In 104 Tagen startet die Formel-1-Saison 2020. Doch die Weichen werden längst vor dem Auftakt in Melbourne gestellt. Eine ganz entscheidende Weiche wird beim Test in Abu Dhabi gestellt. Am Dienstag und Mittwoch nach dem Saisonfinale 2019 steigen viele Stammpiloten auf dem Yas Marina Circuit noch einmal in ihre Cockpits.

Wie in den vergangenen Jahren steht der Reifentest für das kommende Jahr an. Normalerweise geht es 'nur' darum, dass sich die Teams mit den neuen Pneus vertraut machen können. Schließlich müssen sie ihre Autos dafür feintunen und auch schon Reifenwahlen treffen. Diesmal geht es aber um mehr.

Seit Monaten wird um die Formel-1-Reifen für 2020 gestritten. An den im Reglement festgelegten 25 Testtagen entwickelte Pirelli eine neue Generation. Allerdings veränderten sich die Anforderungen, welche die Formel 1 an Pirelli stellte, während der Saison. Der sogenannte Targetletter wurde überarbeitet.

F1 und FIA ändern Reifenziele während der Saison

Deshalb testeten die Italiener recht spät noch neue Konstruktionen, wovon sich eine als sehr vielversprechend erwies. Allerdings wollte Pirelli die Ergebnisse noch auf einer zusätzlichen Strecke mit hohen lateralen Kräften verifizieren. Deshalb wurde kurzerhand ein zusätzlicher nicht im Reglement angedachter, Test mit den Top-Teams eingelegt.

Weil mit diesem zusätzlichen Test längst nicht alle einverstanden waren, brachte Pirelli den finalen 2020er Reifen schon nach Austin, wo ihn im Training alle Teams testen konnten. Doch das sorgte nur für zusätzliche Verwirrung.

Nach dem Austin-Training hagelte es Kritik am neuen Pirelli-Pneus. Viele im Formel-1-Fahrerlager sprachen sich dafür aus, weiterhin mit dem 2019er Reifen zu fahren. Damit war das Chaos perfekt. Der nun stattfindende Test, um sich eigentlich auf die neuen Reifen einzuschießen, ist in diesem Jahr ein Auswahltest. Fährt die Formel 1 2020 mit neuen Reifen oder bleibt alles beim Alten?

Diese Reifensätze gibt es beim Testfinale

Um möglichst gute Vergleichsdaten zu sammeln, bekommt jedes Team 20 Sätze Reifen. Acht davon dürfen sie frei auswählen, zwölf Sätze werden von Pirelli bestimmt. Die Italiener wählten für alle Teams folgende Reifen: Je zwei Sätze der 2019er C3- und C4-Mischung und je zwei Sätze der 2020er C2-, C3-, C4- und C5-Mischung.

Obwohl der Test in Austin viel negatives Feedback einbrachte, geht Pirelli optimistisch in den Stichwahl-Test. In Austin waren nicht nur die Bedingungen schlecht - am Trainingstag lagen die Temperaturen nahe am Gefrierpunkt -, auch die Autos waren nicht auf die neuen Reifen eingestellt.

Dabei geht es nicht nur um das mechanische Setup, sondern auch um die Aerodynamik. Der 2020er Reifen hat eine neue Konstruktion und ein neues Profil. Das hat einen Einfluss auf den sensiblen Diffusor. Einige Teams mussten dafür sogar den Unterboden etwas abschleifen, um die neuen Reifen montieren zu können.

Niedrigere Luftdrücke für 2020er Reifen

In Austin wurden im Rahmen des Rennwochenendes nur die nötigsten Änderungen vorgenommen, in Abu Dhabi werden die Boliden speziell auf die Pneus eingestellt. Dazu gibt es eine weitere Änderung: Pirelli hat den Mindestluftdruck für die neue Generation in Abu Dhabi um 1,5 PSI herabgesetzt. In Austin galt für beide Reifen der gleiche Mindestdruck.

Der 2020er Reifen ist auf höhere Kräfte ausgelegt, ist deshalb bei niedrigeren Drücken widerstandsfähiger als sein Vorgänger. Pirellis Formel-1-Boss Mario Isola appelliert deshalb vor dem Test an die Teams: "Der 2019er Reifen ist ein guter Reifen, man könnte auch weiter mit ihm fahren. Aber 2020 werden die Rundenzeiten schneller, also muss man mit den Drücken weiter rauf."

Das sehen längst nicht alle so. Bei einem Test für die 2020er Reifen mit Red Bull kam es in Silverstone zu einem Reifenschaden, der mit einem heftigen Highspeed-Crash endete. "Der Reifen ist potentiell gefährlich", sagt ein Teamchef und fügt an: "Die Entscheidung will wohlüberlegt sein."

Bei Pirelli hat man sich freilich schon überlegt, welchen Reifen man präferiert. "Ich würde den 2020er Reifen nehmen, auch weil darin schon Ideen und Konzepte für die 2021er Reifen sind", so Isola. "Es wäre aber lustig, wenn sie die 2019er Reifen behalten wollen, nach all der Kritik die es zu Saisonbeginn gab und alle schon einen neuen Reifen forderten..."

Sebastian Vettel und Co. im Einsatz

Wie wichtig der Test ist, zeigt auch das Fahreraufgebot. Im Vorfeld gab es diesbezüglich etwas Verwirrung beim Teamchef-Meeting. Einige dachten, Fahrer mit GP-Erfahrung wären für den Test verpflichtend. Allerdings handelt es sich nicht um einen strengen Pirelli-Test, bei dem auch die Ablaufpläne vorgeschrieben sind. Die Teams dürfen ihre Programme selbst bestimmen, dabei auch Sensoren einsetzen.

Auch wenn die Teams bei den Fahrern freie Wahl haben, setzen die meisten auf ihre Stammpiloten. "Es ist ein wichtiger Test", erklärt Racing Points Otmar Szafnauer. Nur Williams und Toro Rosso haben Testzeit an Paydriver verkauft.

17 von 20 Piloten aus dem Starterfeld 2020 geben sich noch die Ehre, darunter auch der frischgebackene dreifach-Vater Sebastian Vettel, der am Dienstag im Ferrari sitzt. Lewis Hamilton lässt sich entschuldigen: Für ihn wird Mercedes-Junior und Williams-Pilot George Russell im Auto sitzen.

TeamDienstagMittwoch
MercedesValtteri BottasGeorge Russell
FerrariSebastian VettelCharles Leclerc
Red BullMax VerstappenAlexander Albon
McLarenLando NorrisCarlos Sainz
RenaultEsteban OconEsteban Ocon
Toro RossoSean Gelael / Daniil KvyatPierre Gasly
Racing PointSergio PerezLance Stroll
Alfa RomeoKimi RäikkönenAntonio Giovinazzi
HaasRomain GrosjeanPietro Fittipaldi
WilliamsGeorge Russell / Roy NissanyRoy Nissany / Nicholas Latifi

Beide Testtage beginnen um 09:00 Uhr morgens und enden um 18:00 Uhr [06:00-15:00 Uhr deutscher Zeit]. Eine offizielle Mittagspause ist nicht angesetzt. Motorsport-Magazin.com berichtet live aus Abu Dhabi.