Der USA GP 2018 war ein episches Formel-1-Rennen. Bis zur vorletzten Runde hatten noch drei Fahrer Chancen auf den Sieg. Kimi Räikkönen auf abgefahrenen Soft-Reifen hatte Max Verstappen auf abgefahrenen Supersofts im Nacken, der wiederum Lewis Hamilton, der mit relativ frischen Soft-Reifen herangenaht war.

Räikkönen war der Langsamste im Trio, Hamilton der Schnellste. Die perfekte Ausgangslage also für ein spannendes Finish. Am Ende entschied Räikkönen das Rennen für sich, die Reihenfolge der Top-3 drehte sich nicht mehr. Doch das lag wohl vor allem daran, dass Hamilton im WM-Kampf keinerlei Risiko eingehen wollte.

Vorsichtiger Hamilton im Verstappen-Duell

Mit etwas mehr Entschlossenheit wäre Hamilton an Verstappen vorbeigegangen - was dann in der letzten Runde passiert wäre, steht auf einem anderen Blatt. "Du hättest mich ruhig noch etwas weiter abdrängen können", sagte sogar Verstappen selbst in Richtung Hamilton. "Bei dir weiß man nie", konterte der.

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Doch Hamilton ärgerte sich nicht über den verlorenen Zweikampf mit Verstappen, in dem er zurücksteckte. Hamilton nahm nach dem enttäuschenden Ergebnis kein Blatt vor den Mund: "Ich bin mir nicht ganz sicher, wie wir zu dieser Strategie gekommen sind."

Hamilton kritisiert Mercedes-Strategie: Zurecht?

Hat die Mercedes-Strategie Hamilton wirklich den Sieg gekostet? Und wie kam Max Verstappen plötzlich dazwischen? Schließlich startete der Red-Bull-Pilot von Platz 18 und profitierte nicht von Safety-Car-Phasen oder dergleichen. Die Motorsport-Magazin.com-Rennanalyse bringt Licht ins Dunkle.

Den ersten Schritt Richtung Sieg machte Räikkönen am Start. Der Ferrari-Pilot beschleunigte Hamilton im Sprint Richtung Kurve eins aus und ließ ihm anschließend keine Chance mehr. Räikkönen hatte einen Traktionsvorteil, weil er als einziger Top-Pilot auf den Ultrasoft-Reifen startete, alle anderen auf den Supersoft-Reifen.

Mercedes am Start im Reifennachteil gegen Räikkönen

"Es war der falsche Reifen für den Start", kritisierte Hamilton nach dem Rennen. "Das haben wir schon vor langer Zeit gesehen, als Kimi in Österreich auf dem weicheren Reifen gestartet ist. Wir wussten, dass es zwischen den Reifen einen großen Unterschied bei der Start-Performance gibt."

Doch einen Fehler kann man Mercedes deshalb nicht unterstellen. Schließlich setzten Vettel und Ricciardo auch auf die Supersofts. Natürlich hat der Ultrasoft auf den ersten Metern mehr Grip, doch dafür hält er nicht so lange. Der Vorteil würde später im Stint kommen.

Hamilton kann Vorteil des Supersoft nicht ausspielen

Doch dazu kam es nicht. Denn als Ricciardo seinen Bullen unplanmäßig stoppte und das Virtuelle Safety Car ausgerufen wurde, wurde Hamilton von seinem Team dazu angehalten, das Gegenteil von dem zu machen, was Räikkönen machen würde. Weil Räikkönen weiterfuhr, kam Hamilton zum Stopp. Wäre Räikkönen reingekommen, wäre Hamilton draußen geblieben. Das ist ein probates Mittel, um am Rennen etwas zu ändern, wenn es auf der Strecke nicht klappt und die Strategien ähnlich sind.

Mit dem Reifenwechsel in Runde elf war klar, dass es nicht Hamiltons einziger Stopp bleiben würde. Der Stopp erwies sich schnell als Glücksgriff: Mit frischen Reifen kam der Brite nur acht Sekunden hinter Räikkönen wieder auf die Strecke. Weil nur Teamkollege Bottas zwischen den beiden lag, verlor er nicht einmal Track-Position - Bottas gab den Platz bereitwillig her.

Hamilton nach Stopp zum Nulltarif zu aggressiv

In Runde 18 war Hamilton bereits wieder im Heck von Räikkönen. Das VSC brachte Hamilton den Stopp fast zum Nulltarif. Aber nur fast: Denn der Brite attackierte sofort, wollte die Lücke sofort zufahren. Genau das nehmen aber die Soft-Reifen besonders übel. Schnell zeigten sich Blistering-Stellen an den Hinterreifen des Silberpfeils.

Vor allem der harte Zweikampf gegen Räikkönen nahm die Reife zusätzlich heran. Mit einer Meisterleistung in Sachen Verteidigung konnte der Finne in Runde 21 noch als Führender zu seinem ersten und letzten Stopp in die Boxengasse einbiegen.

