Sie haben die Formel 1 letztes Jahr ziemlich heftig kritisiert, dass sie ihnen so nicht gefällt. Die Pole-Zeit von Lewis Hamilton in Bahrain war die absolut schnellste Runde auf der Strecke. Bleiben Sie bei ihrer Kritik an der Formel 1?
Gerhard Berger: Ich sehe das ganz anders. Ich glaube nicht, dass die Rundenzeit das ist, was die Formel 1 spektakulär macht oder nicht so spektakulär macht. Nehmen wir ein Motorradrennen. Ein Motorradrennen ist das spektakulärste, was es gibt. Die Rundenzeit ist 20 oder 25 Sekunden langsamer, aber du siehst mit dem bloßen Auge nicht die Rundenzeit. Du siehst, ob das Gerät, das dort beherrscht wird, beherrschbar ist oder nicht. Du siehst, ob man ein Genie sein muss, um so etwas zu beherrschen. Beim Motorrad sieht man das. Man hat 270 PS auf 150 Kilogramm. Da hat man ein Kräfte-Grip-Verhältnis, bei dem jeder, der zusieht sagt: 'Boah, das könnte ich nicht.' Das ist das, was in der Formel 1 fehlt.

Also gefallen Ihnen die für 2017 geplanten Regeländerungen nicht?
Gerhard Berger: Wenn die Rundenzeit zwar schneller wird, man aber sagt, man generiert noch mehr Abtrieb - so wie der vorgeschlagene Weg ja jetzt ist -, dann ist alles, was sich verändert die Halsmuskulatur des Fahrers. Aber: Spektakulärer wird es damit überhaupt nicht. Es geht darum, das Kräfte-Abtriebs-Verhältnis - oder besser das Kräfte-Grip-Verhältnis - so zu verändern, dass die Fahrer am Lenkrad das Ding beherrschen müssen. Das sieht dann auch derjenige, der an der Strecke oder vor dem Fernseher sitzt.

Aber das Leistungs-Grip-Verhältnis wurde doch mit dem Regelumbruch 2014 schon deutlich besser: Viel weniger Abtrieb und gleichzeitig noch viel mehr Drehmoment...
Gerhard Berger: Ja, aber das ist alles nur Feintuning. Gehen wir her und schauen uns an, was ein Motorrad mit 270 PS mit zwei ganz schmalen Reifen für ein Grip-Level hat. Das ist ein riesen, riesen Unterschied. Oder machen wir einen anderen Vergleich: Regenrennen sind die spektakulärsten Rennen. Bei Regenrennen ist die Kraft dieselbe, aber ich habe keinen Grip. Das sind spektakuläre Rennen und man sieht: Wow, die beherrschen die Dinger. Anderes Beispiel: Nehmen wir die 80er Jahre. Wir hatten 1400 PS und wahrscheinlich die Hälfte an Abtrieb von den Autos heute. Das waren Dinger, die hast du kaum beherrscht. Da jetzt 50 PS mehr, das macht keinen Unterschied. Man muss das ganze Verhältnis richtig verändern.

Aber kann man das überhaupt mit damals vergleichen? Die Aerodynamiker sind heute so schlau und wissen, was sie machen müssen, damit der Abtrieb unter allen Bedingungen konstant bleibt. Da werden Wirbel erzeugt, die um eingeschlagene Räder rumgehen und dann hinten wieder auf etwas treffen. Damals war der Abtrieb - neben der absoluten Menge - doch auch deutlich weniger berechenbar, oder?
Gerhard Berger: Unberechenbar würde ich nicht sagen. Der Unterschied zu unserer Zeit ist: Damals ist alles über die Flügel gekommen. Dadurch, dass es die Windkanäle noch nicht in dieser Form gegeben hat, haben wir auch nicht die ganzen Unterböden gehabt. Der Abtrieb ist nicht durch den Unterboden, sondern in erster Linie durch die großen Flügel erzeugt worden. Was wiederum dazu geführt hat, dass man relativ viel Luft vor sich hergeschoben hat und gute Windschatten gegeben hat. Man war zwar aerodynamisch sehr ineffizient, aber hat gute Windschatten zum Überholen gegeben. Dann sind diese Windkanäle und diese clevere Aerodynamik über die Unterböden gekommen. Dadurch sind die Windschatten verloren gegangen, weil viel mehr Abtrieb unter dem Auto erzeugt wurde. Da hat sich auch das Kräfteverhältnis ganz gravierend verändert: Das war der Beginn einer Ära, in der man viele Jahre nur über die Aerodynamik Rennen hat gewinnen können.

