Charles Leclerc zeigte 2019 ein beeindruckendes Rookie-Jahr. Der Ferrari-Junior wurde im Sauber seinen Vorschusslorbeeren gerecht. Vor dem Saisonfinale in Abu Dhabi liegt er mit 33 Zählern nur zwei Punkte hinter Romain Grosjean im Haas. Genug, um Kimi Räikkönen 2019 bei Ferrari zu verdrängen. Der junge Monegasse und der Iceman tauschen Cockpit. Fragen zur Ferrari-Zukunft und zu seinem zukünftigen Teamkollegen Sebastian Vettel waren im Interview aber nicht erlaubt. Motorsport-Magazin.com und Leclerc hatten trotzdem jede Menge Gesprächsstoff.

Wenn du dich gut anstellst, wird das unser letztes Interview. Du hast also Druck!
Charles Leclerc: Warum?

Weil Ferrari-Fahrer in der Regel nicht im 1:1 mit schreibenden Medien aus Deutschland sprechen müssen.
Charles Leclerc: Oh, okay.

Ich weiß nicht, ob du dich an unser erstes Interview erinnerst. Letztes Jahr in Abu Dhabi, als du noch F2 fuhrst.
Charles Leclerc: War das nicht schon früher? Nach einem FP1-Einsatz mit Haas vielleicht?

Du scheinst ein gutes Gedächtnis zu haben. Die Medienrunden habe ich jetzt nicht dazugezählt, nur die Interviews.
Charles Leclerc: Dann stimmt es!

In Abu Dhabi war es noch nicht ganz sicher, ob du 2018 für Sauber fahren würdest. Sicher war nur, dass du in deinem Rookie-Jahr in der Formel 1 keine Chance haben würdest, um Siege zu fahren. Damals meintest du, es wäre dasselbe wie bei Alonso mit Minardi. Glaubst du, dass du in dieser Saison etwas Ähnliches wie Alonso damals erreicht hast?
Charles Leclerc: Puuuuh ... ich bin ehrlich gesagt ganz schlecht in Geschichte [lacht]. Ich kann mich nicht wirklich daran erinnern, was die Leute damals von ihm dachten. Aber ich bin mit meiner Saison zufrieden. Ich will sie nicht mit der Saison von irgendjemand anderem vergleichen. Es würde mir ziemlich arrogant erscheinen, wenn ich sage, dass sie ähnlich war wie die von Alonso. Aber ja, ich bin zufrieden, und ich kann auf jeden Fall sagen: Ich habe nie erwartet, dass wir so stark sein würden und dass der Fortschritt im Laufe des Jahres so groß sein würde.

Ohne dich mit jemand anderem im Feld zu vergleichen - hast du das Gefühl, dass du und das Team in dieser Saison etwas Außergewöhnliches erreicht habt?
Charles Leclerc: Ich glaube, es war eine besondere Saison. Wenn wir uns anschauen, wo das Team im letzten Jahr war, und wo wir jetzt sind - das hat einige Leute im Fahrerlager sicher beeindruckt. Die Formel 1 ist ein harter Sport, das Wettbewerbs-Niveau ist sehr hoch. Alle Teams arbeiten auf einem sehr hohen Level. Den Fortschritt zu sehen, den wir über die Saison weg gemacht haben, ist beeindruckend.

Wir haben ein Fahrer-Ranking, einmal von den Usern, und einmal von uns. Da liegst du momentan auf Platz fünf...
Charles Leclerc: Wer sind die vier vor mir?

Charles Leclerc kennt diverse Fahrer-Rankings der Medien, Foto: Sutton
Charles Leclerc kennt diverse Fahrer-Rankings der Medien, Foto: Sutton

Hamilton, Vettel, Verstappen und Räikkönen.
Charles Leclerc: Ja, das habe es gesehen. Ich checke viele Medien [lacht].

