Charles Leclerc fährt 2019 für Ferrari in der Formel 1. Dem Youngster aus Monaco gelingt es damit so früh wie kaum einem zweiten, eines der beiden begehrtesten Cockpits in der Königsklasse zu erobern. Doch weist der 20-Jährige eben auch eine unfassbare Erfolgsbilanz auf ...

2016 gewann Leclerc die GP3 Series, 2017 dominierte er auch die Formel 2. Wie zuvor nur Stoffel Vandoorne. Klarer Meister. Als Rookie. 2018 dann der direkte Aufstieg in die F1. Nach nur drei Rennen Anlauf war der Ferrari-Junior auch im Oberhaus voll angekommen, reihte bei Alfa Romeo Sauber eine Top-Performance an die nächste. Logische Konsequenz: Durchmarsch zu Ferrari, 2019 damit zweitjüngster Scuderia-Fahrer der Geschichte.

Charles Leclerc: So tickt der 2019 neue Ferrari-Fahrer

Doch wie tickt dieser Charles Leclerc überhaupt genau? Wo kommt er her? Wo will er noch hin? Motorsport-Magazin.com traf den Nachwuchsstar Ende 2017 in Abu Dhabi zum großen Exklusiv-Interview, das wir anlässlich seiner nächsten Beförderung nun erneut veröffentlichen. Exklusive Einblicke zu Leclercs Erfolgsgeheimnis, inwiefern er Fernando Alonso nacheifern will, warum ihn Jules Bianchi gleich doppelt weitergebracht hat und in welchem Punkt es für ihn in der Formel 1 sogar leichter wird als je zuvor.

Motorsport-Magazin.com: Zuerst einmal noch herzlichen Glückwunsch zum Titel in der Formel 2.
Charles Leclerc: "Danke."

Kannst du dir irgendwie erklären, warum du diese Saison dermaßen explodiert bist? Letzte Saison war es ja schon beeindruckend, dass du die GP3 als Rookie gewonnen hast. Aber diese Saison schien es, als wärest du auf einem völlig anderen Level gewesen als alle anderen.
Charles Leclerc: "Ich denke, in der GP3 hatte ich ein Auto, das nicht so gut zu meinem Fahrstil gepasst hat. Ich pushe sehr gerne, vor allem am Kurveneingang. Aber diese Autos haben recht wenig Downforce, aber einen großen Motor, sodass du mehr auf den Kurvenausgang als den -eingang achten musst. Du kannst dann einfach nicht so richtig pushen und das hat nicht zu meinem Fahrstil gepasst. Dieses Jahr bin ich wieder im besten Team, wie schon in der GP3 vergangenes Jahr, fühle mich aber viel wohler im Auto. Das Formel-2-Auto passt viel besser zu meinem Fahrstil, du kannst viel mehr pushen. Ein bisschen wie in der Formel 1. Das macht mir mehr Spaß. Deshalb war dieses Jahr besser als vergangenes Jahr."

Wenn du über Fahr-Techniken sprichst am Kurvenausgang und -eingang. Ist das etwas, das du auch in den Daten siehst oder ist das nur dein Gefühl im Auto, spielt sich nur in deinem Kopf ab?
Charles Leclerc: "Es ist einfach der Fahrstil, der besser zu dem Auto passt dieses Jahr. Ich komme auch sehr gut mit dem Team klar, das mir sehr geholfen hat. Sie machen einen tollen Job. Sie haben mir auch sehr viel geholfen, als Fahrer zu wachsen, besonders beim Reifenmanagement, was in der Formel 2 eine ziemlich große Rolle spielt. Aber der größte Aspekt war dieses Jahr, dasss ich mit in dem F2-Auto mit mehr Downforce und einem besseren Motor einfach wohler fühle."

