Vor dem 15. Rennen der Formel-1-Saison 2021 könnte die Spannung an der Spitze kaum größer sein. Mit nur fünf WM-Punkten Vorsprung auf den amtierenden Weltmeister Lewis Hamilton, aber einer Hypothek aus Monza reist Max Verstappen zum achten Russland Grand Prix seit dem Debüt der F1 in Sotschi 2014. Der Red-Bull-Pilot muss in der Startaufstellung am Sonntag drei Plätze nach hinten. Diese Strafe brummten Verstappen die Stewards des Italien-GP für das Verursachen der Kollision mit Hamilton auf.

Nutzt Red Bull diese schon beeinträchtige Ausgangslage für einen Wechsel der Power Unit im RB16B Verstappens auf Antriebsstrang Nummer vier? Das hätte eine Versetzung ganz an das Ende Startaufstellung zur Folge. Die Notwendigkeit eines solchen strafbaren Wechsels steht fest, seit Honda den durch den Silverstone-Crash beschädigten Motor für nicht mehr zu retten erklärte. Nur den Zeitpunkt ließ Red Bull noch offen. Die Rennvorschau vonMotorsport-Magazin.com zeigt auf, warum der Russland-GP dafür eine gute Gelegenheit sein könnte, aber alles auch von den Wetterprognosen abhängt.

Russland-GP: Max Verstappen reist mit Strafe nach Sotschi

"Wir müssen jetzt einfach damit arbeiten", kommentiert Verstappen vor dem Rennen in Russland die in den Augen des WM-Leaders noch immer unangemessene Strafversetzung. "Die Strafe ist natürlich nicht ideal, aber es ist noch nichts verloren. [...] Wir werden versuchen, das Maximum aus diesem Wochenende zu holen und mit dem Paket zu arbeiten, das wir haben."

Sonderlich große Chancen rechnet sich Red Bull in Russland gegen Mercedes nicht aus. Noch ist Silber respektive Schwarz im Sochi Autodrom ungeschlagen. Sieben Siege in sieben Rennen stehen einem einzigen Podium für Red Bull - im Vorjahr durch Verstappen - gegenüber. "Mercedes hat in Sotschi jedes Rennen seit 2014 gewonnen, also sind sie dieses Wochenende die Favoriten", sagt Sergio Perez. "Sie werden schwer zu schlagen sein."

Red Bull sieht sich im Nachteil: Mercedes-Festung Sotschi

Wie schon in Silverstone und vor Monza spricht Teamchef Christian Horner von einer regelrechten 'Mercedes-Festung'. "Monza und Sotschi habe ich mental als Mercedes-Strecken notiert, es wird also eine Herausforderung", sagte der Brite bereits vor dem Italien-GP und damit noch ohne Kenntnis der Strafe gegen Verstappen.

Diese Last schmälert die Chancen nun zusätzlich. Nutzt Red Bull das also zum ohnehin irgendwann nötigen Motorwechsel und startet so gleich von ganz hinten? In die Karten schauen lassen sich die Bullen vor dem Rennen nicht. Immerhin herrscht aktuell ein Taktieren in beiden Lagern. Auch Mercedes muss im weiteren Saisonverlauf womöglich eine Motorenstrafe für Lewis Hamilton in Kauf nehmen. Eine Power Unit - immerhin die älteste - ist seit dem Defekt im Training in Zandvoort irreparabel verloren.

Verstappen droht Motorenstrafe: Red Bull opportunistisch?

Zuletzt gab Teamchef Toto Wolff allerdings an, womöglich könne Mercedes die Saison auch mit den beiden verbliebenen Antriebssträngen über die Bühne bringen. Einen Ausfall will das Team gleichzeitig allerdings in keinem Fall riskieren.

Die erwartete Stärke der Titelverteidiger in Sotschi lässt einen Wechsel in Russland allerdings unwahrscheinlich wirken. Warum eine der wohl besten Siegchancen der restlichen Saison verschenken? "Die Strecke war im Laufe der Jahre ein gutes Pflaster für uns und beide Fahrer konnten in Sotschi bereits großartige Ergebnisse einfahren", erinnert Wolff an vier Siege Hamiltons und zwei durch Valtteri Bottas.

