Nach dem Grand Prix in Baku wollte die FIA im Sinne der Gesundheit der Fahrer auf das starke Porposing der Autos reagieren und kündigte eine neue technische Direktive (TD) an. TD39 sollte bereits in Kanada neue Grenzwerte für das Aufsetzen der Autos festlegen, doch die FIA setze ihr Anliegen überhastet um und erhielt Kritik von allen Seiten. Die Folge: Die TD greift in einer zweiten Version erst ab Belgien.
In dieser zweiten Version sind allerdings auch strengere Grenzwerte in Sachen Biegsamkeit des Unterbodens zu finden, weswegen sie auch wegen möglicher Auswirkungen auf die Performance heiß diskutiert wurde. Mittlerweile sehen die Teams die TD gelassener. "TD39 ist kein Problem. Ich erwarte keine große Änderungen im Kräfteverhältnis", meinte Aston Martin Teamchef Mike Krack.
Sein Kollege Andreas Seidl von McLaren stimmte zu: "Was die TD, die von Spa an gilt, angeht, habe ich überhaupt keine Bedenken. Ich bin glücklich damit, auch damit, dass die FIA diesen Prozess angeführt hat. Es war wichtig das durchzuziehen, nachdem sie es vor ein paar Wochen auf Basis der Sicherheit begonnen hatten."
Ferrari und Alpine loben TD: Wird guten Betrag leisten
Ferraris Renndirektor Laurent Meckies und Alpines Sportdirektor Alan Permane hatten sogar Lob für die Initiative der FIA übrig. "Wir unterstützen die TD. Wir sind glücklich sie umzusetzen und das wird uns keinerlei Probleme bereiten. Wir haben alle unsere Rennen dieses Jahres durchgesehen und die neuen Regeln auf jede Runde angewandt. Es ergaben sich keine Probleme", gab Permane zu Protokoll.
Meckies äußerte seine Zustimmung, obwohl Teamchef Mattia Binotto bereits zugab, dass die Scuderia Modifikationen am Auto durchführen muss: "Wir müssen mit der FIA arbeiten, um die Porpoising-Situation zu verbessern und in diesem Kontext wird die TD einen guten Beitrag leisten. Die TD setzt die Teams unter Druck, ihr Auto weiter weg vom Porpoising zu operieren. Sie ist auch strenger in Sachen Abnutzung der Unterbodenplatte. Mit allen diesen Werkzeugen der FIA wird gute Arbeit geleistet, um sicherzugehen, dass wir nicht zu nahe an eine Grenze kommen."
Unterbodenregeln 2023: Keine Zeit, kein Geld und technisch schwer umsetzbar
In der Diskussion um die Gefahren des Porpoising und der Reaktion der FIA darauf gibt es längst ein anderes Streitthema in der Formel 1: Zusätzlich zur TD will die oberste Sportbehörde die Regeln für den Unterboden ab 2023 ändern und dabei unter anderem dessen Rand um 25 Millimeter anheben. Viele Teams laufen dagegen Sturm. Einen Grund für den Unmut erklärt Christian Horner: "Wir sind schon im August und wir müssten das Auto massiv umgestalten, wenn der Unterboden wirklich um 25 Millimeter angehoben wird, so wie sie es ankündigen." Meckies stimmte dem Vertreter des WM-Konkurrenten von Ferrari zu: "Wir sind sehr spät dran, das Auto für nächstes Jahr zu ändern. Die meisten von uns [Teams, Anm. d. Red.] werden schon in den letzten Zügen ihrer Entwicklungsprogramme sein."
Nicht nur die Zeit, sondern auch die Kosten spielen eine Rolle, wie Mike Krack zu bedenken gab: "Für 2023 ist, egal ob sie richtig oder falsch ist, das wichtigste, dass es überhaupt eine Entscheidung gibt, denn wir müssen jetzt Entscheidungen für das nächstjährige Auto treffen. Je später das passiert, desto teurer wird es. Das wichtigste ist also, so früh wie möglich eine Entscheidung zu treffen." Der leitende Ingenieur von Mercedes, Andrew Shovlin, sah das nicht als Problem an: "Von der finanziellen Seite her ist es ein Nullsummenspiel: Die Herausforderung wird für alle Teams dieselbe sein."
