Dramatischer als an diesem 26. Oktober 1997 hätte die Formel 1 Saison nicht enden können. An diesem Tag kommt es im spanischen Jerez de la Frontera zum skandalträchtigen Showdown zwischen Michael Schumacher und Jacques Villeneuve. Die Szenen des Großen Preises von Europa haben sich wohl in das Gehirn jedes Motorsportfans eingebrannt. Motorsport-Magazin.com traf sich zwanzig Jahre später mit dem Sieger des Duells: Jacques Villeneuve.

Auch zwei Jahrzehnte später ist der exzentrische Kanadier eine besondere Erscheinung im Fahrerlager. Damals wie heute nimmt der Sohn des legendären Gilles Villeneuve kein Blatt vor den Mund und polarisiert mit seinen Meinungen. "Das ganze Wochenende war so unfassbar", erinnert sich Villeneuve zurück. "Es lag so viel Energie in der Luft. Ich erinnere mich noch an fast alles. Den Start, alle Runden, die Fahrt zurück an die Box und die Gesichtsausdrücke der Leute. Es ist noch so präsent, nichts ist verblasst. Es ist, als wäre es gestern gewesen. Es hat sich eingebrannt. Auch der ganze Abend ist noch da in meiner Erinnerung, die Party, alles. Das war so ein extremer Moment!"

Es war kein besonders langer Weg in der Formel 1 bis zu seinem größten Trium ph. Erst ein Jahr zuvor kam Villeneuve als amtierender IndyCar-Champion als Rookie in die Königsklasse des Motorsports. Sofort mit Top-Material ausgerüstet, holte sich der damals 26-Jährige gleich bei seinem ersten Rennen die Pole Position. Villeneuve hätte den anschließenden Grand Prix in Melbourne auch gewonnen, hätte die Technik ihm nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht. Als Vizeweltmeister ging Villeneuve in seine zweite Saison. Nachdem Weltmeister Damon Hill Williams verlassen musste, bekam er mit Heinz-Harald Frentzen einen neuen Teamkollegen.

Erneut mit Werksunterstützung von Motorenpartner Renault unterwegs, ging Williams als Top-Favorit in die neue Saison. Die ersten Testfahrten bestätigen die Favoritenrolle. "Das Auto war sofort aus der Box schnell. Die neue Gewichtsverteilung ist super, damit konnte ich etwas rutschen, ohne Probleme zu bekommen", sagte Villeneuve nach seiner ersten Ausfahrt. Beim härtesten Konkurrenten sah es weniger rosig aus: Ferrari hatte zunächst noch größere Probleme mit der Zuverlässigkeit des Motors. Zudem beklagte Schumacher Untersteuern, das ihm die ganze Saison lang Probleme bereiten sollte.

Villeneuve: Das waren die Schlüsselmomente im Schumacher-Duell

"Es gab ein paar Schlüsselmomente in dieser Saison", erinnert sich Villeneuve. Den ersten dieser Schlüsselmomente gab es gleich beim Saisonauftakt in Melbourne. Gleich in der ersten Kurve der Saison erwischte Schumachers Teamkollege Eddie Irvine Johnny Herbert und Jacques Villeneuve und beendete ihre Rennen. "Ich war zwei Sekunden pro Runde schneller als alle anderen, deshalb war es so hart", weiß Villeneuve noch genau. Mit einem Vorsprung von sagenhaften 1,8 Sekunden hatte er vor Teamkollege Frentzen die Pole geholt, Schumacher auf Platz drei war bereits 2,1 Sekunden langsamer. "Das waren weggeworfene Punkte." Immerhin konnte Ex-Williams-Pilot David Coulthard mit seinem ersten Sieg für McLaren dafür sorgen, dass Schumacher nur Platz zwei blieb. Entscheidende Punkte für die Weltmeisterschaft, wie sich später herausstellen sollte.

Doch schon beim zweiten Rennen der Saison in Brasilien holte sich Villeneuve zum ersten Mal die WM-Führung. In einem der wenigen Duelle auf der Strecke überholte er Schumacher, der beim Start die Führung übernommen, aber mit seinem Ferrari zu kämpfen hatte und am Ende nur Fünfter wurde. Beim dritten WM-Lauf in Argentinien lief es noch besser für Villeneuve: Sieg in Buenos Aires bei gleichzeitigem Ausfall von Schumacher, der mit seinem späteren Teamkollegen Rubens Barrichello kollidierte.

In Imola drehte sich das Schicksal, eine wahre Pechsträhne begann: in Führung liegend bekam Villeneuve Probleme mit der Schaltung, steckte im dritten Gang fest. Auch ein Lenkradwechsel konnte das Aus nicht verhindern. Teamkollege Frentzen sprang ein und nahm Schumacher die volle Punktezahl weg. In Monaco zeigte Schumacher einmal mehr, warum er als Regengott in die Geschichtsbücher eingegangen ist: trotz eines kleines Ausrutschers siegte der Kerpener mit fast einer Minute Vorsprung, während sich Williams bei den Reifen vergriff und Villeneuve später nach einem kleinen Mauerkontakt aufgeben musste.

