"Wir machen keine Fehler. Wir sind acht Mal in Folge Weltmeister geworden." Diese Antwort, die Lewis Hamilton bei den Formel-1-Testfahrten 2022 einem französischen Kollegen gab, bereut der Mercedes-Pilot zwei Monate später. Er selbst, sonst nicht für ein Elefantengedächtnis bekannt, wenn es um Aussagen geht, erinnert sich nach Mercedes' katastrophalem Ergebnis in Imola an besagte Pressekonferenz.
Mercedes ist in der Krise. Auch wenn die Zahlen das nur teilweise belegen. In der Formel-1-Tabelle 2022 belegen die Silberpfeile mit 77 Punkten Rang drei. George Russell fehlen nach vier Rennen 'nur' 37 Punkte auf WM-Leader Charles Leclerc. Allerdings gibt es bei der Sache zwei Haken.
Haken Nummer eins: Der eigene Anspruch. Schon der Zweite ist der erste Verlierer. Platz drei ist für die erfolgsverwöhnten Mercedes nicht einmal ein Trostpreis. Haken Nummer zwei: Der Abstand auf die Spitze ist größer, als es die WM-Tabelle zeigt. Die eigene Zuverlässigkeit und die Unzuverlässigkeit der Konkurrenz retten die Silberpfeile bislang.
Die Performance des F1 W13 gibt hingegen wenig Grund zum Optimismus. Tiefpunkt war am vergangenen Wochenende das Ergebnis im Formel-1-Rennen in Imola: Auf dem Autodromo Enzo e Dino Ferrari biss sich Lewis Hamilton das gesamte Rennen über die Zähne an Pierre Gasly und Rang zwölf aus. Nicht etwa ein unglücklicher Zufall spülte Hamilton in diese Sphären. Im Qualifying fuhr der Brite nur auf Rang 13, im Sprint verschlechtere er sich sogar noch um einen Rang.
Im nasskalten Imola hatte Mercedes Probleme damit, die Reifen auf Temperatur zu bringen. Eine von mehreren Baustellen am F1 W13. Die größte Baustelle ist aber nach wie vor das Hüpfen des Boliden bei höheren Geschwindigkeiten. Auch andere Formel-1-Teams haben 2022 Probleme mit diesem neuen Aerodynamik-Phänomen, keines aber so sehr wie Mercedes.
Mercedes hüpft auch beim Einlenken
Der Ferrari mag etwa genauso stark springen wie der Mercedes, doch der F1-75 legt die unschöne Eigenschaft beim Einlenken ab. Der W13 nimmt das Problem mit in die Kurve, und dort ist es nicht nur unangenehm, sondern kostet vor allem auch Zeit.
Seit vier Rennen kommt Mercedes bei der Suche nach Lösungen auf keinen grünen Zweig. Um das Springen etwas abzumildern, müssen die Ingenieure beim Setup Kompromisse eingehen und eine höhere Bodenfreiheit wählen. Das kostet Abtrieb, weil der Unterboden nicht wie gewünscht funktioniert.
"Wir haben interessante Ideen und Konzepte, die wir ausprobieren und die nächsten Rennen ans Auto bringen", verrät Mercedes Motorsportchef Toto Wolff. Seit Hamiltons Keine-Fehler-Aussage in Barcelona ist technisch immerhin noch eine ganze Menge am Auto verändert worden. Seit dem zweiten Test in Bahrain fährt Mercedes mit einem noch deutlich radikaleren, extrem schmalen Seitenkastenkonzept.
Die Stimmen, die in diesem Konzept die Ursache allen Übels sehen, mehren sich. Bei keinem anderen Auto im Feld ist der Unterboden an der Oberseite so leer. Das ist von den Aerodynamikern so gewünscht, um die Oberseite des Diffusors möglichst gut anzuströmen. Aber möglicherweise gibt es auch unerwünschte Nebeneffekte.
Mercedes: In der Theorie schnell, in der Praxis nicht
Nebeneffekte, die im CFD und im Windkanal so nicht auftreten. "Das Auto ist in der Theorie schnell und gut, aber in der Praxis können wir das nicht umsetzen", bestätigt Wolff Motorsport-Magazin.com. "Wir können das Auto nicht in dem Bereich fahren, wo wir es entwickelt haben."
Mercedes tut sich bislang schwer, das Konzept aufzugeben. Auch wenn selbst bei den Fahrern inzwischen die Zweifel zunehmen. "Das ist eine berechtigte Frage, aber ich bin kein Aerodynamiker. Ich kann nicht sagen, ob das Konzept falsch ist", meint Lewis Hamilton.
Und auch bei Wolff wird die Frage nach einem Konzeptwechsel immer präsenter. "Ich würde nicht sagen, dass es so etwas wie ein falsches Konzept nicht gibt", gesteht er, für den inzwischen ein Konzeptwechsel kein Tabuthema mehr ist. "Wenn es fundamentale Bereiche gibt, die es uns nicht erlauben, unser Potential abzurufen - von dem wir glauben, dass es im Auto ist - dann muss man die Verluste einschränken."
Nur drohen bei einem Konzeptwechsel Wochen und Monate der Entwicklung verloren zu gehen, und können möglicherweise gar nicht weiter genutzt werden. Dabei werden Konzepte nicht nur aufgrund der aktuellen Performance verfolgt, sondern auch aufgrund ihres Entwicklungspotentials. "Gibt es eine neue Basis, von der wir glauben, dass sie mehr Potential hat? Wenn wir das geglaubt hätte, hätten wir es schon vor fünf Monaten getan", gibt Wolff zu bedenken.
Deshalb ist das 'Kein-Seitenkasten-Konzept' bei Mercedes noch nicht tot, so sehr es Wolff und seinen Technikern auch zu denken gibt: "Es ist eine ziemlich knifflige Entscheidung. Wir müssen weiter wissenschaftlich arbeiten und herausfinden, woran es wirklich liegt. Nur dann kannst du sagen, dass du den Schaden begrenzt und dich auf nächstes Jahr konzentrierst. Aber dafür musst du verstehen, was falsch ist, und das tun wir im Moment nicht - noch nicht."
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