Seine Würze zog der Australien GP vor allem aus der Erkenntnis, dass Mercedes eine Niederlage einstecken musste - die erste zum Saisonauftakt seit Einführung der Hybridmotoren - und aus dem Hype um Sebastian Vettel. Dass der Sieg durch strategische Fehler bei Mercedes zustande kam, ist dabei wichtig, aber im weiteren Saisonverlauf nebensächlich, zu stark war Ferrari. Doch was in dem ganzen Trubel ziemlich unterging, war das Fehlen von Überholmanövern.

Lewis Hamilton wurde dabei zum Paradebeispiel, weil er keinen Weg an Max Verstappen vorbeifand und über Funk fast verzweifelte. "Es ist unmöglich, an ihm vorbeizukommen", sagte Hamilton zu seiner Box. Nach dem Rennen wurde er dann noch deutlicher. "Die Autos sind fundamental anders, als ich es bisher in der Formel 1 erlebt habe. Aber es ist jetzt wahrscheinlich schlechter als je zuvor", polterte er. Melbourne ist dabei traditionell eine Strecke, auf der wenig überholt wird. Doch der Abfall gegenüber dem Vorjahr ist enorm.

2016 gab es im Laufe des Rennens 37 Überholmanöver, am Sonntag gerade einmal fünf. Zwei davon fanden sogar in derselben Sekunde statt, als Esteban Ocon und Nico Hülkenberg an Fernando Alonso vorbeigingen. Auf den kommenden Strecken sollte das DRS wieder eine größere Rolle spielen. Hamilton glaubt aber, dass der Australien GP eine Blaupause für den Rest der Saison sein wird.

Lewis Hamilton kam nicht an Max Verstappen vorbei, Foto: Sutton
Lewis Hamilton kam nicht an Max Verstappen vorbei, Foto: Sutton

Doppelt so viel Pace-Differenz wie 2016

"Das wird auch auf jeden Fall nicht besser, das bleibt so für den Rest der Saison", ist er überzeugt. Der dreimalige Champion liefert nützliches Zahlenwerk gleich mit. "Wir fahren viel schneller durch die Kurven. Letztes Jahr brauchte man ungefähr eine Sekunde Vorsprung auf den Vordermann. Das änderte sich von Strecke zu Strecke, manchmal waren es auch 1,5 oder zwei im Delta, um vorbeizukommen", so Hamilton. "Jetzt ist es mehr als zuvor. Wenn es letztes Jahr eine Sekunde war, sind es dieses Jahr zwei. So geht es die ganze Saison weiter", ist er überzeugt.

Heißt: Hamilton glaubt, dass der Vorteil der reinen Pace gegenüber dem Vorjahr also etwa doppelt so groß sein muss, um ein Überholmanöver setzen zu können. Hier kommen die Reifen ins Spiel. Im vergangenen Jahr betrug der Unterschied zwischen alten und neuen Reifen teilweise mehrere Sekunden, Überholmanöver gelangen nicht immer, aber oft. Pirelli hat seine Pneus für 2017 jedoch überarbeitet und widerstandsfähiger gemacht. Der Verschleiß ist geringer, Kimi Räikkönen fuhr seine schnellste Rennrunde sogar kurz vor Fallen der Zielflagge, lange nach seinem Boxenstopp. Der Faktor Reifen ist also kleiner geworden.

Reglement bringt Abtrieb - und kostet Abtrieb

Befürchtungen, dass die neuen Regeln für das Überholen einen großen Nachteil mit sich bringen könnten, gab es vor der Saison reichlich. Die Autos sind aerodynamisch ausgereifter, damit aber auch anfälliger. Die Frontflügel sind noch detaillierter konzipiert. Doch wenn es darum geht, einem anderen Fahrer möglichst nahe zu folgen, sorgt die verwirbelte Luft, genannt 'dirty air', zu einem Abriss der Strömung. Das Auto verliert Abtrieb und damit Grip. Ein großer Teil des Abtriebs wird dabei genau über den Frontflügel generiert.