Villeneuve: Und dann kam die Wall of Champions

Nach einem kleinen Zwischenhoch in Spanien und der wiedereroberten WM-Führung dann der nächste Tiefpunkt. "Kanada war auch so ein Schlüsselmoment: ich bin auf dem zweiten Platz herumgefahren und plötzlich begann ich mit der Tradition der Wall of Champions. Das war vielleicht der härteste Moment in dieser Saison", erinnert sich Villeneuve. Und ausgerechnet Erzrivale Michael Schumacher holte sich den Sieg und die WM-Führung vor Villeneuves Heimpublikum zurück. Kurz vor dem Kanada GP musste Villeneuve auch noch zum Rapport nach Paris.

FIA-Präsident Max Mosley sprach eine Verwarnung aus, weil der unbeugsame Kanadier die für 1998 geplanten Regeländerungen in den Medien heftig kritisiert hatte. Nur zwei Wochen später baute Schumacher seine Führung beim Großen Preis von Frankreich mit einem Sieg weiter aus. Und auch beim Großbritannien GP sah es so aus, als würde Villeneuve die WM weiter entgleiten. Nach einem misslungenen Boxenstopp lag er klar hinter Schumacher. Doch ein defektes Radlager stoppte den damals zweimaligen Weltmeister und bescherte Villeneuve den Sieg.

Villeneuve musste jedoch um seinen Sieg zittern, weil er hinter dem Safety-Car zu stark verlangsamte. Sieg und Punkte durfte er behalten, allerdings wurde er für ein Rennen gesperrt - die Strafe war jedoch für ein Rennen zur Bewährung ausgesetzt. Auf dem alten Hockenheimring kehrte Gerhard Berger nach dem Tod seines Vaters und eigener Krankheit nach drei Rennen Pause wieder zurück - und war unschlagbar. Während für Schumacher noch Rang zwei blieb, kam der Williams auf dem Highspeed-Kurs einfach nicht in Fahrt. Villeneuve drehte sich im Rennen und schrieb die nächste Nullrunde.

Doch beim Ungarn GP war das Glück wieder auf der Seite des kanadischen Youngsters: der furiose Ritt des amtierenden Weltmeisters Damon Hill im völlig unterlegenen Arrows wurde nicht belohnt. Mit 35 Sekunden Vorsprung blieb Hill drei Runden vor Rennende im dritten Gang stecken. Erst in der letzten Runde ging Villeneuve vorbei und sicherte sich den Sieg. In Spa zeigte Schumacher dann erneut eindrucksvoll seine Qualitäten im Regen. Während sich Villeneuve zu spät für Slicks entschied und am Ende nur Vierter wurde, lag Schumacher mit seinen Entscheidungen goldrichtig und siegte einmal mehr bei widrigen Bedingungen.

Beim Ferrari-Heimspiel in Monza lief es für keinen der beiden Titel-Kontrahenten, doch Villeneuve beging im Warm-up einen folgenschweren Fehler, als er in einer Gelb-Phase nicht vom Gas ging. Erneut erhielt er eine Rennsperre, diesmal allerdings für vier Rennen zur Bewährung ausgesetzt. Ein Rennen später überholte Schumacher auf dem A1-Ring unter Gelb und fiel durch die fällige Stop-and-Go-Strafe von Platz drei auf Rang sechs zurück, während Villeneuve siegte.

Villeneuve: Mit Schumacher ging es hin und her

Schumachers Heim-GP auf dem Nürburgring sollte der nächste Schlüsselmoment werden. "Die ganze Saison war ein Auf und Ab", erinnert sich Villeneuve. "Und auf dem Nürburgring hat es Schumacher erwischt, als er mit seinem Bruder kollidierte." Ausgerechnet bei seinem 100. GP-Start wurde Michael Schumacher von Bruder Ralf in der ersten Kurve nach dem Start abgeschossen. Weil unmittelbar hintereinander die Mercedes-Motoren von David Coulthard und Mika Häkkinen in Rauch aufgingen, erbte Villeneuve auch noch den Sieg vor Schumachers Heimpublikum - die perfekte Revanche für Montreal. Es sollte nicht nur der letzte Sieg in dieser Saison, sondern in der gesamten Karriere von Jacques Villeneuve sein.

"Im nächsten Jahr war der Williams ein entsetzliches Auto. Die Regeln haben sich geändert, Adrian Newey ist zu McLaren abgewandert", erklärt Villeneuve. "Danach bin ich zu BAR gegangen. Das war ein Spaßprojekt, aber leider bin ich nicht lange genug beim Team geblieben. Als das Team performt hat, war ich nicht mehr da. Ich bin aber bei BAR mit mehr Erfahrung besser gefahren als in dieser Saison. Es ist wie bei Fernando Alonso: er ist jetzt wahrscheinlich besser als 2005 oder 2006. Erfahrung ist ein tolles Werkzeug, aber bei mir ist sie nicht zusammen mit den großen Ergebnissen gekommen."