Valtteri Bottas: Der finnische Russland-Riese

Gerade der Finne ist in Russland eine Macht. In keinem der letzten vier Rennen am Ort seines ersten Formel-1-Siegs (2017) schnitt Bottas schlechter ab als auf Platz zwei. Noch dazu fuhr der Finne nach seiner geklärten Zukunft zuletzt in Monza groß auf. Ähnliches erwartet Wolff nun immer. "Valtteri fährt besser denn je, was er in Monza bewiesen hat. Er wird an jedem Wochenende vollen Einsatz geben", sagt der Mercedes-Leiter. "Jetzt hoffen wir, dass wir unsere Erfolgsserie in Russland fortsetzen können, aber uns ist bewusst, dass dieses Jahr alles anders ist. Deshalb erwarten wir erneut ein intensives Wochenende."

Valtteri Bottas feierte in Russland 2017 seinen ersten F1-Sieg, Foto: Sutton
Valtteri Bottas feierte in Russland 2017 seinen ersten F1-Sieg, Foto: Sutton

Mercedes hat Red Bull also klar auf der Rechnung. Silverstone ist den Weltmeistern eine Lehre gewesen. In dieser 'Festung' fuhr Verstappen immerhin auf Augenhöhe. Ein klarer Vorteil Mercedes' war kaum ersichtlich, das galt schon eher zuletzt in Monza. Doch nun bringt Pirelli in Russland wieder die weichsten Reifen im Sortiment. Die gab es zuletzt in Spielberg - dort dominierte Red Bull nach Belieben. Wie wirkt sich das und das 2021 generell so veränderte Kräfteverhältnis nun in Sotschi aus? Das lässt sich im Vorfeld seriös selbst von den Beteiligten kaum einschätzen, zumal über allem ohnehin das Fragezeichen einer möglichen Strafversetzung Verstappens um mehr als drei Plätze schwebt.

Red Bull setzt auf Windschatten: Trotz Strafe nichts verloren

Bleibt es bei den drei Rängen, ist für Christian Horner allerdings noch nichts verloren - obwohl Sotschi trotz zwei extrem langer Geraden nicht als Mekka des Überholens gilt. Grund dafür sei die in Russland besonders spezielle Startphase. "In Sotschi ist das kein so großes Handicap, weil der Windschatten im Run auf die erste Kurve so stark ist", erklärt Horner in einer Kolumne auf der Website des Teams. Das zeigte sich bereits in der Vergangenheit. 2019 bewies Ferrari, wie sich das mit perfektem Teamplay nutzen lässt. Vor zwei Jahren zog Polesitter Charles Leclerc den von P3 gestarteten Sebastian Vettel zur Ferrari-Doppelführung. Im Vorjahr gelang Mercedes mit Hamilton (Pole) und Bottas (P3) dasselbe - zum Nachteil eines gewissen Verstappen.

Ferrari lieferte 2019 ein Musterbeispiel, wie effektiv der Windschatten am Start in Russland ist, Foto: LAT Images
Ferrari lieferte 2019 ein Musterbeispiel, wie effektiv der Windschatten am Start in Russland ist, Foto: LAT Images

Ein Jahr später rechnet sich Verstappen trotz Strafe noch etwas aus - zumal der Trend mit P2 im Vorjahr (allerdings Zeitstrafen gegen Hamilton zu verdanken) stimmt und Red Bull 2021 generell sehr viel stärker geworden ist. "Wir sind dieses Jahr konkurrenzfähiger und haben auch ein besseres Paket, also wird es interessant, wie konkurrenzfähig wir dieses Jahr dort sein können", sagt Verstappen und ist völlig überzeugt: Überlegen wie in Italien wird Mercedes nicht sein. "Es wird natürlich ganz anders als Monza", sagt Verstappen. "Und es sieht so aus, als würde dieses Wochenende etwas Regen kommen."