Charles Leclerc: In diesem Moment wusste ich um Titel-Chance

Wann warst du dir sicher, dass das deine Saison wird? Schon bei den Testfahrten vor der Saison? Oder ein bestimmtes Rennwochenende?
Charles Leclerc: "Bei den Testfahrten im Winter hatte ich ehrlich gesagt noch überhaupt keine Vorstellung davon, dass es so gut laufen würde. Es lief positiv bei den Testfahrten, wir haben viel gelernt, schienen aber nie eine richtig gute Performance zu haben. Auf eine Runde waren wir noch allzu schlecht, aber auch nicht richtig gut. Ich wusste aber, dass das Team noch nicht alles reingeworfen hatte, um wirklich die Zeit hinzulegen. Dann stellte sich eben noch die Frage, wie viel wirklich noch im Auto stecken würde - und auch in mir natürlich. Denn im Qualifying gibst du als Fahrer immer noch ein Quäntchen mehr wenn es darum geht, die Zeit zu setzen. Es war also schwer zu wissen, wie viel da noch drin sein würde.

Wir haben nie eine Session ganz oben beendet. Ich habe mir deshalb keine Sorgen gemacht. Aber ich war nicht sicher, wie gut wir sein können wenn es um die Rundenzeit geht. Was das Reifenmanagement anging, hatte ich bei den Testfahrten ziemlich viel zu kämpfen. Auch das war hart. Nach dem ersten Rennen in Barcelona habe ich dann realisiert, dass wir eine Chance haben, die WM zu gewinnen. Das ist eine Strecke, auf der die Reifen stark abbauen. Und darüber hatte ich in den ersten beiden Rennen in Bahrain viel gelernt. Dann habe ich in Barcelona eine sauberes Rennen erwischt und es unter normalen Umständen mit einer sehr guten Pace gewonnen. Von da an wusste ich, dass die Meisterschaft drin war."

Leclerc: Wo die Formel 1 viel einfacher ist als Formel 2

In der Formel 2 sind es ja auch Pirelli-Reifen. Natürlich nicht dieselben wie in der Formel 1, aber der gleiche Hersteller produziert sie auf ähnliche Art und Weise. Wie viel Selbstvertrauen gibt es dir für die Zukunft, dass der Meister des Reifenmanagements hier in der Formel 2 auch eines Tages der Meister der Formel 1 werden kann?
Charles Leclerc: "Ich denke, es ist großartig! All diese Erfahrung zu haben mit den Pirelli ist gut. Zur Formel 1 ist der Unterschied aber schon recht groß. Denn die Rennen sind so lang, dass du auch mehr als einen Stopp einlegen kannst. In Rennen wie Bahrain, wo du Reifenabbau hast, kannst du einfach pushen bis die Reifen abbauen und dann stoppen und einen neuen Reifen aufziehen, denn das ist einfach schneller. Der Abbau ist vielleicht nicht so schwer zu managen wie in der Formel 2. Denn da hast du einen Stopp und darfst dann nichts mehr falsch machen, weil du danach das Rennen so zu Ende fahren musst. Du musst antizipieren wie stark der Reifen abbaut. Wenn du zu langsam bist und das Rennen mit zu viel Reifen beendest, dann hast du vorher viel Zeit verloren. Deshalb ist es echt wichtig, dass du weißt, wie sich der Reifen entwickelt. In der Formel 1 ist das nicht so wichtig."

Denn du kannst nochmal stoppen, was dich retten kann.
Charles Leclerc: "Ganz genau."

Der Verlust von Kumpel Jules Bianchi machte Leclerc charakterlich stärker, Foto: Sutton
Der Verlust von Kumpel Jules Bianchi machte Leclerc charakterlich stärker, Foto: Sutton

Leclerc: Schicksalsschläge haben mich stärker gemacht

Persönlich hast du ein ganz schwieriges Jahr durchgemacht. Du hast einen guten Freund verloren, deinen Vater verloren. Hast du dich dadurch vielleicht als Persönlichkeit weiterentwickelt? Du musst natürlich nicht antworten.
Charles Leclerc: "Nein, ist schon in Ordnung. Es hat mich sehr viel wachsen lassen. Es war eine sehr schwierige Zeit. Erst Jules zu verlieren, das war sehr hart. Dann noch meinen Vater. Das war auch extrem hart. Aber es hat mich stärker gemacht, denke ich. Auch mental, was sehr wichtig ist auch für mein Naturell. Ich schaue jetzt auf den Motorsport etwas anders, weiß jetzt, dass es im Leben wichtigere Dinge gibt als nur Motorsport. Das nimmt viel Druck raus. Das ist gut. Natürlich wäre es mir viel lieber, wenn die beiden noch bei mir wären. Aber auf der einen Seite, auf der professionellen Seite, hat mich das mental wachsen lassen und mir geholfen dieses Jahr die Saison zu gewinnen."