Zum vorletzten Rennen der Saison nach Japan reiste Villeneuve mit neuen Punkten Vorsprung auf Schumacher. Mit einem Sieg konnte er sich bereits vorzeitig zum Weltmeister krönen. Doch es kam ganz anders: schon im Training kam es zum Eklat, weil Villeneuve erneut gelbe Flaggen ignorierte. "Auf der Geraden macht es keinen Sinn, auf die Bremse zu treten. Sieben der neun Fahrer, die zu diesem Zeitpunkt auch auf der Strecke waren, sind auch nicht vom Gas gegangen", schimpft Villeneuve rückblickend.

"Das ist ein harter Schlag, wenn man um den Titel kämpft." Villeneuve startete in Suzuka unter Vorbehalt. Ferrari spielte im Rennen mit dem Kanadier. Eddie Irvine bremste den WM-Führenden so aus, dass Schumacher vorbeigehen und siegen konnte. Als Villeneuve seine Strategie änderte, um nicht länger hinter Irvine festzustecken, misslang der Boxenstopp. Die zwei Punkte für Platz fünf durfte er aber ohnehin nicht behalten: die FIA wies den Einspruch von Williams gegen die Rennsperre zurück, Villeneuve wurde disqualifiziert.

Der historische Showdown in Jerez

Schumacher reiste deshalb mit einem Punkt Vorsprung zum Saisonfinale nach Jerez de la Frontera. Eigentlich hätte das letzte Rennen der Saison in Portugal stattfinden sollen, aber der Streckenbetreiber erfüllte die Auflagen nicht. Deshalb wurde das Finale während der Saison von Portugal nach Jerez de la Frontera verlegt. Schon im Qualifying ging es zur Sache: Jacques Villeneuve, Michael Schumacher und Heinz-Harald Frentzen fuhren auf die Tausendstelsekunde identische Rundenzeiten. Weil Villeneuve die Zeit als Erster erzielte, durfte er vor Schumacher auf Pole starten.

Doch Schumacher ging schon am Start am Williams-Piloten vorbei, der sogar auf Platz drei zurückfiel. Schumacher führte das Rennen ungefährdet an und fuhr seinem dritten WM-Titel entgegen, bis er nach dem zweiten Boxenstopp Probleme mit seinem Reifensatz bekam. Villeneuve kam derweil von hinten angeflogen. Schumacher wusste, dass Villeneuve das Rennen nicht vor ihm beenden durfte. In Runde 48 bremste sich Villeneuve in der Curva Dry Sac innen vorbei. Als der Williams schon neben dem Ferrari war, warf Schumacher die Tür zu und fuhr Villeneuve in den Seitenkasten. Während Schumacher im Kiesbett landete, konnte Villeneuve weiterfahren.

"Es war ein harter Schlag, das Auto hat sich danach komisch angefühlt. Ich wusste, dass ich nicht gewinnen musste, also habe ich nicht gekämpft und Häkkinen und Coulthard vorbeigelassen", erklärt der spätere Weltmeister. Platz drei reichte Villeneuve zum Weltmeistertitel. Schumacher und Villeneuve mussten später bei den Stewards vorsprechen, die allerdings auf Rennunfall urteilten. Allerdings gab es noch ein Nachspiel: einen Monat später wurden Schumacher vom Motorsportweltrat sämtliche WM-Punkte der Saison und somit auch der Vizetitel aberkannt. "Dass Michael das gemacht hat, war großartig für mich - es hat mir geholfen, Weltmeister zu werden", sieht Villeneuve den Rammstoß heute pragmatisch. "Und es hat den Titel noch bedeutender gemacht, so bleibt es in den Geschichtsbüchern geschrieben."

Es passt in die Geschichte, dass Schumacher und Villeneuve 1997 kein einziges Mal gemeinsam auf dem Podium standen. "Das ist so eigenartig", gibt der Sieger des Duells zu. "Wir sind auch nur in diesem letzten Rennen so richtig gegeneinander gefahren, das ist so verrückt." Auch später, als Schumacher Sieg um Sieg und Titel um Titel holte und Villeneuves Formel-1-Karriere leise ausklang, wurden beide nie Freunde. "Michael geschlagen zu haben, nicht irgendeinen niemand, das macht den Titel für mich noch extremer", sagt Villeneuve heute. "Ihn geschlagen zu haben, während er das versucht hat, was er jedes Mal gemacht hat. Er hat versucht, mich abzuschießen und es hat nicht funktioniert! Es war das erste Mal, dass es für ihn andersrum gelaufen ist, diesmal ist es schlecht für ihn ausgegangen. Es entgegen aller Wahrscheinlichkeit zu geschafft zu haben, hat es umso spezieller gemacht."

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