Fast ein Viertel des Formel-1-Kalenders der Saison 2022 ist mit dem Großen Preis von Miami am vergangenen Wochenende gefahren. Mit seinem dritten Sieg im fünften Saisonrennen meldete sich Max Verstappen mit einem zweiten Ausrufezeichen im direkten Anschluss an seinen überlegenen Coup in Imola zurück im WM-Kampf gegen Ferrari-Pilot Charles Leclerc. 19 Punkte fehlen dem Niederländer in der Formel 1 WM-Tabelle 2022 wegen seiner beiden Ausfälle in Bahrain und Australien dennoch auf den Monegassen.
Schon vor dem Top-Ergebnis im Formel-1-Rennen in Miami rechneten die Protagonisten bei Red Bull vor: Ohne die bitteren Rückschläge durch technische Defekte könnte der WM-Stand ganz anders aussehen. Seit einem souveränen Doppelsieg in Imola strotzen Max Verstappen, Sergio Perez, Christian Horner und Helmut Marko vor Vertrauen in die Performance des Red Bull RB18. Bei der Zuverlässigkeit besteht größerer Nachholbedarf. Das zeigte sich in Miami erneut, an einem für Verstappen von Problemen gespickten Freitag und am Sonntag an einem Sensorproblem im Fall Perez'.
Formel 1 2022: Ferrari und Red Bull mit unterschiedlicher Upgrade-Philosophie
Die Performance allerdings überzeugte. Seit einem größeren Upgrade inklusive Gewichtseinsparungen in Imola hat der RB18 dem F1-75 den Rang als knapper Klassenprimus abgelaufen. Schon zuvor hatten die Bullen ihren Boliden mehrfach mit neuen Teilen geschliffen. Los ging es bereits bei den Testfahrten im Winter. Zum zweiten Test in Bahrain schickte Red Bull ein deutlich überarbeitetes Paket auf die Strecke. Anders Ferrari: Die Scuderia wählte zwar von vornherein ein ganz anderes, aber in seiner Radikalität ähnliches Konzept wie Red Bull, ließ dieses Paket bislang allerdings weitgehend unangetastet.
Bei dieser Herangehensweise handelt es sich um eine bewusste Entscheidung - auch vor dem Hintergrund des 2022 nochmals verschärften Budgetdeckels von nun 142,4 Millionen US-Dollar. Genau deshalb zeigt sich Ferrari-Teamchef Mattia Binotto trotz der bei Red Bull zuletzt deutlich steileren Formkurve unbesorgt, was den großen Traum des ersten WM-Titels für Ferrari seit 2007 (Fahrer) respektive 2008 (Konstrukteure) angeht.
Mattia Binotto: Ferrari muss jetzt auf verbesserten Red Bull reagieren
"Es stimmt, dass Red Bull sein Auto verbessert hat. Seit Beginn der Saison haben sie Upgrades eingeführt, und wenn ich mir die letzten beiden Rennen anschaue, waren sie vielleicht ein paar Zehntel pro Runde schneller als wir", gesteht Binotto nach der Niederlage in Miami zunächst. "Es besteht kein Zweifel daran, dass wir unsere eigenen Upgrades einführen müssen, um das Tempo zu halten."
Beim nächsten Rennen, dem Spanien Grand Prix in Barcelona, soll es so weit sein. In der italienischen Presse zirkulieren bereits diverse Details. So ist mitunter von neuen Seitenkästen die Rede, welche vor allem den Luftwiderstand reduzieren und Ferrari gegen den überlegenen Topspeed des Red Bull helfen sollen. Auch um eine Gewichtsreduzierung und Änderungen an der Aufhängung und dem Unterboden zur Eindämmung des Bouncing-Phänomens ranken sich Gerüchte.
Formel 1 Barcelona: Ferrari kündigt Upgrade in beim Spanien-GP an
All diese Details bestätigt Binotto genauso wenig wie die langfristige Upgrade-Strategie Ferraris für den weiteren Saisonverlauf. Grundsätzlich hat der Ferrari-Leiter den Tifosi in Miami das Upgrade für Barcelona allerdings versprochen. "In den nächsten Rennen werden wir zumindest versuchen, so viel wie möglich am Auto zu entwickeln, indem wir Upgrades einführen. Es ist keine Überraschung, dass wir in Barcelona ein Paket haben werden, das für uns wichtig sein wird. Wie immer hoffe ich, dass das Paket, das wir einführen, wie erwartet funktioniert und in diesem Fall ein guter Boost ist, um zu versuchen, den Rückstand aufzuholen, den wir gegenüber dem Red Bull haben", sagt Binotto.
