Eigentlich wollte Ferrari beim Ungarn GP die große Aufholjagd in der Formel-1-WM starten. Kein Sieg, sondern ein Doppelsieg war die Ansage von Teamchef Mattia Binotto. Die Ausgangslage war tatsächlich gut: Carlos Sainz auf Startplatz zwei, Charles Leclerc direkt dahinter, WM-Konkurrent Max Verstappen nur auf Startplatz zehn. Das Rennergebnis: Verstappen P1, Sainz P4, Leclerc P6.

Wie konnte Ferrari in Budapest eine so starke Ausgangslage mit einem am Freitag noch haushoch überlegenen Auto in eine solche Niederlage verwandeln? Motorsport-Magazin.com erklärt die drei Hauptgründe für das Ungarn-Debakel der Scuderia.

Ursache 1: Der harte Reifen

Es war der offensichtlichste Fehler, den die Ferrari-Strategen begingen. Der C2-Reifen funktionierte am Sonntag auf dem Hungaroring nicht. Die Zahlen belegen eindrucksvoll, wie sehr Leclerc unter dem Wechsel auf die harten Pneus litt. Der Monegasse fuhr als einziger Fahrer der Top-Teams mit der härtesten Mischung.

POSRunde 37RückstandRunde 53Rückstand
1LeclercVerstappen
2Russel4,927Leclerc7,82
3Sainz6,134Russell8,084
4Verstappen7,191Sainz10,611
5Hamilton12,654Hamilton20,45
6Perez22,213Perez26,415

Am Ende des zweiten Stints führte Leclerc. In Runde 39 kam der verhängnisvolle Wechsel auf den harten Reifen. Die Performance darauf war so schlecht, dass Ferrari in Runde 54 die Notbremse zog und den Monegassen zu einem dritten Stopp holte, nur um die C2-Reifen wieder loszuwerden.

Aber wie schlimm war die Performance auf den harten Reifen tatsächlich? In Runde 38 kam Verstappen zu seinem zweiten Boxenstopp. In Runde 39 zogen Leclerc und Russell nach, in Runde 42 Perez. Sainz und Hamilton kamen in den Runden 47 und 51. Die Phase der zweiten Boxenstopps war die entscheidende im Rennen.

Unmittelbar zuvor führte Leclerc vor Russell, Sainz, Verstappen, Hamilton und Perez. 16 Runden später, als sich Leclerc der harten Reifen entledigte, hatte sich das Bild gravierend gewandelt. Auf Verstappen verlor er in diesem Zeitraum 15 Sekunden - obwohl sich der Niederländer sogar noch drehte.

Aber auch auf Russell, Sainz und Perez verlor Leclerc wertvolle Sekunden. Obwohl er früher auf frische Reifen wechselte - nur eben auf die falschen. Der Vorsprung auf Hamilton blieb konstant, aber nur, weil der Brite erst in Runde 51 zu seinem zweiten Stopp kam. In Runde 53 hatte er die frischen Reifen erst zwei Runden aufgezogen. Mit uralten Medium-Reifen verlor Hamilton quasi keine Zeit auf Leclerc mit frischen, harten Reifen.

Zum Zeitverlust während des Hard-Stints kam noch der Zeitverlust eines zusätzlichen Boxenstopps, um wieder auf funktionierende Reifen zu wechseln. Kurzum: Der Wechsel auf harte Pneus ruinierte Leclercs Rennen.

Die große Frage lautet: Hätte Ferrari das Debakel vorhersehen können oder gar müssen? Fernando Alonso wechselte in Runde 21 auf die C2-Mischung, Esteban Ocon in Runde 23. Beide Alpine hatten große Probleme, den harten Reifen zum Arbeiten zu bringen.

Schon am Freitag war zu sehen, dass der harte Pneu kein guter Reifen für den Hungaroring war. Wenig Grip sorgte für stärkeres Rutschen. Der Verschleiß war dadurch stark erhöht. Dabei war es am Trainingstag noch 34 Grad heiß. Auf dem Asphalt wurden zeitweise sogar mehr als 50 Grad gemessen. Am Rennsonntag stieg das Quecksilber nicht einmal mehr über die 20 Grad-Marke. Der Asphalt hatte gerade einmal 28 Grad.

Über dem Hungaroring hingen während dem Rennen Regenwolken, Foto: LAT Images
Über dem Hungaroring hingen während dem Rennen Regenwolken, Foto: LAT Images

Je härter der Reifen, desto mehr Temperatur braucht er. Red Bull wollte eigentlich auf den harten Reifen ins Rennen gehen. Auf den Sichtungsrunden hatten die Fahrer jedoch schon Probleme damit, die weichen Reifen aufzuwärmen. Also änderte man die Strategie. Leclerc selbst erkannte im Rennen, dass der harte Reifen eine schlechte Idee war. Er wollte den Mittelstint deshalb in die Länge ziehen, um das Rennen auf Soft zu Ende fahren zu können. Man konnte also erahnen, dass der harte Reifen keine gute Idee war.

Ursache 2: Fehlende Pace

Während Leclerc die Strategie für die bittere Niederlage verantwortlich machte, sahen Teamchef Mattia Binotto und Teamkollege Carlos Sainz die Sachlage etwas anders. "Nicht die Strategie war unser Problem, sondern die Pace und die Performance", erklärte Binotto. "Wir haben noch keine Erklärung dafür, aber irgendetwas hat nicht gestimmt."

Der Italiener redete den Strategiefehler nicht schön, aber er sieht den harten Reifen nicht alleinverantwortlich für die Niederlage: "Ich glaube es wäre egal gewesen, welche Reifen wir gefahren wären, gewonnen hätten wir nicht."