Den Platz hast du dir vor allem in den letzten Rennen gesichert. Zu Saisonbeginn lief es noch nicht ganz so gut. Woran lag es?
Charles Leclerc: Ich hatte nur wenig Erfahrung, habe nur wenig getestet. Also musste ich alles während den Rennwochenenden lernen. Das war nicht einfach. Für mich ist das ganz klar der Grund für die Probleme zu Beginn der Saison. Ich wusste nicht genau, was ich vom Auto wollte, und habe den Ingenieuren eine falsche Richtung vorgegeben. Das war schlecht, aber gemeinsam mit den Ingenieuren haben wir endlich den richtigen Weg gefunden. Sobald wir das in Baku im Auto umgesetzt haben, machten wir einen großen Schritt nach vorne.

Es scheint ein Muster in deiner Karriere zu sein. Bei den Formel-2-Tests letztes Jahr warst du alles andere als zuversichtlich, und zu Beginn dieser Formel-1-Saison auch. Du brauchst etwas Zeit, um loszulegen, aber dann legst du so richtig los?
Charles Leclerc: Ich glaube, eine meiner richtigen Stärken ist zu verstehen, was die Probleme sind, und die dann zu verbessern, egal ob es Zeit braucht oder nicht. Natürlich, zu Saisonbeginn hatte ich die drei schlechten Rennen, das fühlte sich nach viel an. Aber dann, rückblickend betrachtet fühlen sich drei Rennen bei einem Auto, das so anders ist, gar nicht nach viel an. Also weiß ich das nicht so wirklich. Wahrscheinlich könnt ihr es von außen besser einschätzen. Von außen ist es klarer, ob es schnell oder zu langsam ist. Aber letztendlich bin ich mit meiner Saison zufrieden.

Was war für dich der größte Unterschied zu den ganzen Nachwuchsserien?
Charles Leclerc: Definitiv die Power und der Abtrieb, das ist sehr unterschiedlich. Es ist wie ein Sprung von zwei, drei Juniorkategorien. Ziemlich groß. Dann die ganzen Systeme in der Formel 1, die du über das Lenkrad kontrollieren kannst. In den kleineren Kategorien kannst du diese Systeme zwar ändern, aber nach einer Session. Du kommst zurück an die Box und redest mit den Ingenieuren. In der Formel 1 musst du alles selbst machen, Kurve für Kurve.

Wusstest du, dass dein Teamkollege Marcus Ericsson ein Karriere-Killer ist? Kobayashi, Nasr, Wehrlein...
Charles Leclerc: [grinst] Das habe ich auch in den Medien ein paar Mal gesehen. Jeder Teamkollege von Marcus ... ja, aber ich glaube solche Geschichten nicht.

Du hattest also keine Angst, dass du nur eine Chance bekommst?
Charles Leclerc: Oh, nein, nie. Nie.

Weil du so selbstbewusst bist? Jeder Rennfahrer denkt doch irgendwie von sich selbst, er sei der schnellste, oder?
Charles Leclerc: Das würde ich nicht sagen. Zumindest nicht in meinem Fall. Ich habe nie darüber nachgedacht, die Fahrer zu einzuordnen und festzulegen, wer der Schnellste ist. Ich glaube ehrlich, dass jeder der beste Fahrer im Feld sein kann. Derjenige, der am besten verstanden hat, wie er sein Potential maximiert, der ist für mich der beste. Das ist für mich das Wichtigste. Sicher, manche Fahrer haben mehr Talent, aber am Ende kann jemand, der hart arbeitet, auch dorthin kommen.

Ich glaube, es geht eher darum, dass man versteht, wie man ans eigene Limit kommt. Das ist besonders wichtig. Daher ist ein Ranking sehr schwierig. Ich glaube, du kannst es für eine Saison machen, aber einen Fahrer in seiner Gesamtheit zu reihen, das ist sehr schwer. Jeder Fahrer kann so gut sein wie jeder andere, wenn er sein Limit findet. Es zählt eben nur, wie lange du auf diesem Niveau fährst. Deshalb konzentriere ich mich nicht wirklich auf die anderen. Ich konzentriere mich einfach auf mich selbst und versuche, das maximale Potential aus mir selbst zu holen.

Wie viel von deinem Potential hast du bereits gezeigt?
Charles Leclerc: Es geht definitiv noch viel mehr. Da ist immer mehr, das du nutzen kannst. Aber für die erste Saison bin ich ziemlich zufrieden, abgesehen von den ersten drei Rennen.

