Lewis Hamilton kann nicht mehr gewinnen. Seit sich der Mercedes-Pilot in Austin zum Weltmeister krönte, stand er nicht mehr auf der obersten Stufe des Podiums. Zwei Rennen dauert die "Durststrecke" des so erfolgsverwöhnten Briten mittlerweile. In Brasilien musste Hamilton wie schon in Mexiko seinem Teamkollegen Nico Rosberg den Vortritt lassen. Und wie schon in Mexiko hatte Hamilton das Rennen im Qualifying verloren, denn im Grand Prix gab es kein Vorbeikommen an seinem stallinternen Widersacher. Motorsport-Magazin.com zeichnet den vorletzten Saisonlauf aus der Sicht des Weltmeisters nach.

Vorentscheidung am Start

Nico Rosberg hat seine Startschwäche ganz offenbar abgelegt. Wie schon in Mexiko verstand es der Deutsche auch in Brasilien, seine Pole Position nach dem Erlöschen der Ampeln zu behaupten. Rosberg bog vor Hamilton als Erster ins Senna-S ein und hatte damit alle Trümpfe in der Hand. Hamilton ließ zwar nicht abreißen und lag vor dem ersten Boxenstopp nie mehr als zwei Sekunden hinter Rosberg zurück, für einen Angriff war sein Rückstand aber deutlich zu groß.

Hamilton stoppte stets eine Runde nach Rosberg, Foto: Sutton
Hamilton stoppte stets eine Runde nach Rosberg, Foto: Sutton

Rosberg steuerte in der 13. Runde zum ersten Mal die Boxen an und wechselte von den Soft- auf die Medium-Reifen. Einen Umlauf später zog Hamilton nach. In weiterer Folge kam der Brite wesentlich näher an seinen Teamkollegen heran und konnte einige Male sogar DRS aktivieren. Nahe genug, um ein Überholmanöver zu starten, kam Hamilton trotz geöffnetem Heckflügel allerdings nicht. "Ich hing Nico im Getriebe, aber ich kam nicht an ihm vorbei, da die DRS-Zone leider nicht lang genug war", klagte er.

Nachdem Hamilton mehrere Male vergeblich versucht hatte, an Rosberg vorbeizukommen, gab er auf und handelte sich vor der zweiten Serie der Boxenstopps einen Rückstand von 3,2 Sekunden ein. Hinter Rosberg herfahrend hatte er sich seine Pneus ruiniert und konnte das Tempo des Führenden daher nicht mehr mitgehen. "Man konnte sehen, dass es mit aerodynamisch effizienten Autos schwierig ist, hinterherzufahren. Du zerstörst deine Reifen mit Angriffen. Und nach paar Angriffen hast du keine Performance mehr in den Reifen", erläuterte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff das Dilemma.

Der dritte Stint verlief relativ ereignislos. Rosbergs Vorsprung pendelte sich zwischen zwei und dreieinhalb Sekunden ein. Ursprünglich hatte Mercedes vorgehabt, das Rennen mit zwei Stopps zu beenden, weil jedoch Sebastian Vettel - im Gegensatz zu seinem Ferrari-Teamkollegen Kimi Räikkönen - drei Mal stoppte und auch das stallinterne Duell starken Verschleiß zur Folge hatte, gingen die Silberpfeile auf Nummer sicher und riefen Rosberg und Hamilton ebenfalls zum dritten Mal zum Reifenwechsel. Erneut kam der Deutsche eine Runde vor dem Briten und behielt damit seinen Vorteil.

Hamilton wünscht sich strategische Vielfalt

Kurz nach den Boxenstopps schaffte es Hamilton ein letztes Mal, dicht an Rosberg heranzufahren und konnte DRS aktvieren, der Erfolg fiel aber ebenso bescheiden wie im ersten Renndrittel aus. In weiterer Folge leistete sich der Weltmeister einen Verbremser, blockierte das rechte Vorderrad und hatte daher mit Vibrationen zu kämpfen. Hamilton musste Rosberg somit endgültig ziehen lassen und kam schlussendlich mit einem stattlichen Rückstand von knapp acht Sekunden ins Ziel.

Nach dem Rennen machte Hamilton seinem Ärger Luft und kritisierte, dass er chancenlos gewesen sei, da Mercedes ihn stets eine Runde nach Rosberg zum Reifenwechsel gerufen hatte. Der Brite hätte sich mehr taktische Freiheiten gewünscht. "Es wäre schön, wenn wir hin und wieder etwas anderes bei der Strategie machen könnten, um etwas Abwechslung reinzubringen", regte er an. "Ein paar Optionen zu haben und dann schauen, wie es läuft."

Die Strategie der Spitzenpiloten im Brasilien GP:

Fahrer1. Stint2. Stint3. Stint4. Stint
RosbergSoft (13 R)Medium (20 R)Medium (15 R)Medium (23 R)
HamiltonSoft (14 R)Medium (20 R)Medium (15 R)Medium (22 R)
VettelSoft (13 R)Medium (19 R)Soft (15 R)Medium (24 R)
RäikkönenSoft (12 R)Medium (34 R)Medium (25 R)-

Dazu wird es allerdings nicht kommen. Mercedes setzt konsequent auf das Prinzip der Gleichberechtigung, will keinen Fahrer bevorzugen. Der schnellere Pilot auf der Strecke soll gewinnen, nicht jener, der die bessere Strategie fährt. "Wenn der Fahrer im Auto anfängt, die Strategie zu machen, wird er jedes einzelne Rennen verlieren", betonte Toto Wolff. "Weil das Instinkt-Entscheidungen sind. Das kann zwar mal richtig sein, aber wenn du nicht alle Daten vorliegen hast, triffst du meist keine guten Entscheidungen."

Ferrari stolz auf Renn-Pace

Große Zufriedenheit herrschte nach dem Brasilien GP bei Ferrari vor. Vettel als Dritter verlor auf Rennsieger Rosberg nur 14,2 Sekunden, Hamilton nahm ihm gar lediglich 6,5 Sekunden ab. Für ein Rennen ohne Safety-Car-Einsatz ordentliche Werte, wenn man bedenkt, wie dominant die Mercedes-Boliden in den Trainingssitzungen und dem Qualifying aufgetreten waren.

Vettel konnte das Tempo von Mercedes teilweise mitgehen, Foto: Sutton
Vettel konnte das Tempo von Mercedes teilweise mitgehen, Foto: Sutton

"Wenn man ein halbes Jahr zurück schaut, waren wir eine Minute hintendran. Die Strecke hier ist anders, aber über 71 Runden haben wir nicht so viel verloren", bilanzierte Vettel.

Im letzten Stint schlug der Heppenheimer sogar durchwegs schnellere Rundenzeiten als Rosberg und Hamilton an, was die Hoffnung in Maranello nährt, 2016 mit den Silberpfeilen einigermaßen auf Augenhöhe kämpfen zu können. Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass das Rennen an der Spitze zu diesem Zeitpunkt bereits entschieden war und Rosberg sowie Hamilton nicht mehr am absoluten Limit fuhren.

"Beim Motor haben wir uns verbessert", betonte Vettel. "Den Motoristi in Maranello ist ein Wunder gelungen in diesem Jahr. Wir haben die Latte höher gelegt. Aber natürlich wollen wir noch näher dran sein, im Idealfall vor ihnen. Das ist ein großer Schritt, aber so lauten Herausforderung und Ziel für kommendes Jahr." Ein hehres Ziel, das angesichts des gewaltigen Entwicklungssprungs von 2014 auf 2015 jedoch nicht gänzlich unrealistisch erscheint.