Regenwetter in Russland? Entscheidend für taktischen Motorwechsel

Der Wetterbericht prophezeit tatsächlich regnerische Bedingungen am gesamten Wochenende. Am Freitag soll es sich noch um vereinzelte Schauer ab dem Nachmittag handeln, am Samstag sieht es nach aktuellen Prognosen geradezu nach Dauerregen aus, ehe die Regenwahrscheinlichkeit am Sonntag wieder etwas abnehmen soll. Gerade Red Bull wird besonders gespannt die Wettermodelle verfolgen. Regen oder nicht, das wird in die Entscheidung gegen oder für Motorwechsel einfließen. So kann Regen - gerade mit einem Max Verstappen am Volant - das erwartete Defizit gegen Mercedes kaschieren. In diesem Fall wäre eine Strafe alles andere als ideal - zumal ein Start von weit hinten in der Gischt enorme Risiken birgt.

Bleibt es trocken und zeichnet sich im Training ein recht klarer Nachteil gegen Mercedes ab, ist Straf-Opportunismus bei Red Bull sehr viel mehr zu erwarten. Muss Verstappen von ganz hinten losfahren, gibt es allerdings noch immer Chancen zumindest für Schadenbegrenzung - zumindest nach Horners Recherchen. "Ich habe mir die Ergebnisse des Russland-GP angesehen und 2018 ist Max vom letzten zum ersten Platz gefahren, bevor er seinen Boxenstopp gemacht hat", erinnert der Brite. Das Rennen beendete Verstappen so zumindest auf Rang fünf. Warum die Ausgangslage damals so schlecht war? Richtig, wegen einer Motorenstrafe ...

Mittelfeld-Duell: Ferrari braucht Konter gegen McLaren

Hinter Mercedes und Red Bull erwartet die Formel 1 in Russland das 2021 gewohnte Bild. Ferrari und McLaren sind die großen Favoriten im Kampf um die dritte Kraft und AlphaTauris Pierre Gasly ist immer für ein Störfeuer gut. Gerade Ferrari ist trotz eines besseren Heimrennens in Monza als gedacht gefordert, zu kontern. Immerhin verlor die Scuderia durch den sensationellen Doppelsieg McLarens trotz des soliden Resultats von Charles Leclerc (P4) und Carlos Sainz (P6) in der WM-Wertung stolze 25 Zähler an Boden und damit WM-Rang drei. 13,5 Punkte trennen Maranello vor Sotschi von Woking.

Auch in diesem Kampf spielt das Thema Motoren eine spannende Rolle. Bringt Ferrari in Russland endlich das seit Wochen angekündigte Upgrade für das Hybridsystem im Heck des SF21? Gut gebrauchen könnte die Scuderia das in Russland. Auf Leistung kommt es im Sochi Autodrom ganz besonders an. Das spielt ohne Boost den Topspeed-Monstern von Mclaren in die Karten. Zuletzt gab Ferrari an, der Zeitpunkt der Einführung hänge vor allem noch von Homologation und logistischen Fragen ab.

Formel 1 Sotschi live: Startzeiten wie in alten Zeiten

Hinter der Spitze des Mittelfelds wird es auch in Sotschi diffus. Ein genaues Kräfteverhältnis von Aston Martin, Alpine, Alfa Romeo und Williams zu prognostizieren, ist unmöglich. Einzig Haas ganz am Ende des Feldes ist gesetzt. Spannender hier: Macht das Team endlich Nägel mit Köpfen und nutzt das Heimrennen Nikita Mazepins dafür, nicht nur den Russen, sondern auch Mick Schumacher final für 2022 zu bestätigen?

Verfolgen können Formel-1-Fans in Deutschland all das an diesem Wochenende wieder einzig und allein im Pay-TV. Nach dem dritten RTL-Rennen des Jahres in Monza überträgt aus Sotschi wieder einzig und allein Sky. In Österreich zeigt erneut der ORF sämtliche F1-Session live im frei empfangbaren Fernsehen, in der Schweiz sehen Fans Qualifying und Rennen im SRF1. Wichtig: Wegen der Zeitverschiebung finden die Sessions eine Stunde früher als zu den üblichen Europa-Startzeiten statt. So startet das Rennen wie in alten Zeiten um 14 Uhr mitteleuropäischer Zeit.