'Nice guys finish last' stellte Baseball-Manager Leo Durocher schon 1946 fest. Seine Erkenntnis ist in der Welt des professionellen Sports seither zu einer fast unumstößlichen These geworden. Verhalten, das man im gesellschaftlichen Miteinander als ehrenwert ansieht, führt im Wettbewerb nur selten zu Erfolgen. Rücksichtslosigkeit, Kompromisslosigkeit und Egoismus sind jene Eigenschaften, die viele Superstars auszeichnen.
Jorge Martin und der Aprilia-Albtraum
Jorge Martin ist mit all diesen für einen Rennfahrer durchaus auch positiven Charakterzügen zur Genüge 'gesegnet'. Nicht zuletzt deshalb krönte er sich im Vorjahr erstmals zum MotoGP-Weltmeister. Dennoch spielte er in den Plänen von Ducati für 2025 keine große Rolle und unterschrieb deshalb gekränkt bei Aprilia. Die neue Herausforderung entwickelte sich für Martin schnell zum Albtraum. Drei schwere Verletzungen innerhalb von nur 67 Tagen haben dafür gesorgt, dass er bis heute erst eines von sieben möglichen Rennwochenenden für seinen neuen Arbeitgeber bestritten hat.
Und dennoch will Martin nun seinen Vertrag bei Aprilia vorzeitig mit Ende 2025 auflösen. Dass ein Fahrer nach nur einem gemeinsamen Grand Prix schon wieder die Trennung sucht, ist selbst am durch Vertragsbrüche berüchtigten MotoGP-Transfermarkt ein neuer Tiefpunkt. Martin und sein Management mögen rein juristisch im Recht sein - das werden wohl ohnehin die Anwälte der beiden Streitparteien ausdiskutieren müssen. Menschlich wirft seine Entscheidung aber ein ganz schlechtes Licht auf Martin.
Alles zu seiner Zeit: Jorge Martins falscher Fokus
Ja, der 'Martinator' macht aktuell ganz schwierige Zeiten durch. Innerhalb so kurzer Zeit drei schwere Verletzungen wegzustecken ist auch für den härtesten MotoGP-Recken eine körperliche und gleichermaßen mentale Mammutaufgabe. Eine gedankliche Negativspirale nimmt schnell ihren Lauf, wenn ein Fahrer mehr Zeit im Krankenhaus als an der Rennstrecke verbringt. Doch gerade deshalb müsste Martin klar sein, dass nun nicht der richtige Zeitpunkt für überhastete Zukunftsentscheidungen ist.
Die Aprilia RS-GP ist nicht schuld daran, dass Martin 2025 zum Dauerpatienten wurde. Im Sepang-Test segelte er - je nachdem ob man den Erzählungen von Michelin oder Aprilia glauben will - auf einem kalten oder schadhaften Hinterreifen ab. Dann erwischte es ihn beim Supermoto-Training und beim Comeback in Katar zahlte er für einen minimalen Fahrfehler einen hohen Preis. Die Situation ist somit völlig anders gelagert als jene von Marc Marquez bei der Vertragsauflösung mit Honda: Jenes Motorrad, das ihm einst so große Erfolge beschert hatte, warf Marquez und seine Kollegen ohne große Fehler regelmäßig übel ab. Marquez hatte lange versucht, die Situation bei Honda noch zu retten, musste aber schließlich einsehen, dass eine sinnvolle Fortsetzung seiner Karriere nur noch mit dem Wechsel auf ein konkurrenzfähiges Bike möglich war.
Ein solches hat Jorge Martin aktuell zur Verfügung. Marco Bezzecchis Sieg in Silverstone war, wenn auch unter glücklichen Umständen, der eindrucksvolle Beweis dafür. Bezzecchi, dem eigentlich die Rolle als klare Nummer zwei hinter Martin zu blühen schien, übernahm in den vergangenen Monaten die Position des Team-Leaders. Und das nicht nur im Hinblick auf die Weiterentwicklung des Motorrads. Er blieb trotz eines enttäuschenden Saisonstarts ohne Aprilia-Podium an den ersten sechsten Rennwochenenden ruhig, lobte immer wieder öffentlich die harte Arbeit aller Beteiligten und wurde nicht müde, zu betonen, wie sehr er an dieses Projekt glaube. Nach einem desaströsen Le-Mans-Wochenende, in dem Bezzecchi gerade einmal zwei Punkte geholt hatte, schickte er eine motivierende Videobotschaft an alle Mitarbeiter des Aprilia-Projekts.
Marco Bezzecchi zeigt die Dankbarkeit an Aprilia, die Martin fremd ist
Aus 'Bezz' spricht zweifelsohne Dankbarkeit an Aprilia, wo man trotz Bezzecchis enttäuschender Saison 2024 auf ihn gesetzt hatte. Dankbarkeit, die Martin vermissen lässt. Noch nie zuvor in 14 Jahren MotoGP hatte Aprilia auch nur annähernd so viel Geld für einen Fahrer ausgegeben wie für ihn. Das Vertrauen des Herstellers aus Noale endete aber nicht bei einer beachtlichen Summe auf dem Bankkonto: Aprilia, vor allem in Person von Racing-CEO Massimo Rivola, tat in den vergangenen Monaten alles, um seinen Starpiloten zu schützen und ihn zufriedenstellen.
Als sich Martin in Sepang verletzte, ging Rivola sofort in die mediale Offensive. Der Michelin-Hinterreifen sei am Highsider Schuld gewesen, auf keinen Fall Martin selbst. Als sich nach der zweiten Verletzung eine lange Zwangspause abzeichnete, war es erneut Rivola, der die Idee für Privattesttage in dieser Situation einbrachte und so schließlich eine Änderung des Reglements herbeiführte. Nach Martins Lungenverletzung in Katar organisierte Aprilia einen medizinischen Spezialtransport, um ihn schnellstmöglich von Doha zurück in seine Heimat nach Andorra bringen zu können. Unversucht gelassen hatte man also wirklich nichts.
Kosten und Mühen, die in Martin anscheinend keine allzu große Wertschätzung auslösen. Ein ehemaliger MotoGP-Fahrer, den Motorsport-Magazin.com im Fahrerlager von Silverstone traf, bezeichnete sein Verhalten schlichtweg als arrogant. Eine Einschätzung, der sich nur schwer widersprechen lässt. Umso erfreulicher war deshalb der Sieg von Marco Bezzecchi. Für ihn. Für Aprilia. Und für den gesamten Sport, der damit zeigen konnte, dass die netten Jungs eben nicht immer als Letzter ins Ziel kommen, sondern man auch mit respektvollem Auftreten weit kommen kann.
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