61 Mal wurde der Große Preis von Deutschland bereits ausgetragen. Nur Großbritannien, Italien und Monaco haben mehr Grands Prix unter ihren Namen veranstaltet. Zählt man die 14 Rennen hinzu, die als Großer Preis von Europa oder Luxemburg auf deutschem Boden ausgetragen wurden, gastierte die Königsklasse bereits 75 Mal in dem Land, in dem das Automobil erfunden wurde. Nur in Italien wurden häufiger Siegerkränze umgehängt, Pokale vergeben und mit Champagner gespritzt.

"Der Deutschland GP ist legendär in der Formel-1-WM. Formel-1-WM ist gleich Deutschland GP. Der muss dabei sein", sagte Nico Rosberg im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com bei einem PR-Event in Hamburg - ausgerechnet an ebenjenem Wochenende, an dem der Grand Prix eigentlich auf dem Plan gestanden hätte. "Wahrscheinlich wäre ich lieber beim Deutschland GP", sagte der Hockenheim-Sieger des vergangenen Jahres.

Deutschland-Verlust wiegt schwer

Während es für die Fahrer eher ein kleiner Schönheitsfehler ist, dass der Deutschland GP in diesem Jahr ins Wasser fiel, ist es für viele deutlich mehr. Für den Motorsport in Deutschland ist es eine Bankrotterklärung. "Das sendet nicht das richtige Signal für das Autoland Deutschland", ist sich der ehemalige Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug sicher. Auch Hans-Joachim Stuck, Präsident des Deutschen Motor Sport Bundes DMSB, ist entsetzt: "Für mich ist es undenkbar, keinen Großen Preis von Deutschland zu haben. Wir können nur hoffen, dass diesmal eine Lösung gefunden wird", fordert Stuck.

Die Lösung scheiterte 2015 schlichtweg am Geld. Nach dem vereinbarten alternierenden Konzept zwischen Nürburgring und Hockenheimring wäre in diesem Jahr wieder der Traditionskurs in der Eifel an der Reihe gewesen, den Deutschland GP auszutragen. Während der Hockenheimring feste Verträge mit Bernie Ecclestone für die entsprechenden Jahre bis 2018 besitzt, gibt es zwischen dem Nürburgring und Ecclestone keinen Kontrakt. Zwischen den beiden deutschen Rennstrecken gibt es lediglich eine Absprache über die alternierende Austragung.

Deshalb war der Deutschland GP auch 2013 lange in der Schwebe, weil es - trotz fixem Datum im offiziellen Rennkalender der FIA - keinen Vertrag zwischen dem Nürburgring und Ecclestone gab. Schließlich konnten sich die Parteien zu einer Einigung durchringen. Genau das gelang zwei Jahre später mit neuen Besitzverhältnissen und dem neuen Geschäftsführer Carsten Schumacher nicht mehr. "Bekanntermaßen verlangt Bernie Ecclestone eine Antrittsgebühr. Diese war so hoch, dass es für uns einen Verlust bedeutet hätte, den wir aber nicht tragen wollten", fasst Schumacher die Gründe bei Motorsport-Magazin.com nüchtern zusammen.

Bernie Ecclestone macht bei Verhandlungen nur ungern Zugeständnisse, Foto: Sutton
Bernie Ecclestone macht bei Verhandlungen nur ungern Zugeständnisse, Foto: Sutton

Ecclestone und die horrenden Antrittsgebühren...

Die Verhandlungen zwischen Ecclestone und dem Nürburgring waren bereits recht früh im Sande verlaufen. Ein Deutschland GP 2015 in der Eifel war schnell vom Tisch. Somit blieb der Hockenheimring als Alternative. Finanziell sieht ein Formel-1-Event in Hockenheim ähnlich aus wie am Nürburgring. Die Antrittsgebühren sind höher als die Einnahmen aus Ticketverkäufen. Nachdem die Zuschauerzahlen in Deutschland zuletzt immer weiter rückläufig waren, wurde das Minus größer.

