Der Chaos-Sonntag in Spa-Francorchamps ließ die Formel 1 ratlos zurück. Das zwölfte Saisonrennen war angesichts des schweren Regens ein hoffnungsloser Fall. Am Ende stand ein fragwürdiger Grand Prix über zwei Runden, den so niemand gewollt hatte. Das erzwungene Ergebnis erwies sich für wenige als guter Ausgang eines schlechten Tages. Max Verstappen holte im WM-Kampf auf, Williams freute sich über einen Jackpot in der Gesamtwertung. Für die Fans waren die Geschehnisse eine Farce, bei der FIA und Liberty Media eine schlechte Figur abgaben.

Die Verlierer der Farce von Spa-Francorchamps

Die Zuschauer: Bis in die Abendstunden harrten die Fans rund um den Circuit Spa-Francorchamps am Sonntag aus, in der Hoffnung, doch noch ein Rennen geboten zu bekommen. Am Vormittag hatten Formel 3 und Porsche Supercup planmäßig ihr Programm absolviert. Grund genug, trotz Regen und Wind bei 12 Grad Celsius auf einen Start der Formel 1 zu hoffen. Nach stundenlangem Warten wurden sie Zeuge des kürzesten Grand Prix der Geschichte, der sportlich nicht den geringsten Wert hatte.

Um 18:17 Uhr schickten die Offiziellen die Autos für zwei Runden hinter dem Safety Car auf die Reise, um ein Ergebnis zu erzwingen. Nach der Prozession wurde bis 18:45 Uhr gewartet, um das Rennen endgültig für beendet zu erklären. Die Zuschauer wurden ohne realistische Aussicht auf ein vollwertiges Rennen für knapp vier Stunden hingehalten, um dann durchfroren und durchnässt nach Hause geschickt zu werden. Weltmeister Lewis Hamilton traute sich danach als Einziger, die Entscheidung der F1 auf Kosten des Publikums zu kritisieren.

Die Formel 1 sah in der Ausnahmesituation wieder einmal mehr als ungeschickt aus. Der erste Versuch, das Rennen mit 25 Minuten Verspätung zu starten, war aller Ehren wert. Doch in den darauffolgenden Stunden wurde die Witterung nicht ansatzweise besser, während die vom Reglement festgeschriebene Rennzeit von maximal drei Stunden weiter gnadenlos heruntertickte. Eine Stunde vor Ablauf zu stoppen, um sich in der aussichtslosen Situation noch mehr Zeit zu verschaffen, war sinnlos.

Rennleiter Michael Masi und Formel 1 CEO Stefano Domenicali beteuerten im Nachhinein, dass auch der letzte Versuch ein ernsthafter Anlauf für ein Rennen gewesen sei, doch so richtig glauben konnte das kaum jemand. Red-Bull-Teamchef Christian Horner war als einer der Wenigen der Überzeugung, dass auch der letzte Restart einem Grand Prix dienen sollte. Hamilton hingegen redete nicht um den heißen Brei und prangerte das erzwungene Rennergebnis als rein kommerziellen Akt an. Unter dem Strich hat die Königsklasse ihrer Glaubwürdigkeit mit dem Absolvieren der Mindestdistanz von zwei Runden keinen Gefallen getan.

Alfa Romeo: Einen Grand Prix mit halben Punkten zu werten sollte auf den ersten Blick keine allzu großen Auswirkungen auf die Weltmeisterschaft haben, doch für ein Team war der Ausgang ein Debakel. Bis zum vorletzten Rennen in Ungarn lag Alfa Romeo Sauber in der Konstrukteurswertung noch an achter Stelle. In Budapest verloren die Schweizer ihre Position an Williams, die im Chaosrennen mit George Russell und Nicholas Latifi doppelt punkteten. Den dabei entstandenen Rückstand von sieben WM-Zählern hätte Alfa Romeo im restlichen Saisonverlauf aus eigener Kraft aufholen können.