Die Autos sind breiter und produzieren mehr Abtrieb, Foto: Ferrari
Die Autos sind breiter und produzieren mehr Abtrieb, Foto: Ferrari

"Selbst in den vergangenen Jahren war es schon schwer, wenn man innerhalb von einer bis 1,5 Sekunden am Vordermann dran war aufgrund der Turbulenzen", sagte Valtteri Bottas. Nun sei es schon früher spürbar. "Die Autos sind breiter, es ist mehr Grip vorhanden, der Effekt ist dadurch größer geworden. Nun bemerkt man es bereits bei zwei oder gar schon 2,5 Sekunden, weil man diesen starken Effekt des Fahrzeuges davor spürt. In den Kurven kann man deshalb schlechter folgen", so der Finne.

Zwar produzieren die Autos durch ihre größere Breite mehr Windschatten auf der Geraden. "Aber wenn man in den Kurven nicht folgen kann, ist es schwer, einen Windschatten zu bekommen", merkt Bottas an.

Wie wichtig sind Überholmanöver für die Formel 1?

Doch wie dringend braucht die Formel 1 überhaupt Überholmanöver? Die Intention der neuen Regeln lag darin, die Autos insgesamt schneller zu machen, den Faktor Fahrer wieder in den Mittelpunkt zu rücken und die Anforderungen zu erhöhen.

In der Historie der Formel 1 seien Überholmanöver nie die Definition des Sports gewesen, meint FIA-Präsident Jean Todt. "Überholen war im Motorsport immer ein Problem", merk der Franzose an. "Ich erinnere mich an Rennen vor 20 oder 30 Jahren, als ein Auto mit frischen Reifen und einem Vorteil von drei oder vier Sekunden nicht überholen konnte, weil es so schwierig war", blickt Todt zurück.

Dass es in diesem Jahr also schwerer ist, streitet Todt gar nicht ab. "Natürlich können wir uns das ausrechnen. Aber wir haben versucht, Wege zu finden, um das Überholen einfacher zu machen. Technologien wie DRS gehören dazu", so Todt. Das Klappflügel-System ist jedoch höchst umstritten vor allem bei den Fans, da die Überholmanöver somit an Natürlichkeit verlieren und künstlich daherkommen. Todt meint, dass man gewisse Opfer auch bringen müsse. "Die neuen Regeln haben das Überholen vielleicht schwieriger gemacht. Aber vielleicht war das der Preis, den wir bezahlen mussten, um breitere Autos mit mehr Aerodynamik zu bekommen."

Überholen war auch früher eine Kunst, Foto: Sutton
Überholen war auch früher eine Kunst, Foto: Sutton

Und das Rennen als solches hat auch nicht nur schlechte Kritiken ausgelöst. "Das Rennen war gut, man kann ganz klar einen positiven Trend sehen", meinte Red-Bull-Berater Dr. Helmut Marko.

Und auch Christian Danner fand Lob für das erste Rennen der Saison. "Es hat mir ausgesprochen gut gefallen, weil ich mich als Kommentator wieder auf die Dinge besinnen konnte, auf die es ankommt: Was macht der Kerl da im Cockpit eigentlich?", so Danner im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. "Das ist nach wie vor das Tollste, das es gibt. Ja, Undercuts, Strategien und nachlassende Reifen sind interessante Themen, aber jetzt konnten die Fahrer bis zum Schluss hart fahren - und das gefällt mir eben noch besser", so Danner.

Was ist also wichtiger in der Formel 1: Rennsport, der die Fahrer an die Grenzen bringt und zu Lasten der Überholmanöver geht? Oder doch eher die Zweikämpfe mit häufigen Positionswechseln? Stimmt ab in unserer Umfrage und schreibt uns eure Meinung in den Kommentaren!