber Bianchi

"Ich verstehe noch immer nicht, warum wir bei diesen Bedingungen sowas auf der Strecke riskieren, weil es einfach sinnlos ist", meint Sainz. "Es wäre ohnehin abgebrochen worden. Warum riskieren?" In die gleiche Kerbe schlägt Pierre Gasly, der von allen dem Unfall am nächsten kam: "Wir hätten noch eine Minute warten können, damit alle zurück an die Box kommen, um dann die Bergefahrzeuge rauszuschicken."

Gasly war nach dem Rennen von dem Zwischenfall sichtlich mitgenommen. "Egal, bei welchem Tempo, 200, 100, ich wäre einfach tot. Ich verstehe es nicht. Das ist respektlos gegenüber Jules, seiner Familie, gegenüber uns allen. Wir riskieren da draußen unser Leben. Sicher, wir haben den besten Job in der ganzen Welt - alles, was wir wollen, ist, dass man aufpasst. Es ist so schon gefährlich genug."

Vettel fordert Untersuchung, kritisiert Reifen

Sebastian Vettel, Direktor der Fahrergewerkschaft GPDA, fordert direkt nach dem Rennen eine umfangreiche Untersuchung. Für ihn spielten da mehr Faktoren mit hinein als bloß die Entscheidung, ein Bergefahrzeug während dem Safety Car auf die Strecke zu schicken.

Zuerst erneuert Vettel seine schon öfter geäußerte Kritik an Pirellis Regenreifen. Die wollte in Suzuka trotz einsetzendem Starkregen am Start niemand aufziehen, da ihre Performance so viel schlechter ist als die der Intermediates. "Da sind wir alle schuld, aber auch keiner, denn wir werden alle in diese Position gezwungen. Der Regenreifen ist der richtige für dieses Wetter, aber er ist so langsam, dass du so unter Druck stehst, den Intermediate aufzuziehen. Das muss verbessert werden, um das Problem zu lösen."

"Dann kommt eines zum anderen", so Vettel. "Ja, das Bergefahrzeug sollte nicht dort sein, aber die Leute, die das Fahren, bekommen glaube ich auch eine Anweisung, wann sie rausfahren sollen oder nicht. Ich weiß es nicht. Das müssen wir alles verstehen und davon lernen."

FIA kündigt Untersuchung des Japan-Zwischenfalls an

Es ist an dieser Stelle anzumerken, dass dieses Berge-Prozedere nicht unbedingt nur von der üblichen Formel-1-Rennleitung koordiniert wird, welche von Rennen zu Rennen mit der Serie mitreist. Operationen der Streckenposten werden vom sogenannten "Clerk of the Course" der örtlichen Rennstrecke überantwortet.

Die Regelbehörde FIA meldete sich am Abend schließlich noch und bestätigte eine Untersuchung: "Obwohl es das Standard-Vorgehen ist, Autos unter Safety Car und unter roter Flagge zu bergen, so hat die FIA auch nach Feedback von mehreren Fahrern eine umfangreiche Nachbetrachtung der Umstände begonnen, welche die Aussendung von Bergefahrzeugen während dem Grand Prix von Japan betreffen. Das ist Teil des üblichen Vorgangs, alle Zwischenfälle in Rennen zu analysieren und stetige Verbesserungen von Prozessen und Prozeduren zu verbessern."