Das Formel-1-Rennen in Ungarn verspricht an diesem Sonntag die Extraportion Spannung vor der Sommerpause. George Russell ist im Mercedes auf der Pole Position in vielerlei Hinsicht eine Wundertüte im Kampf um den Sieg. Die Verfolger Charles Leclerc und Carlos Sainz stehen unter Zugzwang, für Ferrari im WM-Kampf ab sofort Big Points zu machen. Weltmeister Max Verstappen steht von Startplatz zehn auf dem Hungaroring ein besonders hartes Stück Arbeit bevor. Unterschiedliche Ausgangslagen und jede Menge Fragezeichen für die Favoriten beim 13. Saisonrennen 2022. Alle News zur Formel 1 heute in Ungarn gibt es im Liveticker.
"Wir wussten das schon lange. Wir wollten nur bis zur Sommerpause unsere Spielchen treiben, um dann wieder dabei zu sein", scherzt Toto Wolff am Mikrofon von Sky Sports F1 nach der ersten Pole Position seines Teams in dieser Saison. Seit Lewis Hamiltons Erfolg beim Saudi-Arabien GP 2021 sind die einstigen Seriensieger nicht mehr von Startplatz eins in einen Grand Prix gegangen. George Russell erlöste sie mit der ersten Pole seiner Karriere, und das an einem schon fast abgehakten Wochenende.
Nach den Trainings am Freitag rauchten bei Mercedes angesichts einer beunruhigend schlechten Pace die Köpfe. "Die Wahrheit ist, dass wir im Qualifying von Anfang an gesehen haben, dass wir die Reifen im richtigen Fenster haben und das Auto ausbalanciert ist. Es kam irgendwie alles zusammen", erklärt Wolff die überraschende Kehrtwende.
Doch in der ersten Saisonhälfte war der Samstag nicht die Stärke des F1 W13, was Russell durchaus misstrauisch stimmt. "Wir wissen, dass wir relativ betrachtet ein besseres Rennauto haben. Wenn das hier wieder der Fall sein sollte, wäre ich sehr schockiert", traut er der Qualifying-Performance seines Autos nicht über den Weg. Für die hatten die Ingenieure das Setup nach den schwachen Trainings nämlich umgekrempelt. "Es gibt keine Garantien, dass die Änderungen auch bei der Rennpace funktionieren."
Wolff schöpft leise WM-Hoffnung
"Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer", gibt sich auch Wolff vorsichtig, der nach dem Lebenszeichen seiner Mannschaft dennoch Hoffnung schöpft: "Wenn wir die Position am Start halten, in Führung aus der erste Kurve kommen und die Boxenstopps gut sind, warum nicht? Wir können das hier gewinnen."
In der Gesamtwertung liegt Russell an fünfter Stelle, 90 Punkte hinter Verstappen - aber auch nur einen Zähler hinter Sainz. Ein Sieg in Ungarn könnte vor allem in Anbetracht von Verstappens schwieriger Ausgangslage ein besonders wertvoller Erfolg sein. "Ich würde nichts ausschließen, wenn wir dieses Rennen gewinnen können", so Wolff mit Blick auf den immer noch nicht ganz abgeschriebenen WM-Fight.
Russell ohne Schützenhilfe von Hamilton
"Wenn wir schnell sind, können wir auch gewinnen. So einfach ist das", sagt Russell, der als Pole-Sitter zweifelsohne sehr gute Karten hat. Selbst wenn der Mercedes nicht das schnellste Auto sein sollte, kann die Track Position auf dem winkligen Layout des Hungarorings der Schlüssel zum Sieg sein. Esteban Ocon und Fernando Alonso lieferten im Vorjahr den Beweis, als sie im Alpine der Konkurrenz vor der Nase herumfuhren.
Für Russell wird die Strategie entscheiden, ob ihm ein solches Kunststück ebenfalls gelingt. In den heißen Trainings war die Performance der Reifen problematisch. "Unsere Pace mit Rennsprit war die schlechteste überhaupt", sagt er. "Wenn es zwei oder drei Boxenstopps werden, wirst du dich nicht verteidigen können, weil die schnelleren Autos früher oder später stoppen und dich überholen werden."