Dabei ging Ferrari als absoluter Topfavorit in das Ungarn-Wochenende. Die Streckencharakteristik des Hungaroring schien dem F1-75 auf den Leib geschneidert. Am Freitag wurde Ferrari der Favoritenrolle auch noch gerecht. "Da hatten wir eine halbe Sekunde Vorsprung pro Runde. Heute hatten wir eine halbe Sekunde Rückstand", wundert sich Sainz. "Am Freitag konnte ich jede Runde pushen, ohne dass die Reifen abgebaut haben. Heute sind meine Reifen eingegangen."

Ferraris Pace-Vorteil vom Start verpuffte schnell, Foto: LAT Images
Ferraris Pace-Vorteil vom Start verpuffte schnell, Foto: LAT Images

"Wir hatten heute einfach keine Pace. Man vergleiche nur meine Pace auf den Soft-Reifen mit Hamilton - und dann siehst du es schon", so der Spanier. Sainz wechselte in Runde 47 auf Soft, Hamilton vier Umläufe später. Als Hamilton in Runde 51 aus der Box kam, lag er zehn Sekunden hinter dem Ferrari-Piloten. Im Ziel, 19 Runden später, lag Hamilton sieben Sekunden vor Sainz.

Die Tatsache, dass die Rote Göttin am Sonntag einfach nicht zu funktionieren schien, machte das Hard-Desaster dabei noch schlimmer. Je weniger Grip ein Auto hat, desto stärker rutscht es. Dabei wird der Reifen nur an der Oberfläche heiß. Um den Reifen zum Funktionieren zu bringen, muss er aber strukturell auf Temperatur gebracht werden. Genau damit haderte Ferrari.

Ursache 3: Die Gegner

Schwaches Ferrari, starkes Red Bull und Mercedes - diese Erklärung wäre zu profan. Ferraris Gegner-Problem war multidimensional. In Runde 16 kam Russell zum Reifenwechsel. In Runde 17 zog Ferrari mit Sainz nach. Ferrari reagierte auf den Mercedes-Piloten, wollte ihn nicht fahren lassen.

Das Problem: Ferrari startete auf den Medium-Reifen, Russell - wie auch die beiden Red Bull - auf Soft. Ein kurzer erster Stint machte Russell, Verstappen und Perez also nichts aus. Ferrari hingegen schon. Das Problem sollte jedoch nicht sofort offensichtlich werden. Es dauerte bis zum zweiten Boxenstopp.

Die Reifen aller Fahrer im Ungarn-GP, Foto: Pirelli
Die Reifen aller Fahrer im Ungarn-GP, Foto: Pirelli

In Runde 38 kam Verstappen zu seinem zweiten Stopp. Inzwischen hatte man bei Ferrari erkannt, dass der Niederländer die wahre Gefahr war. Russell hatte man inzwischen schon auf der Strecke überholt. Das Problem: Der Niederländer konnte für den langen Schlusssprint die Medium-Reifen wählen.

Diesen Luxus hatte Ferrari nicht mehr. Sainz und Leclerc hatten den Medium-Reifen bereits für die ersten beiden Stints aufgezogen. Die Wahl lautete nun: Soft oder Hard? Leclerc hatte zu diesem Zeitpunkt rund sieben Sekunden Vorsprung auf Verstappen. Man wollte den Niederländer aber auf keinen Fall ziehen lassen und die Track-Position überlassen.

Für den Soft-Reifen war es aber noch zu früh. Also musste man bei Leclerc auf die harten Reifen setzen. Weil man selbst von einer langen Warmup-Phase ausging, holte man Leclerc eine Runde nach Verstappen. Doch die Warmup-Phase endete nie und so ging die Strategie in die Hose.

Leclerc überholte Russell in Ungarn auf der Strecke, Foto: LAT Images
Leclerc überholte Russell in Ungarn auf der Strecke, Foto: LAT Images

Überholen war in Budapest nie einfach. Doch die neue Fahrzeuggeneration, gepaart mit unterschiedlichen Reifen, ermöglichte gutes Racing. Track-Position war plötzlich nicht mehr ganz so entscheidend. Ferrari aber fokussierte sich auf die Konkurrenz und versuchte, deren Strategie abzudecken.

Das Problem an dieser Strategie war nur, dass man mit unterschiedlichen Voraussetzungen, sprich auf unterschiedlichen Reifen ins Rennen ging. Der Medium-Reifen war am Sonntag mit Abstand die beste Wahl. Weil Ferrari nicht das eigene Rennen fuhr, sondern das der Konkurrenz, und dabei noch auf anderen Reifen gestartet war, fuhr man deutlich weniger Runden auf der besten Reifenmischung.

Im ersten Stint fuhr Sainz nur 17 Runden auf den gelben C3-Reifen, Leclercs zweiter Stint dauerte nur eine Runde länger. Es waren die zwei kürzesten Medium-Stints im gesamten Feld. Während Verstappen und Russell je 54 der 70 Rennrunden auf Medium absolvierten, kamen Sainz und Leclerc nur auf 47, respektive 39 Medium-Runden.

Die Krux an der Sache: Hätte Ferrari strategisch agiert statt reagiert und das eigene Rennen durchgezogen, so hätte man womöglich trotzdem nicht gewonnen, weil die Pace nicht da war. Dann hätten sich die Ferrari-Strategen den Vorwurf gefallen lassen müssen, die direkte Konkurrenz nicht abgedeckt zu haben.