Das klingt alarmierter als es gemeint ist. Tatsächlich zieht Binotto nach mehr als einem Fünftel der Saison ein positives Fazit des Saisonstarts seiner Scuderia. "Ich habe immer gesagt, dass wir mindestens fünf Rennen abwarten sollten, um die richtige Konkurrenzfähigkeit zwischen den Autos zu beurteilen. Jetzt sind fünf Rennen vergangen, wir führen beide Meisterschaften an, was großartig ist, also sollten wir nicht allzu enttäuscht sein", betont der gebürtige Schweizer trotz des zuletzt klar geschmolzenen Vorsprungs in beiden Wertungen. Leclerc liegt nach komfortablen 46 Punkten Vorsprung nach Australien jetzt noch 19 voran. In der Konstrukteursmeisterschaft führt die Scuderia sogar nur noch mit sechs Punkten vor Red Bull.
Binotto erwartet wegen Budgetgrenze baldigen Entwicklungsstopp bei Red Bull
Hinzu kommt eine nach Meinung Binottos vielversprechende Perspektive. So ist auch Ferrari die jüngst hohe Schlagzahl von Upgrades bei der Konkurrenz nicht entgangen. Eine Frequenz, die Red Bull in Zeiten des Budgetlimits in der Formel 1 kaum werden halten können, meint Binotto auf Basis von Kostenschätzungen Ferraris für die Entwicklungen der Konkurrenz. "Ich hoffe, dass Red Bull die Entwicklung irgendwann einstellt, weil es auch eine Budgetgrenze gibt", sagt der Italiener - und fügt mit einem argwöhnischen Unterton an: "Sonst verstehe ich nicht, wie sie das tun können ..."
Nachdem Helmut Marko zu Saisonbeginn noch von dem im Vergleich zu Mercedes im Vorjahr nun sehr viel angenehmeren WM-Kampf gegen Ferrari geschwärmt hatte, zeigen sich nun auch erste kleinere Spannungen zwischen Maranello und Milton Keynes. So lässt sich Binottos Aussage auch als eine gewisse Retourkutsche für jüngste Aussagen Christian Horners verstehen. Der Brite hatte in Miami mit hochgezogenen Augenbrauen auf einen angeblich illegalen Einsatz von zwei unterschiedlichen Unterböden bei einem Formel-1-Reifentests Ferraris für Pirelli reagiert.
Ferrari vs. Red Bull: Erste Nadelspitzen wegen Reifentest & Budgetgrenze
"Wir wollen auf jeden Fall vermeiden, dass sich Reifentests in Aerodynamik- oder Performance-Entwicklungs-Tests verwandeln", stichelte Horner - obwohl die FIA nach dem Ärger um den Ferrari-Test in Imola mit angeblichem Unterboden-Trick zu diesem Zeitpunkt bereits die Hintergrund aufgeklärt hatte. Die (nicht neuen) Mahnungen und Bedenken Binottos hinsichtlich der Einhaltung des Budget Caps - und einer wirksamen Überwachung - sind auch eine Antwort auf diese Verdachtsmomente.
Neben der Erwartung eines Vorteils Ferraris für die Anzahl weiterer Entwicklungen im Saisonverlauf - resultierend aus der zuletzt schon hohen Upgrade-Frequenz Red Bulls unter dem Budgetdeckel - nennt Binotto noch einen anderen Grund für allenfalls kleine Bedenken in Maranello. "Wenn man die Performance bewertet und wie viel sie im Vergleich zu uns entwickelt haben, bereitet uns das große Sorgen? Ich würde sagen nein. Denn erstens sind die Unterschiede nicht riesig. Es geht um maximal ein paar Zehntel im Rennen", sagt Binotto.
Binotto bestreitet großen Vorsprung für Red Bull: Siehe Qualifying in Miami
Noch dazu dürfe man nicht vergessen, dass Ferrari erst im Qualifying in Miami noch geschlossen die erste Startreihe heraufgefahren habe. "Da hatten wir eine bessere Performance als der Red Bull. Insgesamt glaube ich also nicht, dass es an einem Wochenende einen großen Unterschied zwischen dem Red Bull und dem Ferrari gibt", analysiert der gelernte Ingenieur. Dass Verstappen wegen Defekten am Freitag mit einem Erfahrungsnachteil in das Zeittraining auf der noch dazu neuen Strecke startete, lässt der Italiener dabei unerwähnt.
