Es gleicht einem modernen Formel-1-Wunder: Carlos Sainz nimmt nach seinem Horrorunfall beim dritten Freien Training zum Russland GP am Rennen teil. Der Spanier musste nicht einmal über Nacht im Krankenhaus bleiben, er durfte schon am Abend zurück ins Hotel.

Um 11:00 Uhr Ortszeit stand für Sainz die medizinische Untersuchung der FIA auf dem Plan. Der Chefarzt des Automobilweltverbandes gab schnell grünes Licht. Kurz darauf bestätigte Toro Rosso, dass Sainz den Grand Prix starten wird. "Mir geht es wunderbar, ich hab nur einen etwas steifen Nacken, aber das ist alles", sagte Sainz selbst.

Kaum zu glauben: Nach dem heftigen Einschlag musste nicht einmal das Monocoque des Boliden getauscht werden. Damit bleibt Sainz ein Start aus der Boxengasse erspart, er startet - weil er im Qualifying keine Zeit setzten konnte - auf Rang 20 noch hinter Fernando Alonso, der mit 35 Positionen Strafversetzung von Platz 19 aus ins Rennen geht. "Bis auf das Monocoque wurde aber alles gewechselt", sagt Teamchef Franz Tost. "Nase, Aufhängungen, Motor, Getriebe. Alles, außer Monocoque und Fahrer."

"Ich war während der gesamten Zeit bei Bewusstsein", schildert Sainz. "Nach dem Einschlag war mir das wichtigste, meinen Eltern und dem Team zu zeigen, dass ich okay bin. Ich das Getriebe auf Neutral gestellt und an die Box gefunkt, dass mit mir alles okay ist, aber das Radio hat nicht mehr funktioniert." In Folge des Aufpralls verabschiedete sich die Elektrik, weshalb die Kommunikation mit dem Team nicht mehr funktionierte.

Fakten zum Unfall von Carlos Sainz in Sochi

  • Sainz schlägt im 3. Training mit 150 km/h ein
  • Carlos Sainz nach schwerem Unfall im Krankenhaus
  • Stromversorgung ausgefallen: Zunächst kein Funkkontakt möglich
  • Entwarnung nach Body-Scan: Keine Brüche oder Verletzungen
  • Sainz twittert aus Hospital: "Alles gut! Macht euch keine Sorgen!"
  • Entlassung aus Krankenhaus am Samstagabend
  • Sonntagmorgen: Rennfreigabe durch FIA-Arzt
  • Sonntagvormittag: Toro Rosso gibt ebenfalls Startfreigabe
  • Fahrer äußern Bedenken an TecPro-Barrieren
  • Marko bei Motorsport-Magazin.com: Fahrfehler möglich
  • Glock: "Für einen Fahrer eine der schlimmsten Situationen"
Großer Andrang bei Toro Rosso am Sonntagvormittag, Foto: Motorsport-Magazin.com
Großer Andrang bei Toro Rosso am Sonntagvormittag, Foto: Motorsport-Magazin.com

Kontrolle bei Highspeed verloren

Sainz verlor im dritten Freien Training beim Anbremsen auf Kurve 13 die Kontrolle über sein Fahrzeug. Bei knapp 310 Stundenkilometer brach sein Heck in der Anbremszone aus, woraufhin er mit dem Linken Vorderrad in die Leitplanke einschlug. Bis zum ersten Anschlag baute er schon rund 100 km/h ab. Anschließend knickte auch die linke Hinterradaufhängung ein, woraufhin er auf der Bodenplatte in die Tecpro-Barriere rutschte. 46 G wurden beim Aufprall gemessen.

Mit 150 Stundenkilometer schlug er im spitzen Winkel in die moderne Streckenbegrenzung ein. Das Problem war dabei weniger der Aufprall selbst, als vielmehr die Tatsache, dass er unter die Barrieren rutschte und sich derart darin verkeilte, dass die Bergung nur schwer möglich war. "Dank der FIA-Sicherheitsbestimmungen ist er unverletzt geblieben", freut sich Tost.

Auch der Unfallhergang ist inzwischen genau geklärt: "Er hat kurz zuvor noch das Bremsmapping verändert. Dadurch hatte er mehr Bremswirkung auf der Hinterachse, woraufhin die Hinterräder beim Anbremsen blockiert haben." Es lag also nicht am DRS, wie manch ein Fahrerkollege vermutete. An dieser Stelle schließen die meisten Piloten den Heckflügel manuell, damit das Heck schon vor dem eigentlichen Bremsvorgang stabilisiert wird.

Unfall löst Bedenken aus

Die Tatsache, dass Sainz nicht gegen die Barrieren prallte, sondern unter sie rutschte, sorgte bei einigen Fahrern für Verstimmung. Dabei handelte es sich nicht um normale Reifenstapel, sondern um High-Speed-Barrieren der Firma Tecpro. Diese wurden nach Michael Schumachers Unfall 1999 in Silverstone entwickelt, als sich der Rekord-Weltmeister das Bein gebrochen hatte. Seit einigen Jahren werden sie nun vermehrt eingesetzt.

"Es war schockierend zu sehen, dass er so weit unter der Begrenzung feststeckte. Wenn man sich an den Unfall von Max [Verstappen] in Monaco erinnert, dann ist im Bezug zu der Streckenbegrenzung Carlos' Unfall total unterschiedlich - das muss man sich ansehen", polterte Sebastian Vettel, der auch die dadurch längere Bergungszeit monierte.

Auch Jenson Button schloss sich dieser Meinung an. "Man muss sich das definitiv ansehen, denn die Barrieren haben nicht das gemacht, was sie sollen, nämlich das Auto abbremsen, bevor es den harten Aufprall gibt." Er wollte jedoch nicht alles schlecht reden. "Tecpro arbeitet sehr gut. Wenn er seitlich eingeschlagen wäre, hätte es auch gut funktioniert. Aber mit der Nase voran, die doch sehr tief ist... Ich weiß nicht, was der Frontflügel da gemacht hat, möglicherweise hat er es angehoben", mutmaßte er.

Auch Sainz selbst meint, man müsse sich noch einmal genauer ansehen, wie es dazu kam, dass er unter die Barriere rutschen konnte. Das erste, was der Spanier im Hotel machte: Ein Video des Unfalls anschauen. "Als ich ihn gesehen habe, konnte ich alles wieder nachvollziehen. Wie ich gebremst, das Heck verloren, heruntergeschaltet und dann eingeschlagen habe."

Carlos Sainz am Sonntag auf dem Weg ins Fahrerlager, Foto: Sutton
Carlos Sainz am Sonntag auf dem Weg ins Fahrerlager, Foto: Sutton