Jan Monchaux, technischer Direktor von Alfa Romeo, wiederrum ging ins Detail der technischen Herausforderung: "Da gibt es lange Vorlaufzeiten. Das Getriebe und alles drum herum zum Beispiel, das zu dieser Jahreszeit schon voll in der Entwicklung ist. Die Höhe der Diffusormündung, oder jegliche Auswirkungen auf die Aerodynamik etwa, die es wahrscheinlich verursachen wird. Dass die Aufhängung etwas anders ausgelegt sein sollte usw. Es ist schon ziemlich spät, das alles zu verstehen." Einzig James Key von McLaren scherrte aus und sah die geplanten Änderungen weniger dramatisch: "Die Höhe des Unterbodens zum Beispiel. Wenn die sich ändert, bleibt der Boden im Grunde trotzdem derselbe - er ist dann nur ein bisschen höher."
Mercedes will Klarheit, Red Bull und Alpine wollen keine Änderung
Mercedes gilt im Fahrerlager als Profiteur einer möglichen Regeländerung, doch auch Andrew Shovlin verlor etwas die Geduld mit der FIA: "Was wir wollen ist Klarheit. Wird es eine Änderung geben und wenn ja, dann sollten wir das durchziehen und uns einigen." Die Regeländerungen ergeben für den Briten dennoch Sinn: "Die Realität ist, dass diese Autos immer nah am Boden fahren werden. Sie werden immer auf der Straße aufsetzen und, obwohl man das abschwächen und verbessern kann, wenn wir wirklich eine fundamentale Veränderung wollen, dann wird es eine Regeländerung brauchen."
Viele der Konkurrenten von Mercedes befürchten nicht nur Probleme bei der Umsetzung, sondern sehen auch die Begründung der FIA als vorgeschoben. Die Regeländerungen sollen im Sinne der Sicherheit eingeführt werden. "Ich bin mir sicher, wenn wir die Regeln einfach so belassen würden, dann würde die Ingenieurspower in der Boxengasse dafür sorgen, dass es nächstes Jahr kein Problem mehr wäre", hielt Christan Horner die möglichen neuen Regeln für überflüssig.
Alan Permane sah auch keinerlei Notwendigkeit für die geplante Regeländerung: "Wir würden einfach gerne so verbleiben, wie es ist. Wir können unser Auto kontrollieren und wir sind sehr glücklich darüber, es komplett sicher betreiben zu können. Ich bin sicher, dass unsere Fahrer das bestätigen werden. Das Problem ist mittlerweile aus der Boxengasse verschwunden."
Tost unmissverständlich: Geht nicht um Sicherheit, sondern Politik
Die Sicherheitsbedenken hielten auch für Laurent Meckies nicht als Begründung für neue Regeln stand: "Wir haben darüber diskutiert was in Sachen Sicherheit wichtig ist und was nicht. Ich glaube diese Sache hat nichts mit der Mehrheit der Dinge zu tun, die wir eigentlich für die Sicherheit einführen sollten." Besonders das Thema der abgerissenen Airbox am Alfa Romeo von Guanyu Zhou bei dessen Silverstone-Unfall hielten die Teamvertreter mehrheitlich für ein größeres Problem in Sachen Sicherheit, als das mittlerweile gebändigte Porpoising.
Christian Horner gestand den Regelhütern zu, in keiner einfachen Lage zu sein: "Es ist auch schwer für die FIA, denn wo ziehst du den Schlussstrich? Es gibt eine Pflicht der FIA, die Dinge bei Sicherheitsfragen anzusehen, aber wo endet das? Wir müssen ja auch keine Erlaubnis einholen, um von Slicks auf Regenreifen oder von Regenreifen auf Slicks zu wechseln." Der Chef des Schwesterteams AlphaTauri, Franz Tost, drückte sich klarer aus: "Die letzten Diskussionen und Vorschläge, den Unterboden zu ändern, haben meiner Meinung nach nichts mit der Sicherheit zu tun. Es geht nur um Politik."
Mohammed Ben Sulayem versucht inzwischen die Wogen zu glätten. Der FIA-Präsident erklärte das Thema zur Chefsache und machte sich zuletzt selbst ein Bild von der Lage, griff sogar zum Telefonhörer und befragte die Fahrer. Währenddessen diskutieren die Ingenieure in Expertenrunden und versuchen, eine Lösung zu finden.
Kann man sich auf einen Kompromiss einigen, kann man sogar den regulären Weg gehen und die Änderung von Formel-1-Kommission und WMSC absegnen lassen. Falls man sich nicht einigen kann, muss die FIA eine Entscheidung treffen: Ist die Thematik nun sicherheitsrelevant und wie müssen die Änderungen konkret aussehen?
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