Mit einem Minus kalkuliert der Hockenheimring die Rennen, für die er sich verpflichtet hat. Also alle zwei Jahre. Dafür behält der Hockenheimring den Titel Formel-1-Rennstrecke. Ein Imagegewinn. Wenn der Hockenheimring für den Nürburgring außerplanmäßig einspringen soll, dann darf am Ende zumindest kein Minus stehen. Darum ging es in den Verhandlungen mit Bernie Ecclestone. Am Ende kam es aber bekanntlich nicht zu einer Einigung und somit auch zu keinem Deutschland GP. Am 20. März wurde der deutsche Grand Prix offiziell vom WMSC aus dem Kalender gestrichen.

2016 hat Nico Rosberg wieder ein Heimrennen mehr, daran gibt es keine Zweifel. Der Hockenheimring wird seinen Vertrag - trotz Minusgeschäft - erfüllen. Auch 2018 fahren somit Formel-1-Boliden durchs Motodrom. "Mit Graus blicke ich aber auf das Jahr 2017", warnt Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner. "Denn da wäre wieder der Nürburgring an der Reihe." Ob sich an der Einstellung des Nürburgrings etwas ändern wird, ist fraglich.

Bernie Ecclestone wird den Betreibern wohl auch nicht weiter entgegenkommen, als er das 2015 getan hat. Der Hockenheimring - sollte nicht ein Wunder geschehen und plötzlich wieder knapp 100.000 Menschen am Rennsonntag kommen - wird dann wieder vor dem gleichen Dilemma stehen: Er würde zur Not einspringen, allerdings wieder unter der Bedingung, dass kein wirtschaftliches Risiko entsteht.

Einen Sponsor oder Investor suchten die deutschen Ausrichter bislang vergeblich, Foto: Sutton
Einen Sponsor oder Investor suchten die deutschen Ausrichter bislang vergeblich, Foto: Sutton

Die ewige Suche nach einem Investor oder Sponsor

Damit geht das ganze Deutschland-Desaster von vorne los. Doch wo müssen die Hebel angesetzt werden, damit sich das Szenario nicht wiederholt? "Wenn ein Promoter eine solche Sportveranstaltung nicht aus eigener Kasse bezahlen kann, dann muss man nach Alternativen suchen", fordert Christian Danner. Nach Alternativen sucht der Hockenheimring schon lange. "Schon seit ich hier arbeite, also seit über 35 Jahren", sagt Seiler gegenüber Motorsport-Magazin.com. "Weder das Bundesland Baden-Württemberg, noch der Staat Deutschland, kümmern sich um die Formel 1 und zahlen entsprechend dazu. Auf anderen internationalen Rennstrecken gehört der Grand-Prix zur Tourismus-Förderung."

Ähnlich sieht es auch Danner. Andere Sportarten in Deutschland werden massiv durch öffentliche Gelder unterstützt, der Formel 1 wird die kalte Schulter gezeigt. In anderen Ländern - nicht nur Bahrain, Abu Dhabi und Co. - wird auch die Formel 1 unterstützt. Danner versteht nicht, warum in Deutschland sämtliche Sportarten subventioniert werden, nur die Formel 1 nicht. "Wenn es dafür Geld gibt, kann es doch nicht sein, dass wir in Deutschland keinen Grand Prix haben."

Auch eine Subventionierung des Deutschland GP durch Mercedes stand im Raum. Zwischen Ecclestone, dem Hockenheimring und Mercedes fanden sogar Gespräche statt, zu einer Übereinkunft kam es aber nicht. Die Kritik, ein Team dürfe nicht für seine eigen Bühne zahlen müssen, lässt Seiler nicht ganz gelten: "Natürlich ist es nicht ihre primäre Aufgabe, aber sie haben ein Qualitätsprodukt, das beim Fan Begehrlichkeiten wecken soll und stimmen muss. Deshalb sollte man auch gemeinsam überlegen, was man Förderliches tun kann."

Strietzel Stuck und Christian Danner sind geteilter Meinung bei der Suche nach einem Sündenbock, Foto: Sutton
Strietzel Stuck und Christian Danner sind geteilter Meinung bei der Suche nach einem Sündenbock, Foto: Sutton

Wer trägt letztlich die Schuld am Deutschland-Fiasko?