Binotto zufolge befinden sich Red Bull und Ferrari jedenfalls noch immer in einem Kopf-an-Kopf-Rennen. Von einer großen Trendwende will der Italiener nicht sprechen, schon gar nicht nachhaltig. Gleichzeitig ist auch Binotto bewusst, dass Red Bull nachgelegt hat. Das habe sich nicht zuletzt daran gezeigt, dass der RB18 am Sonntag plötzlich auch aus den langsamen Kurven besser herausbeschleunigte als der Ferrari - zuvor eigentlich das Steckenpferd des F1-75. "Die Gründe dafür müssen wir noch analysieren und verstehen. Ein Teil davon wird aber sicher sein, dass sie Upgrades gebracht haben, was ihr Auto einfach schneller gemacht hat", sagt Binotto.
Red Bull weiß um schwere Aufgabe: Kontinuierliche Upgrades sind knifflig
Genau diese Upgrades erwartet der Italiener aus genannten Gründen nun allerdings mehr von seinem eigenen Team. Das Thema müsse daher eher Red Bull als Ferrari Sorgen bereiten, so Binotto. "Denn an einem gewissen Punkt müssen sie [aus Budgetgründen] eben mal aufhören [zu entwickeln]." Bei Red Bull kommt dazu nicht einmal großer Widerspruch. "Unter dem Budget Cap ist es schwer, kontinuierliche Updates zu bringen. Vor allem mit der steigenden Inflation, die brutal ist", sagt Teamchef Horner.
An der Fähigkeit oder den Ressourcen, relevante Upgrades zu entwickeln, mangele es in Maranello jedenfalls ganz sicher nicht, betont Binotto. "Wir haben nicht das Geld, um bei jedem einzelnen Rennen für Upgrades zu sorgen. So einfach ist das", sagt der Italiener. "Nicht, weil wir es nicht können, sondern wegen der Budgetgrenze. Also müssen wir versuchen, die Entwicklung auf den Zeitpunkt zu konzentrieren, an dem wir glauben, dass es der richtige Moment und die richtigen Ausgaben sind."
Charles Leclerc und Binotto überzeugt: Ferrari kann wirksame Upgrades
Bereits zu Saisonstart hatte sich Binotto kritischen Nachfragen stellen müssen. Immerhin verlor die Scuderia ihre letzten zunächst aussichtsreichen WM-Kämpfe - 2017 und 2018 mit Sebastian Vettel gegen Mercedes - nicht zuletzt deshalb, weil Mercedes die besseren Entwicklungen vorlegte. Unter der Budgetgrenze gelten nun allerdings gänzlich andere Vorgaben und auch neue Kompetenzen. Finanzchefs seien in der Formel 1 nun selbst bei Ferrari genauso wichtig wie Technikchefs, so Binotto erst kürzlich.
Headliner Charles Leclerc gibt sich in dieser Hinsicht ebenfalls unbekümmert. "Ich mache mir keine Sorgen. Natürlich haben sie sich verbessert. Wir haben aber alle erwartet, dass sie sich verbessern. Sie sind ein sehr starkes Team, das ist auch uns bewusst. Es ist also keine Überraschung", sagt der WM-Führende. "Aber ich bin auch zuversichtlich, was mein Team angeht. Ich bin sicher, dass wir Upgrades bringen werden, die uns zurück an die Spitze bringen werden. Ich hoffe das. Wir arbeiten gut und haben das auch in den letzten Jahren getan, um wieder an die Spitze zu kommen. Ich hoffe also, dass diese Upgrades uns helfen werden, sie wieder herauszufordern."
Red-Bull-Fahrer alarmiert: Probleme müssen aufhören
Helfend hinzukommen könnten die weiter anhaltenden Zuverlässigkeitsprobleme der Konkurrenz. "Es ist sehr frustrierend, dass diese Dinge weiterhin passieren", hadert Sergio Perez. "Wir müssen weiter hart arbeiten, denn wir finden immer wieder neue Probleme." Max Verstappen legt den Finger in dieselbe Wunde "Wir haben noch immer ein paar Probleme, die wir zu lösen haben. Wir sind schnell, aber wie man gesehen hat, war mein Freitag furchtbar, was nicht gerade großartig ist, wenn du ein gutes Wochenende haben willst. Und auch Checo hatte im Rennen ein paar Probleme. Deren müssen wir Herr werden. Aber es ist auf jeden Fall viel Potential da. Wir müssen einfach sicherstellen, dass es auch zuverlässig ist."
Was das Potential angeht, so scheint Red Bull nun zumindest vorerst eine kleinere Upgrade-Pause einlegen - oder eben einlegen zu müssen. Das lässt sich zumindest zwischen den Zeilen herauslesen. "Das Auto läuft gut und im Sommer kommen ein paar Entwicklungen", sagt Christian Horner. "Und wir müssen noch Gewicht verlieren", erinnert der Teamchef an einen Dauerbrenner vieler Teams zu Beginn der Formel-1-Saison 2022. Das allerdings könnte auch zeitnaher geschehen.
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