Kannst du uns etwas über deinen Hintergrund verraten? Wir wissen ja, dass dein Vater schon Rennfahrer war, du ein guter Freund von Jules warst. Aber wie bist du da in Monaco aufgewachsen? Ich habe gehört, dass du die Schule gehasst hast. Wie lang bist du denn hingegangen?
Charles Leclerc: "Mit viereinhalb Jahren habe ich bereits angefangen Kart zu fahren - auf der Strecke von Jules Vater. Da habe ich mich sofort in das Kartfahren verliebt. Die Schule ... wo hast du das gehört, dass ich sie nicht mochte?"

In einem Interview.
Charles Leclerc: "Ich denke, dass nicht gerade viele Leute die Schule mögen. Aber so sehr habe ich sie gar nicht gehasst. Es war natürlich kein Vergnügen, jeden Morgen in die Schule zu gehen. Aber ich hatte da ja Freunde. Ich bin also mehr wegen meiner Freunde hingegangen, nicht um zu lernen. Ich war aber nicht so schlecht und bin bis zum Abitur da geblieben, habe auch abgeschlossen. Danach wollte ich nicht zur Universität, denn ich war in der Formel 3, das war mit Rennkalender stressig genug. Es wäre schwer gewesen, dass beides zu kombinieren. Außerdem lief es ziemlich gut, sodass wir uns entschieden haben, uns auf den Rennsport zu konzentrieren. Aber es war schon eine harte Entscheidung - wie bei jedem Rennfahrer. Es ist immer schwierig, denn es hat große Auswirkungen wenn du die falsche Wahl triffst."

Charles Leclercs steiniger Weg nach oben

Ja, Motorsport ist außerdem sehr teuer. Jetzt sowieso, aber auch schon zu Beginn deiner Karriere mit diesen unfassbar teuren Autos. Wie hast du es am Anfang finanziert?
Charles Leclerc: "Mein Vater hat die ersten beiden Jahre finanziert, was sehr teuer war. Ich war fünf, sechs, sieben Jahre alt. Aber alle Rennen waren in Frankreich, waren 100 Kilometer von zuhause entfernt. Da konntest du mit dem Budget schon klarkommen. Nach diesen beiden Jahren hat sich mein Vater sehr bemüht, Sponsoren zu finden und wir haben ein paar Sponsoren gefunden, die uns bis 2010 geholfen haben. So konnten wir überleben. Die Sponsoren haben meine Rennen finanziert, die bis 2010 zum größten Teil weiter in Frankreich waren. 2011 wollten wir dann internationaler werden, aber da werden die Budgets einfach irrsinnig. Das ist so teuer ... Ende 2010 stand Jules unserer Familie aber schon sehr nahe. Er wusste natürlich, dass ich Ende 2010 aufgehört hätte wenn ich keine großen Veränderungen für meine Karriere bekommen hätte. Er wurde von Nicolas (Todt, Anm. d. Redaktion) gemanagt. Also hat er gesagt 'Hey Nicolas, ich habe da einen sehr guten Freund, aber seine Racing-Karriere könnte dieses Jahr enden. Schau' dir doch mal seine Ergebnisse an und wenn du interessiert bist, dann nimm' ihn'."

Jules Bianchi half Leclerc in einem entscheidenden Karriere-Abschnitt, Foto: Sutton
Jules Bianchi half Leclerc in einem entscheidenden Karriere-Abschnitt, Foto: Sutton

Leclerc: Kumpel Jules Bianchi hat meine Karriere gerettet

Und dann hast du dieses wichtige Kartrennen in Monaco gewonnen ...
Charles Leclerc: "Ja, in Monaco. Das war sehr wichtig, denn Nicolas hat es ganz genau verfolgt nachdem Jules ihm meine Geschichte erzählt hat. Nach 2010 hat er sich dann um mich gekümmert und zum Glück muss ich jetzt nichts mehr bezahlen."