DMSB-Präsident Hans-Joachim Stuck hält das für falsch, wie er Motorsport-Magazin.com erklärte: "Selbst die in der Formel 1 unmittelbar involvierten Industriepartner werden einen deutschen Grand Prix nicht mit großen Summen bezuschussen können, weil sie sonst morgen auch für andere Kernmärkte einen Sonderbeitrag zahlen müssten. Es ist also eine Illusion zu versuchen, über die Industrie achtstellige Summen zu generieren, die eine Ausrichtung ermöglichen würden - zumal diese Summen garantiert jedes Jahr höher würden."

Stuck sieht die Schuld klar bei Ecclestone: "Er ist völlig unflexibel hinsichtlich der Rechte, Rennen auszurichten." Das allerdings wollte Seiler nicht bestätigen: "Ich muss schon sagen, dass uns Herr Ecclestone entgegengekommen ist, wenn man die Antrittsgebühren von anderen Rennstrecken kennt. Aber er kann uns das Produkt nicht schenken."

Danner sieht die Schuld ebenfalls nicht bei Ecclestone, der Experte fordert mehr Initiative: "Ja, mein lieber Strietzel Stuck, du hast völlig recht! Kein GP von Deutschland ist undenkbar, aber jetzt bist du als Präsident des DMSB gefordert." Den ehemaligen Formel-1-Piloten stört vor allem, dass tatenlos dabei zugesehen wurde, wie der Deutschland GP aus dem Rennkalender gestrichen wurde. "Das ganze muss von dem dafür zuständigen Verband koordiniert werden. Also vom DMSB. Wie in allen anderen Sportarten auch. Dass das Arbeit bedeutet, dass sich Leute hier zusammenschließen müssen, dass die Industiere aktiviert werden muss, dass politische Aktivitäten eingeleitet werden müssen, das ist klar. Aber alles, was ich bis jetzt erkennen konnte, war ein Achselzucken."

Das sieht Stuck naturgemäß anders. Der DMSB hätte im Hintergrund sehr wohl daran gearbeitet, eine Absage zu verhindern, an Verhandlungen zwischen Streckenbetreiber und Promoter sei der DMSB ohnehin nicht beteiligt. "Unsere Aufgabe als Verband muss es daher sein, bei der FIA politisch Einfluss darauf zu nehmen, dass Europa als Ursprungsregion des Motorsports und als Kernmarkt für Automobile nicht vergessen wird. Aber in der Formel 1 zählt am Ende nur der Profit, den der Promotor erwirtschaftet. Da nützen alle gut gemeinten politischen Ansätze und Gespräche leider wenig", sagt Stuck. Die Zukunft des Deutschland GP ist also weiterhin ungewiss. Ein Achselzucken wird wohl nicht reichen, um den GP 2017 zu sichern.

Für den Nürburgring ist die Formel 1 ein Verlustgeschäft, Foto: Mercedes-Benz
Für den Nürburgring ist die Formel 1 ein Verlustgeschäft, Foto: Mercedes-Benz

Drei Fragen an Carsten Schumacher, Nürburgring

MSM: Wer hat aktuell das Sagen am Nürburgring?
Carsten Schumacher: Es hat mehrere Gespräche [mit Bernie Ecclestone] gegeben... Wir konnten uns leider nicht einigen. Bekanntermaßen verlangt Bernie Ecclestone eine Antrittsgebühr. Diese war so hoch, dass es für uns einen Verlust bedeutet hätte, den wir aber nicht tragen wollten.

Hockenheim hat einen Vertag für 2014, 2016 und 2018. Wie sieht es am Nürburgring? Gab es da gar keinen Vertag für diese Variante?
Nein. Es gab einen Vertag für 2013, für 2015 hätten wir einen neuen abschließen können. Richtig ist, dass es eine Verabredung gab, dass die Veranstaltung alternierend stattfindet - einmal in Hockenheim, einmal bei uns. Aber die Konditionen für 2015 mussten wir für dieses Jahr neu verhandeln. Dabei sind wir aber nicht zusammengekommen. Wir haben gar kein Problem, einen Betrag zu zahlen. Wir hatten 2006 90.000 Zuschauer. Da konnten wir natürlich eine Antrittsgebühr wie in der Vergangenheit bezahlen. Leider hat die Attraktivität der Formel 1 abgenommen. Das ist auch am Hockheimring offensichtlich, auch bei den Einschaltquoten. Und bei nur noch 40.000 Zuschauern - also weniger als die Hälfte aus dem Jahr 2006 - sind diese Konditionen nicht mehr bezahlbar.