Was war der Schlüssel für dich in dieser Saison?
Charles Leclerc: [überlegt] Wahrscheinlich das Managen eines ganzen Wochenendes, mit FP1, FP2, FP3, dem Quali, Q1, Q2, Q3, und dann dem Rennen. Das ist ganz anders verglichen mit dem, was du von den anderen Kategorien gewohnt bist. Es ist ein sehr langsam aufbauendes Wochenende und es ist sehr wichtig, sich durch alle diese Sessions durchzuarbeiten, damit man zum genau richtigen Zeitpunkt - im Qualifying - ganz oben ist.

Gibt es eine einzelne Szene, an die du dich ganz speziell erinnerst? Einen richtigen Schlüsselmoment?
Charles Leclerc: Wahrscheinlich der Anruf von Maurizio, dass ich im nächsten Jahr Ferrari fahren werde. Das ist etwas, an das ich mich immer erinnern werde.

Und auf der Strecke?
Charles Leclerc: Schwer zu sagen. Aber auf jeden Fall haben mir die Zweikämpfe mit Fernando viel über das Rennfahren beigebracht.

Als Fahrer hast du 2018 viel gelernt. Würdest du sagen, dass du auch als Mensch viel dazugelernt hast? Du scheinst in der Formel 1 für einen Rookie schon ein ordentliches Standing zu haben, beispielsweise als du Kevin Magnussen heftig kritisiert hast.
Charles Leclerc: Vielleicht ist es das Bild, das ich abgebe. Aber das Wichtigste ist glaube ich, dass ich ehrlich zu mir selbst bin. Mit dem, was ich denke. Ich bin lieber so, anstatt Dinge vor den Medien zu sagen, während ich eigentlich etwas anderes denke. So bin ich nicht wirklich. Ich sage einfach, was ich denke. Es wirkt für die Medien manchmal ein bisschen direkt, aber das ist meine Persönlichkeit. Ich bin lieber so.

Gute Stimmung: Sauber-Pilot Charles Leclerc mit Motorsport-Magazin.com-Redakteur Christian Menath, Foto: Sutton
Gute Stimmung: Sauber-Pilot Charles Leclerc mit Motorsport-Magazin.com-Redakteur Christian Menath, Foto: Sutton

Für uns ist das gut!
Charles Leclerc [lacht]

Gibt es irgendeine Schwäche, die du selbst noch an dir siehst?
Charles Leclerc: Natürlich. Du hast immer Schwächen. Um eine zu nennen ... was nehme ich ... ganz klar Erfahrung, da fehlt mir noch was, aber das würde ich keine Schwäche nennen. Aber einfach insgesamt als Makel. Jedes Mal, wenn ich ein Problem habe, dann konzentriere ich mich darauf, um besser zu werden. Es gibt immer etwas, bei dem du besser werden kannst.

Wir haben in der Redaktion nachgedacht. Die einzigen offensichtlichen Fehler, die uns in Erinnerung geblieben sind, waren Dreher im Regen. Ein Regengott bist du also noch nicht?
Charles Leclerc: [lacht] Nein, meiner Meinung nach ist das Fahren im Regen meine Stärke, was seltsam klingt. Nur in der Formel 1 eben noch nicht. Aber ich arbeite sehr hart daran. Es ist ein ganz anderes Gefühl mit der Servolenkung, verglichen zur Formel 2 und GP3. Dort, beziehungsweise in allen Juniorkategorien, ist das Lenkrad direkt mit den Rädern verbunden, es gibt keine Servolenkung, also fühlst du alles. In der Formel 1 ist es anders, und verschiedene Teams verwenden außerdem verschiedene Servolenkungen. Es hängt wirklich vom Team ab. Ehrlich gesagt habe ich im Regen kein volles Vertrauen in die Servolenkung, die wir hier haben. Deshalb habe ich dann die meisten Probleme gehabt - und ich hatte definitiv Probleme. Aber in allen anderen Serien war ich immer stark im Regen. Ich muss einfach weiter arbeiten und das Gefühl in der Formel 1 wiederfinden. Ein paar Kilometer mehr, dann finde ich es sicher wieder.