Nach dem Sonntag in Belgien muss die Truppe allerdings auf ein Wunder hoffen, um Williams noch abzufangen. Durch Russells sensationelles Podest und einen neunten Platz von Latifi verdoppelten die Briten ihren Punktestand. Sauber hingegen ging leer aus. Von 17 Punkten Rückstand als Konsequenz eines Nicht-Rennens war man in Hinwil alles andere als begeistert: "Die Situation hätte angemessener behandelt werden können, indem wir dieses 'Rennen', das wir gesehen haben, gar nicht ausgetragen hätten. Der Ausgang schmerzt uns alle, aber vor allem die Fans dieses Sports."

Die Gewinner des Nicht-Rennens von Spa-Francorchamps

Williams: Ein Blick auf die Gesamtwertung genügt, um den größten Profiteur des Chaos auszumachen. Seit Robert Kubicas Glücksgriff 2019 in Hockenheim war Williams für zwei Jahre nicht mehr in den Punkten gewesen, bis Russell und Latifi auf dem Hungaroring vor der Sommerpause zuschlugen. Wenige Wochen später gleich wieder mit prall gefüllten Taschen abzureisen, ließ Williams über die Zustände in Spa-Francorchamps hinwegsehen.

"Ich glaube, dass es richtig war, weil man das ganze Wochenende hier ist, damit man am Ende ein Ergebnis hat und ich glaube auch, dass das Ergebnis so verdient ist", sagte Teamchef Jost Capito zu Motorsport-Magazin.com. In den vergangenen beiden Jahren belegte das ehemalige Top-Team jeweils den letzten Platz in der Gesamtwertung. Nach dem neuerlichen Big Point im Kampf der Hinterbänkler stehen die Chancen auf Position acht in der Saison 2021 ausgezeichnet.

George Russell: Das Supertalent aus dem Mercedes-Kader wartete 48 Rennen auf seinen ersten WM-Punkte mit Williams. In Ungarn war Russell von seinem achten Platz dermaßen ergriffen, dass er Tränen in den Augen hatte. Dass er 2020 beim Sakhir GP für Mercedes nur durch Pech einen Grand-Prix-Sieg verlor, schien ihn weniger zu verfolgen als die anhaltende Erfolglosigkeit mit Williams. Auf den Befreiungsschlag folgte in Spa-Francorchamps die Kür.

Im verregneten Qualifying stellte Russell eindrucksvoll seine Extraklasse unter Beweis und fuhr hinter Max Verstappen die zweitschnellste Rundenzeit. Startplatz zwei im Williams war eine Sensation und inmitten der heißen Transferphase hätte es keinen besseren Zeitpunkt geben können, um Lewis Hamilton und Valtteri Bottas eine lange Nase zu zeigen. Das erste Podium seiner Karriere war auch ohne Rennen ein wohlverdienter Lohn für eine besondere Leistung, welche die Reputation des 23-Jährigen in neue Höhen schießen lässt.

Max Verstappen & Red Bull: Die Herausforderer von Lewis Hamilton und Mercedes hatten vor der Sommerpause zwei katastrophale Rennen. In Silverstone und Budapest riss die Siegesserie von Red Bull und Max Verstappen nicht nur, sie kehrte sich in eine Pleiteserie um. Fünf Punkte aus zwei Rennen und der Verlust der WM-Führung sorgten für jede Menge Druck zum Start in die zweite Saisonhälfte, doch Verstappen hatte in Spa die richtige Antwort.

Nach der Pole Position konnte er mit halben WM-Punkten nicht den ganz großen Fisch an Land ziehen, doch die halbierte Ausbeute war für ihn immer noch besser als ein drittes Debakel in Folge. "Es ist einfach, zu sagen, dass man das Rennen auch mit der vollen Distanz gewonnen hätte. Es ist aber genauso einfach, bei diesen Bedingungen abzufliegen", so der Niederländer, der in der WM wieder auf drei Punkte an Hamilton herangerückt ist.