Charles Leclerc ist der Mann der Stunde im Formel-1-Qualifying. Bereits zum fünften Mal in sieben Saisonrennen fährt der Ferrari-Mann 2022 auf die erste Startposition. Doch auf keiner Strecke ist dieser Starplatz so wichtig, wie auf dem engen Straßenkurs in Monaco. Dennoch ist der Sieg im Fürstentum noch längst nicht in trockenen Tüchern - im wörtlichsten Sinne. Der Favoriten-Check zum Monaco-GP.

Für den Rennsonntag ist Regen angesagt. Zu Mittag und im Laufe des Nachmittags - also genau rund um das Rennen - wird die Regenwahrscheinlichkeit auf rund 80 Prozent beziffert. Und eines haben alle Teams gemeinsam: In Monte Carlo fehlen ihnen sämtliche Daten, was feuchte Verhältnisse mit der neuen Wagen-Generation angeht. Denn seit den Trainings am Freitag fiel nicht ein einziger Tropfen Wasser vom Himmel an der Cote d'Azur.

Ferrari für Trocken-Rennen gut aufgestellt

Sollte der Grand Prix wider aller Erwartungen unter trockenen Bedingungen über die Bühne gehen, hält aber Ferrari alle Trümpfe in der Hand. Im Training gab Charles Leclerc - meist mit ein bisschen Abstand - den Ton an. In der Regel war der Abstand zu Carlos Sainz und mitunter auch Sergio Perez nur marginal. Im Qualifying unterstrich Ferrari diese Performance und hat mit der Pole Position den mit Abstand wichtigsten Faktor für den Monaco-GP auf seiner Seite.

Womit wir bereits bei der zweiten Trumpfkarte für Ferrari wären: Strategisch ist Monaco ein ziemlich simples Rennen. In den winkeligen Häuserschluchten gibt es kaum Reifenverschleiß, ergo ist eine 1-Stopp-Strategie die einzig plausible Herangehensweise. Die fehlenden Überholmöglichkeiten befeuern diesen Effekt noch weiter. Ferrari kann an der Spitze nach dem Start die Pace nach Belieben diktieren und so das Undercut-Fenster gar nicht erst aufgehen lassen.

Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko nimmt an, dass die Scuderia genau diese Taktik fahren wird. "Es ist schwierig. Zwei Ferraris sind vorne. Ich nehme an, dass die ein verlangsamtes Tempo in den Kurven gehen werden, um ihre Reifen zu schonen. Und dort, wo man Überholen kann, werden sie Gas geben", kalkuliert Marko.

Ein dritter Faktor, der Ferrari in die Hände spielt ist der Weg zu Kurve 1: Die Chance in Monaco am Start den Polesetter zu überholen ist in der modernen Formel 1 auf ein Minimum geschrumpft. Zu kurz ist der Weg hin zu Kurve 1, um aus Reihe 2 einen gravierenden Unterschied zu machen und auch auf Position 2 geht sich nur schwer ein Manöver aus. 2002 gelang es zuletzt einem Fahrer, der nicht aus der besten Startposition ins Rennen ging, den Start zu gewinnen.

Perez schneller als Verstappen

Red Bull konnte Ferrari bislang nicht das Wasser reichen. Nur in FP3 hatte Perez die Nase gegenüber den beiden Ferraris vorne. Perez hatte überraschenderweise Max Verstappen im Griff.. Ein interessanter Aspekt bildet deshalb das Management der Bullen dieser ungewöhnlichen Fahrer-Situation. Ob der Mexikaner im Rennen vor seinem Weltmeister-Teamkollegen ins Ziel kommen darf, kann bezweifelt werden. Wenn er allerdings ein schnelleres Tempo als Verstappen gehen kann, wäre es eher hinderlich für Red Bull diesen Platzwechsel schon früh im Grand Prix durchzuführen.

Was die Longruns angeht, gibt es keine verlässlichen Daten. Das liegt aber an dem einfachen Grund, dass in Monaco die Rennpace kaum relevant ist. Wer einmal im Verkehr steckt, bleibt dort bis zum Ende des Rennens oder wenigstens bis zum nächsten Boxenstopp. Der Zweikampf von Max Verstappen mit Lewis Hamilton 2019 ist ein Beweisstück dafür. Verstappen hing dem späteren Champion beinahe über die gesamte Renndistanz im Heck, doch seine Ausbremsversuche am Ende der Tunnel-Gerade scheiterten ausnahmslos.

Chaos-GP in Monaco?

Aber Monaco wäre nicht Monaco, wenn nicht auch die Aussicht auf ein bisschen Chaos im Raum stehen würde. Schließlich wurde die 3,337 Kilometer lange Strecke in der Vergangenheit zu einem Synonym für Ausfall-Orgien. Der Regen konnte das begünstigen.

Womit wir bei den Niederschlägen wären. In der letzten Saison hatte Ferrari regelmäßig bei nassen Bedingungen Probleme und musste dort Federn lassen. 2022 ist die Scuderia überzeugt, dass der F1-75 auch bei feuchten Bedingungen äußerst konkurrenzfähig ist. Charles Leclerc behauptete: "Es besteht die Chance auf Regen, aber das ist in Ordnung. Denn wir waren auch in Imola im Regen stark."

Während im trockenen Ferrari und Red Bull dem Feld ein ganzes Stück weit einteilt sind, bietet der Regen die große Joker-Chance. Im Mercedes-Camp hofft man besonders auf Niederschläge. George Russell betonte: "Man sagt oft der Sieg von P6 ist in Monaco nicht möglich. Aber es sieht so aus, als solle es morgen regnen. Wir werden alles riskieren".

Im trockenen ist der Sieg für die Silberpfeile weit außer Reichweite. Dass sich Russell hinter dem McLaren von Norris auf P6 einsortieren musste, war keineswegs einem Glückstreffer von McLaren zu verdanken, sondern deutete sich bereits das ganze Wochenende an. Mercedes muss um seine Position als dritte Kraft kämpfen.

Fazit: Ferrari ist im trockenen eine Macht und kann sich eigentlich fast nur selbst schlagen, während Red Bull wohl darauf angewiesen ist, auf Fehler der Scuderia zu warten. Falls aber der Regen kommt, ist es sowieso kaum vorherzusehen, wer die beste Pace hat. Doch selbst wenn die Ferraris im Regen möglicherweise kein so gutes Paket vorweisen können, wie die Konkurrenz, wird es eine schwere Aufgabe, auf dem engen Straßenkurs an Leclerc und Sainz vorbeizukommen. Track Position ist nunmal King in den Straßen von Monaco. Aber vielleicht überrascht uns das Rennen heute ja...