Alles ist angerichtet für das wohl spannendste WM-Finale dieses Jahrzehnts. Lewis Hamilton oder Nico Rosberg - welcher der beiden Mercedes-Piloten krönt sich am kommenden Sonntag im Scheinwerferlicht des Abu Dhabi Grand Prix zum neuen Champion der Formel 1? Auf den Fahrern lastet nach dieser so intensiven Silberpfeil-Saison immenser Druck, auch wenn beide Seiten äußerlich cool wirken. Oberste Devise im WM-Thriller: Bloß keine Nerven zeigen!

Fahrerisch sind Hamilton und Rosberg sowieso über jeden Zweifel erhaben. Abgesehen von technischen Problemen wird es beim Showdown in Abu Dhabi auf die mentale Stärke ankommen. Der Kopf spielt eine entscheidende Rolle. In diesem Bereich hat Rosberg zuletzt in Brasilien zumindest einen Punktsieg gelandet. Der Deutsche brach Hamiltons Siegesserie und zeigte, dass er auch auf der Strecke im direkten Kampf gewinnen kann.

Rosberg konnte Hamiltons Serie in Brasilien brechen, Foto: Sutton
Rosberg konnte Hamiltons Serie in Brasilien brechen, Foto: Sutton

Brasilien als psychologischer Sieg

"Das Wochenende war für seine Psyche sehr wichtig", sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff nach Rosbergs fünftem Saisonsieg in Interlagos. Dabei hatte es schon danach ausgesehen, als ob Hamilton auch mental die Oberhand behielte. Fünf Siege in Folge, WM-Führung zurückerobert - Hamilton war in den vergangenen Monaten nahezu unantastbar gewesen. Wie ein Buddha wirkte er auf den einen oder anderen Fahrerlager-Insider. Stets ruhig und besonnen. Es war nicht mehr der Hamilton der vergangenen Jahre, der gern mal Nerven zeigte, wenn es nicht lief wie gewünscht.

"Ich weiß, dass ich jetzt besser vorbereitet bin als je zuvor. Ich bin stärker, als ich damals war, sowohl mental als auch körperlich", blickte Hamilton zuletzt im Exklusiv-Interview mit Motorsport-Magazin.com zurück. Sein Patzer im Silverstone-Qualifying, als er eigenverantwortlich die Runde abbrach und damit wohl die Pole Position verschenkte, war eine Art Wendepunkt in Hamiltons Saisonverlauf.

Hamilton gewann sein Heimrennen in Silverstone, Foto: Sutton
Hamilton gewann sein Heimrennen in Silverstone, Foto: Sutton

Kugelsicherer Hamilton

Nach anfänglichen Nörgeleien wirkte der Brite am Rennsonntag vor heimischem Publikum wie verwandelt und nutzte Rosbergs Pech gnadenlos aus. Seitdem wirkt Hamilton geradezu kugelsicher, die Qualifying-Dramen der ersten Saisonhälfte wie ausradiert. "Das ist nicht der Lewis, den ich kannte, als wir noch Teamkollegen waren", bemerkte selbst Jenson Button mit Blick auf seinen früheren McLaren-Wegbegleiter. Auch nach Rosbergs Brasilien-Triumph zeigte Hamilton keine Schwäche, preiste trotz seines Fahrfehlers den überlegenen Speed und sein besonnenes Reifen-Management - seit Jahren ein Kritikpunkt - an.

Kaum vorstellbar, dass Hamilton am kommenden Wochenende weiche Knie bekommt, wenn es zum finalen Duell der Silberpfeile geht. Er hat alle Trümpfe auf seiner Seite, Platz zwei reicht zum wiederholten Titelsieg nach 2008. Und doch gibt es zweifelnde Stimmen im Fahrerlager. Etwa von Alex Wurz, der beide Silberpfeil-Piloten gut kennt. "Wann immer Lewis glaubt, dass er unschlagbar ist, ist er anfälliger für Fehler", meinte der Österreicher. "Deshalb würde ich Nico noch nicht aufgeben."

Das WM-Duell stellt die Partnerschaft von Hamilton und Rosberg auf die Probe, Foto: Sutton
Das WM-Duell stellt die Partnerschaft von Hamilton und Rosberg auf die Probe, Foto: Sutton

Rosbergs Devise: Volle Attacke

Trotz des Rückstandes von 17 Punkten hat sich Rosberg noch lange nicht aufgegeben, spricht seit Wochen von voller Attacke. Etwas anderes bleibt ihm auch nicht übrig, er ist komplett von Hamiltons Abschneiden abhängig. Eine weitere Pole - es wäre seine elfte in diesem Jahr - würde den Druck auf Hamilton zumindest ein wenig erhöhen und das eigene Selbstvertrauen stärken. Dabei könnte die Rolle des Jägers sogar einen Vorteil mit sich bringen. "Wenn du vorne liegst, dann hast du das Gefühl, dass du nur verlieren kannst. Aber wenn du hinten liegst, kannst du gewinnen oder verlieren", sagte kürzlich Alan McNish.

Fraglich allerdings, ob sich Rosberg selbst als Außenseiter im WM-Kampf sieht. Zuletzt wünschte er sich - wenn auch im Spaß - Schützenhilfe von Williams-Pilot Felipe Massa. Ein kleines Eingeständnis, dass aus eigener Kraft nichts mehr geht? Oder aber die Zuschaustellung von Souveränität selbst unter enormem Druck? Hier genießt Hamilton den Vorteil, er war schon bei mehreren WM-Showdowns 'under pressure'. Schon jetzt kündigte er an, auch beim letzten Saisonrennen des Jahres auf Sieg fahren zu wollen. Ein zu konservativer Ansatz hätte ihn 2008 beinahe den Titel im Regen von Interlagos gekostet. Ein ähnlicher Fehler wird nicht noch einmal passieren, dafür sorgt allein schon der bislang souveräne Kommandostand von Mercedes.

Das WM-Duell erreicht in Abu Dhabi seinen Höhepunkt, Foto: Sutton
Das WM-Duell erreicht in Abu Dhabi seinen Höhepunkt, Foto: Sutton

WM-Erfahrung als Trumpf?

"Ich hoffe, dass die Erfahrung etwas zählt", war sich auch Hamilton auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com dieses Pluspunkts bewusst. Rosberg meinte, dass der Druck eine positive Motivation für ihn darstelle, machte gleichzeitig aber auch kein Geheimnis aus der herrschenden Anspannung und dem Adrenalinrausch. "Aber es ist gigantisch, beim letzten Rennen noch die Chance zu haben, Weltmeister zu werden", fügte der Sohn des früheren F1-Champions Keke Rosberg an.

So oder so: Abu Dhabi wird zum Nervenkrieg, über die letzten Zehntel entscheidet die Psyche. Oder wie es der zweifache Weltmeister Mika Häkkinen treffend formulierte: "Entscheidend ist jetzt, wer von den WM-Favoriten mental ausgeglichener bleibt und die potentiellen Schwächen des Gegners ausnutzen kann."