Du hast gesagt, dass Rennfahren im Leben nicht alles ist. Aber was ist Racing für dich? Was genau kitzelt dich so daran?
Charles Leclerc: "Es ist einfach etwas, das mir Spaß macht. Für mich ist es das Beste, was du in deiner Freizeit machen kannst: Rennen fahren! Ich bin so happy, das als Job machen zu dürfen. Ich nehme es mehr als Fun denn als Arbeit. Denn dann müsstest du alles sehr ernst nehmen und viel arbeiten sobald du an der Strecke bist. Auch in der Formel 2. In der Formel 1 sind alle Fahrer großartig und in der Formel 1 sind zumindest die meisten sehr gut. Ich denke, Talent ist etwas, woran du wirklich arbeiten musst wenn du in den Top-5 sein willst. Aber ich liebe diesen Wettbewerb, ich liebe es zu fahren und das zu tun, was ich mache. Das gibt mir viel."

Aber du bist nicht so der Technik-Freak, der all diese Teile an den Autos liebt? Die Motoren ...
Charles Leclerc: "Ich mag es sehr! Ich will alles darüber wissen, alles verstehen. Natürlich ist es sehr komplex und von der Formel 2 zur Formel 1 wird es noch viel mehr. Da wird der Unterschied immer größer, in der Formel 1 ist einfach noch einmal so viel mehr Technologie. Das ist fast eine andere Welt. Als ich die ersten Trainings bestritten habe war es sehr schwierig für mich, alles am Auto zu verstehen - noch immer. Ich versuche, damit vertraut zu werden. Aber das braucht etwas Zeit. Ich habe aber schon in der Formel 2 immer nach allen Informationen über das Auto gefragt."

Leclerc: Alonso hat auch bei Minardi angefangen …

Du wirst nicht sofort um die gleichen Plätze fahren wie gerade wenn du in die F1 kommst. Das ist für viele Nachwuchsfahrer oft schwierig. Du hast bewiesen, dass du einer der Besten bist, hast immer gewonnen und um die Meisterschaft gekämpft. Hast du dir darüber schon Gedanken gemacht?
Charles Leclerc: "Ja. Es hängt dann davon ab, in welchem Team du bist. Aber natürlich: Einige Teams können nicht um den Sieg kämpfen, was etwas schade ist. Aber seit einigen Jahren versucht die Formel 1 jetzt, die Lücke so klein wie möglich zu bekommen. Das ist sehr gut."

Aber es scheint gerade nicht wirklich zu funktionieren ...
Charles Leclerc: "Gerade nicht, ja. Dieses Jahr ist es aber eigentlich recht gut, finde ich. Klar, an der Spitze hast du Mercedes, Ferrari und jetzt auch noch Red Bull, die mitmischen. Das ist klasse. Ich bin natürlich noch nicht in so einer Position. Wenn ich eines Tages die Gelegenheit bekomme, in der Formel 1 zu fahren, dann werde ich so viel wie möglich lernen müssen. Wenn ich in einem Team bin, das am Ende des Feldes kämpft, dann ist es eben so. Alle Fahrer haben irgendwo da angefangen. Alonso hat bei Minardi begonnen und hat dann die Chance bekommen. Ich glaube daran, dass ich die Chance bekommen kann, in einem Top-Team zu fahren und um den Sieg zu kämpfen - wenn ich mich beweise. Wo auch immer ich dann bin, sobald ich mal die Gelegenheit bekomme, in die F1 zu kommen."

Was war bisher deine unglaublichste Erfahrung in der Formel 1? Du hast jetzt ja schon ein paar gesammelt.
Charles Leclerc: "Den Ferrari in Budapest zu fahren und den Tag als Erster abzuschließen war vielleicht die beste von allen. "