Berger: Mehr Flügel, weniger Unterboden

Um auf die aktuellen Probleme zurückzukommen: Heißt das, Sie würden die Aerodynamik stärker beschränken?
Gerhard Berger: Nein, das wäre total falsch. Ich würde das Verhältnis ändern. Ich glaube, wenn man heute mal ausrechnen würde: Was hatten wir denn damals auf einer durchschnittlichen Strecke für einen Gesamtabtrieb bei 200 Stundenkilometer und was haben wir heute? Dann schauen wir uns an, wie viel Leistung wir damals hatten und setzen es dann in ein Verhältnis. Dann kann es durchaus sein, dass man 2000 PS braucht, damit das stimmt. Ich glaube, es ist eine Mischung, die man ändern muss. Ich würde die Aerodynamik unter dem Auto ganz stark runterdrehen, aber ich würde wieder über die Flügel zulegen, um mehr Windschatten zu erzeugen, damit Autos, die hinterherfahren, auch wieder mehr Möglichkeit zum Überholen haben - ohne DRS und was auch immer.

Gerhard Berger im Ferrari mit dicken Schlappen und großem Flügel, Foto: Sutton
Gerhard Berger im Ferrari mit dicken Schlappen und großem Flügel, Foto: Sutton

Sie sind ja recht eng mit Red Bull verbunden, sie haben sich lange mit Helmut Marko ausgetauscht. Der sieht das anders, der will deutlich mehr Abtrieb...
Gerhard Berger: Die Teams zu befragen, ist grundsätzlich schon ein Fehler. Helmut Marko wird eine andere Meinung haben als Force India. Das ist doch logisch. Der eine hat drei Windkanäle, der andere gar keinen. Dafür hat Force India einen Mercedes-Motor mit viel mehr Leistung und der andere nicht. In diesen Themen kann es nur so gehen, dass jemand an der Spitze das gesamte im Sinne des Sports überblickt und versucht, das fair auszulegen. Dann müssen sich die Teams an diese Umstände halten und gewöhnen und bestenfalls ihre Hausaufgaben machen.

Sie kennen sowohl die Sicht der kleinen Teams sehr gut, als auch die der großen. Für wen ist denn ein Regelumbruch besser?
Gerhard Berger: Es verändert sich nicht viel. Wenn ein großes Team einmal alles beisammen hat, dann tun sich kleine Teams sehr schwer, den Rückstand aufzuholen. Die Vorwärtsentwicklung findet bei großen Teams viel schneller statt. Bei Reglement-Änderungen kann auch ein cleverer Ingenieur von einem kleinen Team mal zuschlagen, ein anderes Design wählen und andere Voraussetzungen schaffen. Aber in der Regel dauert es dann ein halbes Jahr, in dem die großen Teams das kopieren, verändern oder anpassen. Ich glaube nicht, dass sich dadurch am Kräfteverhältnis etwas ändert, wenn dann nur kurzfristig.

Wie sieht es bei den Ressourcen aus? Haben die kleinen Teams mehr mit einer Regeländerug zu kämpfen?
Gerhard Berger: Wir haben momentan eine Situation, in der die Regeländerungen meistens nicht zum Vorteil sind. Meistens werden sie noch komplizierter, noch schwieriger zu kontrollieren, noch weniger verständlich und die Show verbessert sich gleich gar nicht. Deshalb bin ich da vorsichtig bei Reglement-Änderungen. Man muss schauen, was sie genau auf dem Programm haben, aber ich habe bislang noch nichts gesehen, was mich total überzeugt hätte.

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