Der Wetterbericht sagt mit 22 Grad Celsius und einer Regenwahrscheinlichkeit von etwa 50 Prozent ähnliche Bedingungen wie am Samstag vorher. Wenn es bei einem Reifenstopp bleibt, hat Russell nur noch ein Problem. Gleich hinter ihm lauern zwei Ferrari, die ihre Strategien splitten und ihn damit Schachmatt setzen können. Lewis Hamilton hat wenig Hoffnung, von Startplatz sieben aus helfen zu können. "Ich werde tun was ich kann, um ihn zu unterstützen. Aber er sollte in der Lage sein, mit seiner Ausgangslage auf dieser Strecke zu gewinnen und ich werde versuchen, mich nach vorne zu kämpfen", sagt er.
Ferrari traut Mercedes' Pole nicht über den Weg
Ferrari war die Enttäuschung über die Qualifying-Klatsche anzusehen, nachdem Sainz und Leclerc in den Trainings deutlich den Ton angegeben hatten. "Hoffentlich finden wir mehr Pace", sagt Sainz mit Blick auf das Rennen. In den Longruns am Freitag hatte Ferrari die Konkurrenz klar im Griff - und die Rede war dabei von Red Bull, denn Mercedes spielte zu diesem Zeitpunkt noch gar keine Rolle.
Auf dem Medium-Reifen war Leclerc rund eine halbe Sekunde schneller als Verstappen. Die Bedingungen werden am Sonntag deutlich kühler sein, doch Sainz sieht den F1-75 auch dann als das stärkste Paket. "Die Rennpace von Mercedes ist ein Fragezeichen und wir wissen nicht, ob sie wieder so schnell sein werden. Aber ich fühle mich im Auto schon das gesamte Wochenende sehr wohl, also sollten wir schnell sein", gibt sich der Grand-Prix-Sieger optimistisch.
Sainz fürchtet schwache Ferrari-Starts
In einer Disziplin sieht er Mercedes allerdings vorne, und die kann in Ungarn alles entscheiden. "Der Start wird eine Schlüsselrolle spielen, aber wir treten gegen einen Mercedes an. Die haben diese Saison sehr gute Starts und wir sind da nicht so fit, wegen einem Problem bei uns", so Sainz, der von fortwährenden Schwierigkeiten beim Ferrari spricht: "Es ist ein tiefgehendes Problem, das wir dieses Jahr nicht wirklich loswerden können."
Ob er Russell am Start attackieren kann, wird damit zur Lotterie. "Manche Starts sind gut, andere grenzwertig. Hoffentlich haben wir diesmal einen Tag, an dem die Starts gut sind. Wenn wir den Start und die Strategie hinbekommen, können wir das Rennen mit unserer Pace gewinnen. Also werden wir uns darauf konzentrieren", kündigt er an.
Leclerc will sich vor allem darauf konzentrieren, in der Weltmeisterschaft Boden auf Verstappen gutzumachen. "Max braucht von Platz zehn vielleicht ein paar Runden mehr, um nach vorne zu kommen, aber wir legen den Fokus auf uns und darauf, dieses Rennen zu gewinnen", so der 24-Jährige, der als Zweitplatzierter in der Fahrerwertung 63 Punkte hinter dem Titelverteidiger liegt.
Auf eine Stallorder beziehungsweise Schützenhilfe von Sainz kann er dabei allerdings nicht zählen. Bei der Scuderia gibt es keine Teamorder, doch bei der Großchance gegen Red Bull sind die Ferrari-Kollegen dazu angehalten, sich nicht in die Quere zu kommen. "Ich denke nicht, das wir so etwas [Stallregie] brauchen. Natürlich dürfen wir untereinander keine Risiken eingehen. Aber da gibt es nichts Besonderes", beteuert Leclerc.
Verstappen wünscht sich Gefallen von Mercedes
Der Weltmeister und WM-Leader ist aus Startreihe fünf ausnahmsweise der Underdog im Kampf um den Sieg. Den achten Triumph in der laufenden Saison hat er aber trotzdem nicht abgeschrieben. "Ich denke, du kannst hier immer noch ein Resultat holen. Es ist schwer, hier zu überholen, aber es kann alles passieren", so der 24-Jährige, der einen strategischen Motorwechsel ausschließt: "Ich glaube nicht, dass es eine Strafe wert wäre."
Sollte es für ihn mit dem Sieg nicht klappen, ruhen seine Hoffnungen auf Russell. Den einstigen Erzrivalen von Mercedes würde er den Erfolg unter den gegebenen Voraussetzungen durchaus wünschen. "Na ja, sie müssen mir einen Gefallen tun", so der Champion mit einer Portion Humor.
diese Formel 1 Nachricht