Jetzt hatte Hamilton erstmals das Zepter in der Hand. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass der Soft-Reifen die Anfangsattacke nicht schadlos überstanden hatte. "Der Soft war einfach kein toller Reifen", sagte Max Verstappen, der auf den gelben Pneus ins Rennen gegangen war. Ungewöhnlich früh kam er deshalb fast zeitglich mit Räikkönen zum Stopp.

Dass der Soft-Reifen zum Problem werden würde, war nicht absehbar. Den Teams fehlten die Informationen. Der gesamte Freitag war verregnet, die wertvolle Trocken-Trainingsstunde am Samstagmorgen nutzten die Teams für Longruns auf Ultrasoft und Supersoft. Dazu wurde der Reifendruck von Samstag auf Sonntag noch aus Sicherheitsgründen von Pirelli erhöht. Im Rennen gab es deshalb ungewöhnlich viele Unbekannte.

Kaum Training, neue Drücke: Reifenperformance große Unbekannte

"Bei Lewis ist dann das passiert, was bei Kimi in Monza passierte", erklärte Pirellis Formel-1-Einsatzleiter Mario Isola gegenüber Motorsport-Magazin.com. Die Anfangsattacke führte zu Blistering, das dem Reifen immer weiter zusetzte. In Runde 30 brachen die Rundenzeiten ein. Weil das mit Überrundungen zusammenfiel, war der Zeitverlust noch nicht gleich deutlich sichtbar.

Bis dahin hatte Hamilton seinen Vorsprung auf Räikkönen konstant bei rund 17 Sekunden halten können. Dann aber wurden Hamiltons Rundenzeiten immer langsamer. Von tiefen 1:39er Zeiten rutschte er bis auf hohe 1:41er ab. In sechs Runden schrumpfte Hamiltons Vorsprung auf Räikkönen von 17 auf 9 Sekunden.

In Runde 37 kam der Mercedes-Pilot deshalb zu seinem zweiten Stopp und kam anschließend weit hinter Räikkönen wieder auf die Strecke. Zwölf Sekunden fehlten ihm auf die Spitze.

Verstappen-Bollwerk hilft Räikkönen gegen Hamilton

Durch die langsamen Rundenzeiten gegen Ende des Stints ging auch noch Verstappen vorbei. Der Niederländer fuhr auf seinen Supersoft-Reifen schneller als Räikkönen vorne auf seinen Soft-Pneus. Für Hamilton begann deshalb die doppelte Aufholjagd.

Tatsächlich kam der Brite Verstappen und Räikkönen näher und näher. "Drei Runden vor Rennende ist er an uns dran", funkte Ferrari Richtung Räikkönen. Doch der Finne hatte hinter sich das Abwehrbollwerk Verstappen.

Obwohl Verstappen auf alten Supersoft-Reifen unterwegs war und Hamilton auf vergleichsweisen frischen Softs, tat sich der Mercedes-Pilot schwer, überhaupt in das DRS-Fenster zu kommen. Sein Problem: Um die Lücke zuzufahren, musste er die Softs sofort wieder richtig rannehmen. Der Ausgang ist bekannt: Es reichte nicht mehr für Hamilton.

Mercedes musste ungeliebten Soft fahren

"Ich war etwas überrascht, dass wir am Ende nochmal die Soft-Reifen draufgemacht haben", sagte Hamilton zu Motorsport-Magazin.com. Das Problem: Supersoft-Reifen hatte Mercedes nicht mehr und auch bei den Ultrasofts gab es nur noch gebrauchte Reifen. Dafür hätte der letzte Stint auch etwas zu lang sein können, doch länger konnte man den Stopp ob der abbauenden Soft-Reifen nicht mehr hinauszögern. Also mussten es wieder die ungeliebten Softs werden.

Hamilton war aber nicht nur deshalb sauer auf die Strategie. "Ich hätte genau sagen können, was passieren würde, als wir diese großen Rückstände hatten, die ich immer aufholen musste. Wir hätten zur gleichen oder ähnlichen Zeit wie Räikkönen stoppen sollen. Dann wären wir wahrscheinlich hinter ihnen rausgekommen und hätten auf gleichen Reifen bis zum Ende kämpfen können."

Mercedes frisst Reifen mehr

Doch das muss nicht unbedingt sein. "Die absolute Pace des Autos war stark, aber wir haben unsere Reifen schneller als die anderen aufgebraucht", meint Mercedes Technikchef James Allison. "Dadurch kamen wir über die Renndistanz ins Hintertreffen. Beide Fahrer starteten gut in ihre Stints, fielen dann aber mit ihren abbauenden Reifen wieder ab. Normalerweise bekommen wir das Auto besser hin, aber nach dem verregneten Freitag gingen wir blind in die heutigen Probleme."

Doch einen Vorwurf muss sich Mercedes gefallen lassen: Man hätte Hamilton früher zu seinem zweiten Stopp holen müssen. Die acht Sekunden, die Hamilton in den wenigen Runden vor seinem Stopp verlor, hätten nicht sein müssen. Die Soft-Reifen hätten dann am Ende zwar länger halten müssen, dafür hätte er sie nicht von Anfang an so rannehmen müssen, um die große Lücke zuzufahren.

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