Aber es ist schon richtig, dass Bernie Ecclestone dem Nürburgring - oder historischen Rennstrecken generell - enorm entgegenkommt was die Antrittsgebühr angeht?
Wir können die Verhältnisse in anderen Destinationen nicht miteinander vergleichen. Es gibt derzeit Länder, die enorm viel Geld ausgeben, um prestigeträchtige Sportveranstaltungen zu bekommen. Schauen wir nach Katar: Handball, Fußball und, und, und... Ähnlich geht es der Formel 1 auch. Dass Ecclestone diese Möglichkeiten ausnutzt, ist sicher legitim.

In Hockenheim wurden die Tribünen über die Jahre immer leerer, Foto: Sutton
In Hockenheim wurden die Tribünen über die Jahre immer leerer, Foto: Sutton

Drei Fragen an Georg Seiler, Hockenheimring

MSM: Bei wem dürfen sich die deutschen Formel-1-Fans beschweren? Denn der Hockenheimring wurde ja eigentlich zu Unrecht in die Kritik mit hineingezogen.
Georg Seiler: Durch die gelebte Alternierungslösung wäre 2015 der Nürburgring Austragungsort der Formel 1 gewesen. Aber dort gab es keinen Vertrag für dieses Jahr. Die Verhandlungen sind gescheitert, obwohl im letzten Jahr bereits mit einem neuen 5-Jahres-Vertrag geworben wurde.

Wäre es denkbar, dass der Hockenheimring mit einer anderen Strecke außer dem Nürburgring alterniert, zum Beispiel Imola oder Magny-Cours?
Ich kann nur für den Hockenheimring sprechen. Und für uns war die alternierende Lösung in Deutschland sicherlich gut. Deutsche Fans wollen die Formel 1 jährlich in Deutschland sehen. Ob es vorteilhaft wäre, wenn man mit einem anderen Land wechselt, kann und möchte ich nicht beurteilen. Für Deutschland und den deutschen Motorsport war es gut, als das Rennen abwechselnd am Hockenheimring und am Nürburgring ausgetragen wurde.

Bernie Ecclestone wird viel für seine Deals kritisiert. Welche Rolle spielt er in darin, dass es keinen Deutschland GP gegeben hat?
Ich muss schon sagen, dass uns Herr Ecclestone entgegengekommen ist, wenn man die Antrittsgebühren von anderen Rennstrecken kennt. Aber er kann uns das Produkt nicht schenken. Ecclestone ist als Geschäftsführer eingesetzt, von ihm wird erwartet, dass er die Königsklasse im Formelrennsport hochpreisig vermarktet. Und das klappt ja auch international in vielen anderen Ländern. In Deutschland ist es so, dass die Formel 1 nicht gefördert wird. Weder das Bundesland Baden-Württemberg, noch der Staat Deutschland, kümmern sich um die Formel 1 und zahlen entsprechend dazu. Auf anderen internationalen Rennstrecken gehört der Grand Prix zur Tourismus-Förderung. Dort ist man froh, wenn die Formel 1 stattfindet und das Image des Landes weltweit medial transportiert wird. Wenn die Promotoren dort nicht die entsprechende Unterstützung hätten, würde sich der Grand Prix finanziell auch nicht rechnen.

Mehr Hintergrundgeschichten im Motorsport-Magazin

Dieser Artikel stammt aus der Print-Ausgabe von Motorsport-Magazin.com. Dort findet ihr ausführliche Interviews und exklusive Hintergrundgeschichten aus der Welt des Motorsports. Das Motorsport-Magazin ist ab sofort im gut sortierten Zeitschriftenhandel erhältlich. Oder bestellen Sie es am besten gleich online: